2010-09-14 12:52:53

Kuba/D: „Kubas Milde ist Kalkül“


RealAudioMP3 Die Freilassung politischer Gefangener auf Kuba ist noch lange kein Zeichen für einen demokratischeren Kurs des kommunistischen Regimes. Das stellt der Menschenrechtler Martin Lessenthin klar; er ist Vorstandssprecher des Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt. Der kubanische Staat habe schließlich schon in der Vergangenheit mehrfach politische Gefangene frei gelassen; zu Verhaftungen und Repressionen sei es danach aber immer wieder gekommen. Lessenthin:

 
„Es wäre also eine Milchmädchenrechnung zu denken: Jetzt kommen hundert politische Gefangene frei, und Kuba bewegt sich auf einem Weg, wo Christen nicht mehr drangsaliert werden etc. Danach sieht es überhaupt nicht aus. Es sieht eher danach aus, dass man die bessere Public-Relations-Atmosphäre herstellen will, die dazu führt, schnell viel westliches Geld nach Kuba zu bekommen. Damit will das Regime erhindern, dass es zu einem Volksaufstand kommt, der dann gar nicht menschenrechtlich motiviert wäre, sondern bei dem es um die nackte Not der Menschen geht. Die Menschen wollen nicht mehr hinnehmen, dass ihre Kinder keinen Joghurt und die Kleinkinder keine Milch etc. bekommen und dass sie auf der anderen Seite mit ansehen müssen, wie die Touristen in den Hotels alles bekommen. Darum geht es im Moment.“

 
Havannas letzte Gesten seien also Kalkül, stellt der Beobachter klar. Angesichts der wirtschaftlichen Notsituation des Inselstaates werfe das Regime nun die politischen Gefangenen in die Waagschale, um bessere Bedingungen für sich auszuhandeln. Für diese These spricht auch Fidel Castros Zugeständnis von letzter Woche: Der ehemalige kubanische Präsident sagte im Gespräch mit einem amerikanischen Journalisten, Kubas Wirtschaftsmodell funktioniere nicht mehr. Castro nahm diese Aussage später zwar wieder zurück, dennoch war der Einwurf wohl mehr als ein Versprecher. Lessenthin:

 
„Die kubanische Regierung hat das Land in derartiger Weise heruntergewirtschaftet, dass sie nun einen Rettungsanker sucht. Und sie haben nichts, was sie erfolgreich anbieten könnten. Sie haben nichts, ihnen bleiben nur noch Bodenschätze, die sie durch Planwirtschaft nicht verlieren können. Aber ihre Fischerei und Landwirtschaft, alles, was früher Exportschlager Kubas war, ist durch die Planwirtschaft weitgehend ruiniert. Was können sie also noch verkaufen? Good will oder Menschenleben. Deswegen gehen sie einen Weg, den vorher schon andere kommunistische oder stalinistische Regierungen gewählt haben: den Weg, Menschen, nämlich die politischen Gefangenen, zu verkaufen, die einen gewissen Marktwert haben…“

Die Freilassung der politischen Gefangenen war unter anderem dank Vermittlungsbemühungen von Kubas katholischer Kirche zustande gekommen. Der eigentliche Verdienst sei jedoch den Menschenrechtsaktivisten und Gefangenen selbst zuzuschreiben, erinnert Lessenthin. Schließlich habe das Thema mit dem Tod eines Gefangenen, der nach einem Hungerstreik verstarb, erst international Aufmerksamkeit erlangt. Auch die Demonstrationen der so genannten „Damen in Weiß“ – das sind Schwestern, Ehefrauen und Mütter der Gefangenen, die mit friedlichen Protesten auf das Schicksal ihrer Angehörigen aufmerksam machen – hätten hier eine Rolle gespielt. Kubas Kirche habe sich eher zögerlich eingeschaltet, glaubt Lessenthin:
 
„Sie ist keine Kirche wie die in Polen gewesen, die von sich heute wirklich in Anspruch nehmen kann, Wegbereiter der Freiheit gewesen zu sein und das auch sehr erfolgreich und die Menschen mit sich nehmend geleistet hat. In dieses Gewand ist die katholische Kirche Kubas noch nicht hineingewachsen... Aber wir wünschen ihr das natürlich.“

31 der freigelassenen Gefangenen halten sich derzeit in Spanien auf; IGFM-Vertreter trafen sie dort in den letzten Tagen. Die ehemaligen Gefangenen hätten von Haftbedingungen erzählt, an die man in Europa nicht einmal zu denken wage, berichtet Lessenthin:

 
„Wir haben zahlreiche Freigelassene in Madrid getroffen und auch betreut und haben von ihnen Berichte gehört über die furchtbaren Zustände in den Gefängnissen, über Folter und Drangsalierung. Sie erzählten auch, wie die nicht in Gefängnissen befindlichen Angehörigen, Ehefrauen und Kinder traktiert und gesellschaftlich geächtet werden. Vielen Menschen waren diese Zustände in den kubanischen Gefängnissen gar nicht bekannt.“

 
Spanien drängt unter Führung des sozialistischen Regierungschefs José Luis Zapatero seit 2004 auf ein Aufweichen der EU-Linie gegenüber Kuba. Seit 1996 besteht die EU in einem „Gemeinsamen Standpunkt“ darauf, dass Kuba erst nachweislich die Menschenrechte wahren muss, bevor ein direkter Dialog mit seiner Regierung eröffnet wird. Spanien zeigt sich dagegen schon jetzt dialogbereit, und diese „weiche“ Linie mache sich auch am Umgang mit den ehemaligen kubanischen Gefangenen bemerkbar, die nach Spanien ausgereist sind, erzählt Lessenthin:

 
„Man möchte sie als Gruppe zerstreuen, sie in unterschiedlichen Provinzen weit voneinander entfernt untergebracht wissen. Die meisten Gefangenen selbst möchten das nicht mit sich machen lassen, sondern möchten Sprachrohr derjenigen sein, die noch in kubanischen Gefängnissen sitzen - und dies auch als Gruppe tun können. Das ist ein sehr großes Problem: das Übereinkommen zwischen dem kubanischen und spanischen Staat, wie man sie in Spanien jetzt behandelt. Sie werden nicht wie freie ehemalige politische Gefangene behandelt, sondern wie nicht willkommene Wirtschaftsflüchtlinge. Das kann ja nun aber nicht sein! Als Menschenrechtler kritisieren wir dies als Skandal!“

 
Wichtig sei dagegen, unterstreicht der Menschenrechtler, dass Europa sich durch Kubas Geste jetzt nicht erweichen lasse, sondern weiter auf Wahrung der Menschenrechte poche – und zwar unnachgiebig.

„Es gibt viele diplomatische Wege, die noch nicht ausgereizt sind, es gibt die Erkenntnis, dass der größte Fehler der wäre, das Regime künstlich am Leben zu erhalten… Das könnte für Europa bedeuten, dass man weiter darauf drängt, dass es zu wirklichen Liberalisierungen kommt, zum Beispiel freie Presse oder freie Gründung von Gewerkschaften, Zulassung von anderen Parteien etc., und indem man dann sagt: Wenn alle politischen Gefangenen freigelassen sind, dann sehen wir die Möglichkeit, dies oder das mit euch gemeinsam in Angriff zu nehmen – vorher aber nicht.“

 
(rv/diewelt-online/diverse 13.09.2010 pr)
 







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