2010-09-14 14:01:13

Türkei-Experte: „Verfassungsreferendum klärt nicht Frage der Religionsfreiheit“


RealAudioMP3 Die Türkei hat ihre Verfassung reformiert: Weniger Macht dem Militär und mehr Entscheidungsgewalt für Regierung und zivile Gerichte – ungefähr so lässt sich das türkische Verfassungsreferendum auf den Punkt bringen; es kam am letzten Sonntag zur Abstimmung. Die Reform sei insgesamt eine „Entscheidung pro Demokratie“, kommentiert Menschenrechtsexperte Otmar Oehring im Gespräch mit dem Kölner Domradio. Allerdings würden viele wichtige Fragen – zum Beispiel die der Religionsfreiheit – nicht geklärt. „Missio“-Referent Oehring:

„Wenn man losgelöst von den innenpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Monaten und Jahren diese Entscheidung sieht, muss man sagen: Es ist ganz klar eine Entscheidung pro Demokratie gegen die Dominanz des Militärs in Gesellschaft und Staat. Aber die Türkei hat trotzdem noch einen sehr langen Weg vor sich in Richtung Europa mit ungewissem Ausgang am Ende, denn es sind viele Fragen in dieser Verfassungsreform gar nicht gestreift worden. Zum Beispiel ist die Frage von Straftaten gegen das Türkentum nach wie vor nicht endgültig geklärt worden. Der ganze Komplex der Religionsfreiheit - ein sehr kritischer Komplex in der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Militär - ist nicht geklärt worden.“

Die Reform betreffe vor allem Veränderungen hinsichtlich des Justizapparates, so Oehring: So werde die Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts verändert, Parlament und Regierung erhielten hier mehr Vollmachten.

„Das ist sicher positiv zu sehen - wird aber von den Gegnern des Referendums als negativ gesehen, weil der Regierung unterstellt wird, dass sie ihre eigenen Kader auf die entsprechenden Posten hieven würde. Ein zweiter Punkt ist, dass künftig Straftaten gegen die Staatssicherheit nicht mehr von Militärgerichten verhandelt werden, sondern von zivilen Gerichten. Auch das ist eine ganze wichtige Entwicklung. Ein dritter Punkt: Straftaten von Militärangehörigen werden künftig auch von Zivilgerichten behandelt. Daneben gibt es noch viele andere Entwicklungen und Änderungen, die die Türkei auf einen demokratischeren Weg bringen.“

Allzu positiv will sich der Beobachter zu diesem Zeitpunkt aber nicht äußern. Der wohl wichtigere Schritt stehe schließlich noch bevor:

„Es wird jetzt notwendig sein, erst mal Ausführungsgesetze zu den einzelnen Verfassungsänderungen zu machen; da wird man schon sehen, wohin die Reise geht. Ein weiterer Schritt, den der Ministerpräsident schon angekündigt hat, ist die Erarbeitung einer ganz neuen Verfassung - mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger. Erst wenn diese Verfassung vorliegt und dann auch die Ausführungsgesetze zu dieser neuen noch zu erarbeitenden Verfassung, wird man sagen können, wohin die Türkei sich in Zukunft tatsächlich bewegt.“


Recep Tayyip Erdogans „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) hatte die Abstimmung von Sonntag initiiert; knapp 58 Prozent der Wahlberechtigten billigten am Sonntag die 26 Verfassungsänderungen gegen den geschlossenen Widerstand der Oppositionsparteien. Dass die Türken das Referendum ernst nahmen, zeigt eine hohe Wahlbeteiligung von knapp 78 Prozent.


(domradio/faznet 14.09.2010 pr)







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