Dominikanermeister: „Wir sind seit über 800 Jahren Demokraten“
Am kommenden Donnerstag
beginnt in Rom das Generalkapitel der Dominikaner. Die 125 Vertreter des Ordens aus
der ganzen Welt werden dann auch einen neuen Generaloberen wählen, der eine auf neun
Jahre begrenzte Amtszeit hat. Wir haben mit dem scheidenden Ordensmeister gesprochen,
dem Argentinier Carlos Azpiroz Costa. 50 Jahre nach dem Konzil sieht er den Generationswechsel
als eine wichtige Herausforderung für Kirche und Orden an. Angesichts des Glaubensschwunds
in vielen Teilen der Welt sei der „Predigerorden“ aber weiterhin mehr denn je notwendig.
Ein Beitrag von Pater Max Cappabianca.
Demokratie und Generalkapitel Die
Dominikaner sind stolz auf ihre Verfassung. Seit ihrer Gründung vor 800 Jahren haben
die Brüder eine Art repräsentative Demokratie, ohne dass es je zu Spaltungen gekommen
wäre: und das mitten in der hierarchischen Kirche! Die höchste Autorität im Orden
sei nicht der Generalobere, sondern das Kollegium des Generalkapitels. Schon der Gründer
des Ordens habe sich den Entscheidungen seiner Brüder unterworfen, betont Carlos Azpiroz
Costa, Ordensmeister und 85. Nachfolger des heiligen Dominikus: „Er wollte zurücktreten,
weil er sich schwach fühlte. Die Kapitularen haben gesagt: Nein! Und er hat gehorcht.
Dominikus wollte etwas verändern in der Verwaltung, und auch da: Das Generalkapitel
hat nein gesagt, und er hat gehorcht, denn er hatte Vertrauen in seine Brüder, in
ihre Berufung, die nicht eine Berufung ist, die von ihm gekommen wäre, sondern die
von Gott geschenkt wird, das ist der Schlüssel der dominikanischen Demokratie.“ Das
System der Generalkapitel zeige vor allem eines: Das Vertrauen in die Person und auf
das Wirken des Heiligen Geistes: Gemeinsam und im Dialog könne die Wahrheit gefunden
werden.
Generationen im Konflikt Die Dominikaner sind nach dem Zweiten
Vatikanischen Konzil - wie viele anderen Orden auch – in eine Krise geraten. Die neue
Offenheit führte mancherorts zu massenhaften Austritten. Die Konzilsbewegten, die
blieben, experimentierten mit neuen Lebensformen und waren von großem missionarischem
Geist beseelt. Mittlerweile tritt eine Generation in den Orden ein, für die das Zweite
Vatikanische Konzil und die darauf folgenden Grabenkämpfe Geschichte sind. „Die
neue Generation ist vielleicht weniger kreativ, was die Lebensformen angeht, dafür
ist sie meist sehr fit in Sachen Medien und Internet, und sie verstehen die eigenen
Altersgenossen besser. Aber sie fordern wieder mehr das Konventsleben ein, nicht im
Sinne einer Rückkehr zum Mönchsleben, sondern im Sinne eines intensiveren brüderlichen
Gemeinschaftsleben.“ Die Konfrontation bleibe nicht aus, so Pater Carlos, eine
Revision sei fällig. Und dafür sei das Generalkapitel als Ort des Dialogs da: „Ich
vertraue darauf, dass dieser Dialog passieren wird. Es wird keine Explosion oder Revolution
geben. Der Generationswechsel heute ist anders als der vor vierzig Jahren. Aber ich
würde mir auch wünschen, dass es nicht eine Implosion ist, dass wir nicht nur Nabelschau
betreiben, und dabei die Mission vergessen, die uns seit den Zeiten des Heiligen Dominikus
anvertraut worden ist.“
Traditionsbruch Bemerkenswert sei allerdings
auch der Rückgang des missionarischen Impulses bei den Jüngeren im Orden, so P. Carlos.
