2010-08-30 13:23:26

Indien: Christen fordern endlich Gerechtigkeit


RealAudioMP3 „Nachdem ich die Zeugenaussagen gehört habe, gehe ich gebeugten Hauptes angesichts der Schande, die auf mir lastet, weil ich Inder bin.“ Diese pathetischen Worte stammen vom ehemaligen Vorsitzenden des obersten Gerichtshofes in Indien, A.P. Shah. Er war Vorsitzender eines „Volkstribunals“, das helfen sollte, die Christenverfolgungen im Bundesstaat Orissa aus dem Jahr 2008 aufzuklären. Das vom Opferverband „Nationales Solidaritätsforum“ organisierte inoffizielle Tribunal fand vom 22. bis zum 24. August in Kandhamal statt. Neben dem eben zitierten ehemaligen Richter A.P. Shah saßen im Gerichtssaal weitere elf Ehrenamtliche, unter ihnen andere Richter, Menschenrechtsaktivisten und weitere angesehene Personen des öffentlichen Lebens. Orissa, Schauplatz der Christenverfolgungen, liegt in der Erzdiözese Cuttack-Bhubaneswar. Der dortige Oberhirte, Raphael Cheenath, war bei den Gerichtsverhandlungen dabei. Im Gespräch mit Radio Vatikan berichtet von den Anhörungen:

„Wir haben 82 Opfer aus Kandhamal, die jetzt in Delhi leben, vor Gericht gerufen. Die Richter haben sie Gruppe für Gruppe befragt: Wie sie behandelt wurden, wie sie keine Wohnung bekommen haben. All diese Dinge fragen die Richter und geben dann ein Urteil ab.“

Was wollten die Gerechtigkeitsaktivisten mit der inoffiziellen Verhandlung erreichen, eigentlich müsste doch das offizielle Rechtssystem auf dem Subkontinent handeln? Erzbischof Cheenath erklärt:

„Ziel ist zu sehen, was die Regierung bisher gemacht hat und wie sich die Regierung ganz am Anfang verhalten hat, vor allem während der Verfolgungen und was sie danach getan hat, wie die Opfer immer noch leiden – all das untersuchen die Richter“

Noch einmal zur Erinnerung: Vor zwei Jahren ermordeten im nordindischen Bundesstaat nationalistische Hindus mehr als 90 Christen, zerstörten 300 Kirchen und tausende Wohnhäuser und trieben 56.000 Christen in die Flucht. Zwei Jahre nach den Pogromen gegen Christen sind die Täter noch immer auf freiem Fuß. Am Donnerstag, nachdem die letzten Opfer den Zeugenstand verlassen hatten, erging das Urteil der Richter: „Die Parteinahme von staatlichen Institutionen und der Polizei ist skandalös.“ Die staatlichen Behörden seien in die Gewalttaten verwickelt und behinderten ein Vorankommen der Justiz bei der Bestimmung der Täter, so die Anklage des Volkstribunals an den indischen Staat. Von einer gerechten Strafe für die Täter einmal abgesehen, hat sich denn wenigstens die aktuelle Lage der Christen verbessert? Das fragten wir den Erzbischof:

„Es gibt keine Verfolgung im Sinne von Angriffen oder Gewalt, aber Furcht und Angst sind immer noch da. Es gibt mehr als 20 Dörfer, die den Christen nicht erlauben zurückzukommen. Die Versuche der Regierung hatten keinen Erfolg. Sie sagen: ‚Wenn ihr zurückkommen wollt, müsst ihr Hindus werden, dann könnt ihr zurückkehren. Wenn ihr das nicht macht und trotzdem zurückkommt, dann werden wir euch töten.’ Das ist die Angst in mindestens 20 Dörfern. Auch weil die Opfer vor Gericht aussagen, ist diese Furcht da. Manche von ihnen werden beschützt und verstecken sich, weil sie von den Kriminellen bedroht wurden: Ihr müsst vor Gericht die Position eurer Bruderkaste einnehmen, sonst töten wir euch. In dieser Situation haben viele der Opfer ihre Zeugenaussagen gemacht.“

Ein drängendes Problem sind die zigtausend Christen, die 2008 ihr Hab und Gut verloren, in Angst und Verfolgung ihre Heimat verließen und jetzt von vorne beginnen müssen. Hilfe beim Neuanfang bekommen sie von der katholischen Kirche:

„Wir haben mehr als 2000 Häuser in Kandhamal gebaut. Sie haben dort keine Probleme, weil es Dörfer sind, wo die Nachbarn sie willkommen heißen. Wir haben ca. 15.000 Menschen umgesiedelt, der Rest ist irgendwo in Delhi, manche von ihnen leben in Zelten, manche in Mietshäusern, manche haben überhaupt keinen Ort, wo sie hingehen könnten, sie haben Angst, zurückzukommen. Wir hoffen, bis Ende dieses Jahres 3.000 Häuser fertig zu stellen, sodass wir weitere 25.000 Menschen umsiedeln können.“

An diesem Sonntag feierten die Christen Indiens den „Nationalen Tag der Märtyrer“, um all derer zu gedenken, die aufgrund ihres christlichen Glaubens ihr Leben verloren – dabei waren die Gedanken der indischen Christen natürlich besonders bei den Opfern von Orissa, deren Martyrium fast genau zwei Jahren zurückliegt. Es war kein Tag, an dem die Fronten sich verhärten sollten, erklärt der Erzbischof der Diözese Nahik, Felix Anthony Machado. Im Gespräch mit Radio Vatikan erläutert die besondere Bedeutung dieses Tages für den Prozess der Versöhnung in Indien:

„Wir müssen den Sieg des Guten über das Böse feiern. Dieser Tag muss eine Gelegenheit sein, Gott zu danken, denn das Leid ist keine Strafe Gottes. Das Leid ist ein Teil des Lebens als Christ und wir müssen dem Herrn danken, denn das Kreuz ist der Keim des Lebens und des Heils. Indien braucht eine wirkliche Versöhnung. Am Kreuz hat Jesus alles Böse und allen Hass überwunden: Das ist es, was wir Christen auch versuchen müssen, die Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung mit allen Menschen guten Willens wachsen lassen.“

(rv/apic 30.08.2010 tb)







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