Papst trifft anglikanischen Primas – Volltext der Ansprache
Es war ein ökumenisches Highlight dieser Großbritannienreise von Papst Benedikt: Das
römisch-katholische Kirchenoberhaupt suchte den anglikanischen Erzbischof von Canterbury,
Primas Rowan Williams, am Freitag Nachmittag in London zu einem Freundschaftsbesuch
in dessen Lambeth Palace auf. Hier finden Sie die Ansprache des Heiligen Vaters im
vollen Wortlaut.
„Euer Gnaden! Es ist mir eine Freude, Ihre Besuche, die Sie
mir in Rom freundlicherweise abgestattet haben, nun mit diesem brüderlichen Besuch
bei Ihnen in Ihrem Amtssitz erwidern zu können. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung
und die Gastfreundschaft, die Sie mir so großzügig erwiesen haben. Desgleichen grüße
ich die anglikanischen Bischöfe, die aus verschiedenen Teilen Großbritanniens hier
zusammengekommen sind, meine bischöflichen Mitbrüder aus den katholischen Diözesen
von England, Wales und Schottland wie auch die anwesenden ökumenischen Berater. Euer
Gnaden, Sie haben über das historische Treffen gesprochen, das vor fast 30 Jahren
zwischen zwei unserer Vorgänger – Papst Johannes Paul II. und Erzbischof Robert Runcie
– in der Kathedrale von Canterbury stattgefunden hat. Dort, genau an dem Ort, wo der
heilige Thomas von Canterbury mit seinem Blut Zeugnis für Christus gegeben hat, beteten
sie gemeinsam um das Geschenk der Einheit unter den Jüngern Christi. Heute bitten
wir wiederum um diese Gabe im Bewußtsein, daß die Einheit, die Christus für seine
Jünger wollte, nur als Antwort auf das Gebet geschehen kann, nämlich durch das Wirken
des Heiligen Geistes, der die Kirche fortwährend erneuert und sie in die ganze Wahrheit
führt. Ich beabsichtige heute nicht, über die Schwierigkeiten zu sprechen, die
sich auf dem ökumenischen Weg in der Vergangenheit ergeben haben und sich weiter ergeben
werden. Diese Probleme sind allen hier bekannt. Vielmehr möchte ich mit Ihnen Dank
sagen für die herzliche Freundschaft, die unter uns gewachsen ist, und für den beachtlichen
Fortschritt in so vielen Bereichen des Dialogs während der 40 Jahre, seitdem die internationale
anglikanisch-römisch-katholische Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat. Laßt uns
die Frucht dieser Arbeit dem Herrn der Ernte anvertrauen in der Hoffnung, daß er unsere
Freundschaft mit weiterem bedeutsamem Wachstum segnen wird. Das Umfeld, in dem
der Dialog zwischen der Anglikanischen Gemeinschaft und der Katholischen Kirche stattfindet,
hat sich seit dem privaten Treffen zwischen Papst Johannes XXIII. und Erzbischof Geoffrey
Fisher im Jahr 1960 stark entwickelt. Einerseits entfernt sich die uns umgebende Kultur
trotz eines tiefen und weitverbreiteten Hungers nach geistlicher Nahrung immer mehr
von ihren christlichen Wurzeln. Andererseits bietet die – in diesem Land besonders
ausgeprägte – zunehmend multikulturelle Dimension der Gesellschaft Gelegenheit, andere
Religionen kennenzulernen. Dies gibt uns Christen die Möglichkeit, gemeinsam mit Mitgliedern
anderer religiöser Traditionen Wege zu suchen, um für die transzendente Dimension
des Menschen und den universalen Ruf zur Heiligkeit, die im persönlichen und gesellschaftlichen
Bereich zu einem tugendhaften Leben führt, Zeugnis zu geben. Die ökumenische Zusammenarbeit
in dieser Aufgabe ist unbedingt notwendig und wird gewiß im Bemühen um Frieden und
Harmonie in einer anscheinend so oft von Zersplitterung gefährdeten Welt fruchtbar
werden. Ebenso sollten wir Christen niemals zögern, unseren Glauben an die Einzigartigkeit
des uns von Christus erworbenen Heils zu bekennen und gemeinsam nach einem tieferen
Verständnis der Mittel zu suchen, die er uns zur Verfügung gestellt hat, um dieses
Heil zu erlangen. Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis
der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Und diese Wahrheit ist nichts anderes als Jesus
Christus, der Ewige Sohn des Vaters, der durch sich alles in der Macht des Kreuzes
versöhnt hat. In Treue zum Willen des Herrn erkennen wir, wie es in diesem Abschnitt
aus dem ersten Timotheusbrief des heiligen Paulus heißt, daß die Kirche eine inklusive
Berufung hat, jedoch nicht auf Kosten der christlichen Wahrheit. Hierin liegt das
Dilemma, das alle betrifft, die sich ernsthaft um die Ökumene bemühen. In der Gestalt
von John Henry Newman, der am Sonntag selig gesprochen wird, ehren wir einen Vertreter
der Kirche, dessen kirchliche Gesinnung durch seinen anglikanischen Hintergrund geprägt
und in den vielen Jahren seines geistlichen Dienstes in der Kirche von England gereift
ist. Er kann uns die Tugenden lehren, die für die Ökumene erforderlich sind: Einerseits
fühlte er sich gedrängt, sogar unter hohem persönlichen Einsatz seinem Gewissen zu
folgen; andererseits veranlaßte ihn die Herzlichkeit seiner bleibenden Freundschaft
mit seinen früheren Kollegen, mit ihnen in echt irenischem Geist und in tiefer Sehnsucht
nach Einheit im Glauben die Fragen, wo sie verschiedener Meinung waren, zu erörtern.
Euer Gnaden, laßt uns in diesem gleichen Geist der Freundschaft unsere Entschlossenheit
erneuern, gemäß dem Willen unseres einen Herrn und Erlösers Jesus Christus das Ziel
der Einheit im Glauben, in der Hoffnung und der Liebe zu verfolgen. Mit diesen
Gedanken nehme ich von Ihnen Abschied. „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe
Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13,13).”
(rv 16.09.2010 sk)