Paradoxerweise, denn eigentlich müssten durch die Globalisierung die weltweiten Herausforderungen
heute noch viel deutlicher sein. Aber die Beweglichkeit der Brüder ist geringer geworden
und die Bereitschaft Opfer zu bringen ebenfalls. Das müsse analysiert werden. Den
derzeitigen Umbruch sieht der Generalobere auf dem Hintergrund der grundlegenden Tradierungskrise
des Glaubens. Von Etiketten wie „neokonservativ“ oder „liberal“ hält er allerdings
nichts. „Die jungen Leute wollen heute wiedergewinnen, was ihn nicht tradiert
worden ist – vom Vater und der Mutter und die wiederum von den Großeltern. Dies berührt
die Mission der Kirche zutiefst soziologisch, mit Auswirkungen auf das Ordensleben
mit ganz eigenen Schwierigkeiten.“ In dieser Situation zeige sich die Stärke
des Ordens: Der ruhigere, kontemplativere Rhythmus bedeute nicht notwendig, dass der
Orden die Probleme langsam angehe, sondern tiefer und weiser. Der institutionalisierte
Dialog auf den Generalkapiteln diene dazu, „Familienidentität“ zu schaffen und so
durch die persönliche Begegnung „Tradition“ weiterzugeben.
Dialog als Stärke
des Dominikanerordens Dass Dialog möglich und für den Dominikanerorden überlebensnotwendig
ist, davon ist P. Carlos zutiefst überzeugt. Auch aus theologischen Gründen: „Gott
hat in einen Dialog mit uns treten wollen, als er mit den Menschen „auf Augenhöhe“
sein wollte – das ist der Sinn der Menschwerdung Jesu! Dass der Mensch seitdem mit
Gott „auf Du“ ist, ist der ‚Big Bang’ des Dialogs.“ Die Mühe des Dialogs lohne
sich daher, so der Dominikaner. Überall dort, wo dieser Dialog im Orden nicht geführt
werde, wachse die Unzufriedenheit der Brüder, so die Erfahrung nach neun Jahren an
der Spitze des Ordens. Wichtig sei das Vertrauen: „Es kann keinen Dialog geben,
wenn ich dem eigenen und dem fremden Wort kein Vertrauen schenke. Wenn wir uns also
zum Generalkapitel versammeln, dann heißt dies, dass der Heilige Geist auch durch
diesen Mitbruder aus Südafrika sprechen wird, oder aus dem aus Kalifornien, aus Deutschland
oder den Salomonen-Inseln. Jeder hat dem ganzen Orden etwas zu sagen! Es geht dabei
nicht darum, nur das eigene zu verteidigen, das eigene Kloster oder das eigene Land
– denn wir sind nicht bei der Weltmeisterschaft und auch kein Karneval, sondern ein
Regierungsorgan.“ Das Generalkapitel wird sich auch mit den Problemen der Menschen
in Krisenzonen beschäftigen, an denen der Orden präsent ist wie dem Irak, dem Kongo,
Brasilien oder Pakistan, denn es sei natürlich,… „…dass man wissen will, wie
es den Brüdern dort geht. Auf dem Kapitel spricht man über das, was den Brüdern passiert.
Daher ist auch nicht abzusehen, was das Kapitel dazu sagen wird.“
„Arm,
frei und voller Liebe…“ Die gegenwärtige Glaubenskrise in vielen Teilen der
Welt sei durchaus vergleichbar mit der Krise vor 800 Jahren, als die Dominikaner als
Verkündigungsorden gegründet worden waren. Die Krise mache aber die heutigen Brüder
nicht mutlos, im Gegenteil: „Es gibt Erwachsene, die Kinder großziehen und
die keinerlei christliche Tradition mehr haben. Dieser Traditionsbruch fördert die
Entchristlichung der Gesellschaft. Die Medien stellen oft nur die pathologischen Aspekte
der Kirche heraus auf Kosten der Anatomie und Schönheit der Kirche und des Evangeliums.
Daher: Das ist unsere Zeit! Was der scheidende Ordensmeister nach dem Ende
seines Mandats machen wird, weiß er noch nicht. Klar ist aber, dass P. Carlos, wie
schon seine Vorgänger im Amt, zurück in die Reihe tritt und ein einfacher Bruder ist,
wie alle anderen 6000 Mitbrüder weltweit auch, die sein dominikanisches Ideal teilen,
nämlich… „…arm, frei, stark, und voller Liebe Christus entgegen gehen, der der
Weg, die Wahrheit und das Leben ist.“ (rv 29.08.2010 mc)
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Sie den gesamten Beitrag von P. Max Cappabianca OP (Klicken Sie auf das
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