Neue Entwicklungen im belgischen Missbrauchsskandal: Die Justiz soll laut einem Bericht
des TV-Senders VTM die Beschlagnahmung kirchlicher Akten von Ende Juni für unrechtmäßig
erklärt haben. Zugleich wurden neue Vertuschungsvorwürfe gegen den früheren Erzbischof
von Mechelen-Brüssel, Kardinal Godfried Danneels, laut. Die flämischen Zeitungen „Het
Niewsblad“ und „De Standaard“ (Samstag) zitierten aus einem Tonbandmitschnitt, den
der Neffe des zurückgetretenen Bischofs von Brügge, Roger Vangheluwe, veröffentlicht
hatte. Demnach habe Danneels den Neffen, der von Vangheluwe als Jugendlicher über
einen langen Zeitraum missbraucht worden war, in einem vertraulichen Gespräch gebeten,
dem Bischof zu verzeihen oder aber zumindest bis zu dessen Pensionierung zu schweigen.
Wörtlich heißt es dort: „Vielleicht wäre es besser, dass wir bis zu einem Zeitpunkt
im kommenden Jahr warten.“ Die Zeitungen berichten, aus der Aufnahme gehe die Absicht
einer Vertuschung zweifellos hervor. Der Kardinal widersprach dieser Darstellung.
Strikte
private Gespräche Danneels' Sprecher Toon Osaer teilte mit, Ziel des strikt
privaten Gesprächs im Haus der Familie sei gewesen, die Chancen für eine Versöhnung
zwischen Täter und Opfer auszuloten. Als der Neffe den Rücktritt seines Onkels vom
Bischofsamt gefordert habe, habe der Kardinal ihm erklärt, dass dies nicht sein Metier
sei. Zum Vorwurf, dass Danneels diese Unterredung niemals öffentlich erwähnt habe,
sagte der Sprecher, er habe dies als eine strikt familiäre Angelegenheit betrachtet.
Zudem habe er die Anonymität des Opfers wahren wollen. Der Kardinal sehe aber inzwischen
ein, dass er das informelle Gespräch hätte ablehnen müssen.
Vangheluwe war
nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe Mitte April auf öffentlichen Druck zurückgetreten.
Der Fall löste in Belgien eine breite Diskussion aus und führte auch zu der spektakulären
Durchsuchungsaktion Ende Juni. Bei der „Operation Kelch“ durchsuchte eine Spezialeinheit
der Polizei auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft den Amtssitz des belgischen Primas
und die Räume der kirchlichen Untersuchungskommission zu Missbrauch. Die in Mechelen
versammelten Bischöfe wurden stundenlang festgehalten, Gräber in der dortigen Kathedrale
aufgebohrt. Zahlreiche Dokumente und Datenträger wurden beschlagnahmt, darunter auch
der private Rechner von Danneels. Der Kardinal wurde über mehrere Stunden von der
Polizei als Zeuge vernommen.
Dieses Vorgehen soll laut dem TV-Sender VTM nun
als unrechtmäßig anerkannt worden sein; eine Bestätigung der Brüsseler Justizbehörden
war am Wochenende jedoch nicht zu erhalten. Sollte sich der Bericht bewahrheiten,
müssten die Akten, darunter zahlreiche Zeugenberichte von Missbrauchsopfern, an die
Kirche zurückgegeben werden.
Justizminister Stefaan De Clerck sprach sich
bereits für die Einrichtung einer neuen, innerkirchlichen Untersuchungskommission
aus. Sie solle wieder unter der bewährten Leitung des Kinderpsychologen Peter Adriaenssens
stehen, so De Clerck. Das Vorgängergremium war nach der Polizeirazzia, die in belgischen
Medien als „Operation Kelch“ bezeichnet wird, aus Protest zurückgetreten.