2010-08-28 13:22:52

Somalia: Ein Land am Abgrund


RealAudioMP3 Es ist ein Land, das Politikwissenschaftler als „gescheiterten“, oder „zerfallenen“ Staat bezeichnen: Somalia. Das Gewaltmonopol des Staates beschränkt sich auf ein paar Straßenzüge im Regierungsviertel Mogadischus, ansonsten kontrollieren verschiedene Clans, politisch-religiöse Gruppierungen und Piraten den Rest des Staatsgebietes; seit 1991 herrscht Bürgerkrieg am Horn von Afrika. Am vergangenen Dienstag dann die nächste Schreckenmeldung aus Somalia: Islamistische Terroristen stürmten ein Hotel in der Nähe des Regierungssitzes in Mogadischu und richteten ein Blutbad an. Die Rebellen töteten über 30 Menschen, unter ihnen auch sechs Abgeordnete der Regierung und sprengten sich schließlich in die Luft, um einer Verhaftung zu entgehen. Giorgio Bertin ist Erzbischof von Dschibuti und apostolischer Beauftragter für Somalia. Im Gespräch mit Radio Vatikan erzählt er, wie er die Attacke wahrgenommen hat:

„Die heutige Attacke auf das Hotel in der Nähe des Präsidenten der Übergangsregierung zeigt einmal mehr, dass die Institutionen dieser Übergangsregierung den Angriffen nichts entgegenzusetzen haben. Auch die afrikanische Schutztruppe AMISOM scheint nur den Sitz des Präsidenten und ein paar andere Gebäude zu kontrollieren. Das zeigt die Zerbrechlichkeit der Regierung und die Schwere der Situation für die Bevölkerung. Die Bevölkerung bleibt im Elend.“

Die Attentäter gehören der Shabab-Miliz an, einer islamistischen Gruppierung, die mittlerweile große Teile des Landes nördlich der Hauptstadt kontrolliert. Ihr Ziel ist es, die jetzige Regierung ganz aus Mogadischu zu vertreiben und auch dort die Macht zu übernehmen. Dass die geschwächte Regierung nicht völlig auf verlorenem Posten steht, hat sie allein der Unterstützung der Schutztruppe der afrikanischen Union zu verdanken. Auch die Nachbarländer, wie etwa Kenia und Äthiopien, tragen nicht zur Stabilität Somalias bei – das ist ein weiteres Problem, so der Präsident des afrikanischen Hilfsdienstes Amref und Experte für das Horn von Afrika, Mario Raffaelli im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Mittlerweile ist es ein Problem nicht nur Somalias, sondern des ganzen Horns von Afrika. Diese Entwicklung könnte auch andere Länder beeinflussen, sowohl was mögliche Attentate angeht als auch, was die verschiedenen Länder angeht, die alle unterschiedliche Interessen in Somalia haben.“

Somalia ist ein tief islamisch geprägtes Land. Das ist vielleicht die einzige Gemeinsamkeit einer Nation, die in ihrer Einheit nur noch auf der Landkarte existiert. Doch auch diese Hoffnung wurde durch das Massaker am Dienstag enttäuscht, erzählt Erzbischof Bertin:

„Die Regierung sagt, es ist Ramadan, ein Monat des Friedens also. Die radikalislamischen Regierungsgegner hingegen sagen nein, es ist ein Monat des heiligen Krieges gegen diese Regierung, die uns von der internationalen Gemeinschaft aufgezwungen wurde, gegen alle Ausländer in Somalia.“

Der Papst rief am Mittwoch in seiner Generalaudienz die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen in Somalia auf. „Ich hoffe, dass die internationale Staatengemeinschaft keinen Einsatz scheut, den Respekt für das Leben und für die Menschenrechte wieder aufzubauen“, so Papst Benedikt XVI. wörtlich. Giorgio Bertin schloss sich der Forderung des Papstes an; wenn man jetzt nicht eingreife, drohe der Konflikt „unentwirrbar“ zu werden. Doch die Bilder der Schlacht von Mogadischu aus dem Jahr 1993 sind wohl noch nicht verblasst: Damals schleiften somalische Milizionäre die Körper US-amerikanischer Soldaten nach einem gescheiterten Spezialeinsatz durch die Straßen der Hauptstadt. An einer Intervention aber führt trotzdem kein Weg vorbei, meint auch Afrika-Experte Raffaelli:

„Die internationale Gemeinschaft müsste mehr Einsatz zeigen. Sie hat zwar die jetzige Regierung unterstützt und einen Kompromiss mit einigen gemäßigten Elementen der islamischen Gerichte gesucht, aber meiner Meinung nach geschah das alles viel zu langsam und ohne das Wichtigste zu beachten: nämlich einen breiteren Konsens zugunsten der Regierung zu finden.“

Der militärisch-politische Konflikt ist an erster Stelle eine humanitäre Katastrophe, erzählt Erzbischof Bertin, der auch Vorsitzender der Caritas Somalia ist:

„Es ist eine extrem schwierige Situation. Wer am meisten leidet, ist die orientierungslose Bevölkerung – mit einer Regierung, die nicht regiert, mit einer Staatengemeinschaft, die nicht in der Lage ist, gerechtere und konkretere Lösungen zu finden. Wir als Caritas Somalia geben viel für Lebensmittel aus, die aber sehr teuer sind, d.h. die Bevölkerung ist wirklich in der Krise.“

Es ist eine düstere Prognose, die Raffaelli für Somalia abgibt:

„Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die verfahrene Situation so bleibt, wie sie ist, dieses Chaos ohne klare Lösung, weder im einen noch im anderen Sinne. Das kann die Gebiete in größerem Maße ‚infizieren’. Falls die Shabab an die Macht kommen, könnte es sogar wieder zu einem Eingreifen der Äthiopier kommen.“

Genau diese Befürchtung bestätigte sich an diesem Montag: Eine große Zahl äthiopischer Truppen überschritt die Grenze zu Somalia, um gegen die Shabab-Milizen zu kämpfen, die mittlerweile große Teile der Hauptstadt kontrollieren und sich ununterbrochen blutige Kämpfe mit den Regierungstruppen liefern.

(rv 30.08.2010 tb)








All the contents on this site are copyrighted ©.