Die Freilassung politischer
Gefangener auf Kuba ist noch lange kein Zeichen für einen demokratischeren Kurs des
kommunistischen Regimes. Das stellt der Menschenrechtler Martin Lessenthin klar; er
ist Vorstandssprecher des Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt.
Der kubanische Staat habe schließlich schon in der Vergangenheit mehrfach politische
Gefangene frei gelassen; zu Verhaftungen und Repressionen sei es danach aber immer
wieder gekommen. Lessenthin:
„Es wäre also eine Milchmädchenrechnung
zu denken: Jetzt kommen hundert politische Gefangene frei, und Kuba bewegt sich auf
einem Weg, wo Christen nicht mehr drangsaliert werden etc. Danach sieht es überhaupt
nicht aus. Es sieht eher danach aus, dass man die bessere Public-Relations-Atmosphäre
herstellen will, die dazu führt, schnell viel westliches Geld nach Kuba zu bekommen.
Damit will das Regime erhindern, dass es zu einem Volksaufstand kommt, der dann gar
nicht menschenrechtlich motiviert wäre, sondern bei dem es um die nackte Not der Menschen
geht. Die Menschen wollen nicht mehr hinnehmen, dass ihre Kinder keinen Joghurt und
die Kleinkinder keine Milch etc. bekommen und dass sie auf der anderen Seite mit ansehen
müssen, wie die Touristen in den Hotels alles bekommen. Darum geht es im Moment.“
Havannas
letzte Gesten seien also Kalkül, stellt der Beobachter klar. Angesichts der wirtschaftlichen
Notsituation des Inselstaates werfe das Regime nun die politischen Gefangenen in die
Waagschale, um bessere Bedingungen für sich auszuhandeln. Für diese These spricht
auch Fidel Castros Zugeständnis von letzter Woche: Der ehemalige kubanische Präsident
sagte im Gespräch mit einem amerikanischen Journalisten, Kubas Wirtschaftsmodell funktioniere
nicht mehr. Castro nahm diese Aussage später zwar wieder zurück, dennoch war der Einwurf
wohl mehr als ein Versprecher. Lessenthin:
„Die kubanische
Regierung hat das Land in derartiger Weise heruntergewirtschaftet, dass sie nun einen
Rettungsanker sucht. Und sie haben nichts, was sie erfolgreich anbieten könnten. Sie
haben nichts, ihnen bleiben nur noch Bodenschätze, die sie durch Planwirtschaft nicht
verlieren können. Aber ihre Fischerei und Landwirtschaft, alles, was früher Exportschlager
Kubas war, ist durch die Planwirtschaft weitgehend ruiniert. Was können sie also noch
verkaufen? Good will oder Menschenleben. Deswegen gehen sie einen Weg, den vorher
schon andere kommunistische oder stalinistische Regierungen gewählt haben: den Weg,
Menschen, nämlich die politischen Gefangenen, zu verkaufen, die einen gewissen Marktwert
haben…“
Die Freilassung der politischen Gefangenen war unter anderem dank
Vermittlungsbemühungen von Kubas katholischer Kirche zustande gekommen. Der eigentliche
Verdienst sei jedoch den Menschenrechtsaktivisten und Gefangenen selbst zuzuschreiben,
erinnert Lessenthin. Schließlich habe das Thema mit dem Tod eines Gefangenen, der
nach einem Hungerstreik verstarb, erst international Aufmerksamkeit erlangt. Auch
die Demonstrationen der so genannten „Damen in Weiß“ – das sind Schwestern, Ehefrauen
und Mütter der Gefangenen, die mit friedlichen Protesten auf das Schicksal ihrer Angehörigen
aufmerksam machen – hätten hier eine Rolle gespielt. Kubas Kirche habe sich eher zögerlich
eingeschaltet, glaubt Lessenthin: „Sie ist keine Kirche wie die
in Polen gewesen, die von sich heute wirklich in Anspruch nehmen kann, Wegbereiter
der Freiheit gewesen zu sein und das auch sehr erfolgreich und die Menschen mit sich
nehmend geleistet hat. In dieses Gewand ist die katholische Kirche Kubas noch nicht
hineingewachsen... Aber wir wünschen ihr das natürlich.“
31 der freigelassenen
Gefangenen halten sich derzeit in Spanien auf; IGFM-Vertreter trafen sie dort in den
letzten Tagen. Die ehemaligen Gefangenen hätten von Haftbedingungen erzählt, an die
man in Europa nicht einmal zu denken wage, berichtet Lessenthin:
„Wir
haben zahlreiche Freigelassene in Madrid getroffen und auch betreut und haben von
ihnen Berichte gehört über die furchtbaren Zustände in den Gefängnissen, über Folter
und Drangsalierung. Sie erzählten auch, wie die nicht in Gefängnissen befindlichen
Angehörigen, Ehefrauen und Kinder traktiert und gesellschaftlich geächtet werden.
Vielen Menschen waren diese Zustände in den kubanischen Gefängnissen gar nicht bekannt.“
Spanien drängt unter Führung des sozialistischen Regierungschefs
José Luis Zapatero seit 2004 auf ein Aufweichen der EU-Linie gegenüber Kuba. Seit
1996 besteht die EU in einem „Gemeinsamen Standpunkt“ darauf, dass Kuba erst nachweislich
die Menschenrechte wahren muss, bevor ein direkter Dialog mit seiner Regierung eröffnet
wird. Spanien zeigt sich dagegen schon jetzt dialogbereit, und diese „weiche“ Linie
mache sich auch am Umgang mit den ehemaligen kubanischen Gefangenen bemerkbar, die
nach Spanien ausgereist sind, erzählt Lessenthin:
„Man
möchte sie als Gruppe zerstreuen, sie in unterschiedlichen Provinzen weit voneinander
entfernt untergebracht wissen. Die meisten Gefangenen selbst möchten das nicht mit
sich machen lassen, sondern möchten Sprachrohr derjenigen sein, die noch in kubanischen
Gefängnissen sitzen - und dies auch als Gruppe tun können. Das ist ein sehr großes
Problem: das Übereinkommen zwischen dem kubanischen und spanischen Staat, wie man
sie in Spanien jetzt behandelt. Sie werden nicht wie freie ehemalige politische Gefangene
behandelt, sondern wie nicht willkommene Wirtschaftsflüchtlinge. Das kann ja nun aber
nicht sein! Als Menschenrechtler kritisieren wir dies als Skandal!“
Wichtig
sei dagegen, unterstreicht der Menschenrechtler, dass Europa sich durch Kubas Geste
jetzt nicht erweichen lasse, sondern weiter auf Wahrung der Menschenrechte poche –
und zwar unnachgiebig. „Es gibt viele diplomatische Wege, die
noch nicht ausgereizt sind, es gibt die Erkenntnis, dass der größte Fehler der wäre,
das Regime künstlich am Leben zu erhalten… Das könnte für Europa bedeuten, dass man
weiter darauf drängt, dass es zu wirklichen Liberalisierungen kommt, zum Beispiel
freie Presse oder freie Gründung von Gewerkschaften, Zulassung von anderen Parteien
etc., und indem man dann sagt: Wenn alle politischen Gefangenen freigelassen sind,
dann sehen wir die Möglichkeit, dies oder das mit euch gemeinsam in Angriff zu nehmen
– vorher aber nicht.“