Es ist ein Land, das
Politikwissenschaftler als „gescheiterten“, oder „zerfallenen“ Staat bezeichnen: Somalia.
Das Gewaltmonopol des Staates beschränkt sich auf ein paar Straßenzüge im Regierungsviertel
Mogadischus, ansonsten kontrollieren verschiedene Clans, politisch-religiöse Gruppierungen
und Piraten den Rest des Staatsgebietes; seit 1991 herrscht Bürgerkrieg am Horn von
Afrika. Am vergangenen Dienstag dann die nächste Schreckenmeldung aus Somalia: Islamistische
Terroristen stürmten ein Hotel in der Nähe des Regierungssitzes in Mogadischu und
richteten ein Blutbad an. Die Rebellen töteten über 30 Menschen, unter ihnen auch
sechs Abgeordnete der Regierung und sprengten sich schließlich in die Luft, um einer
Verhaftung zu entgehen. Giorgio Bertin ist Erzbischof von Dschibuti und apostolischer
Beauftragter für Somalia. Im Gespräch mit Radio Vatikan erzählt er, wie er die Attacke
wahrgenommen hat:
„Die heutige Attacke auf das Hotel in der Nähe des Präsidenten
der Übergangsregierung zeigt einmal mehr, dass die Institutionen dieser Übergangsregierung
den Angriffen nichts entgegenzusetzen haben. Auch die afrikanische Schutztruppe AMISOM
scheint nur den Sitz des Präsidenten und ein paar andere Gebäude zu kontrollieren.
Das zeigt die Zerbrechlichkeit der Regierung und die Schwere der Situation für die
Bevölkerung. Die Bevölkerung bleibt im Elend.“
Die Attentäter gehören der
Shabab-Miliz an, einer islamistischen Gruppierung, die mittlerweile große Teile des
Landes nördlich der Hauptstadt kontrolliert. Ihr Ziel ist es, die jetzige Regierung
ganz aus Mogadischu zu vertreiben und auch dort die Macht zu übernehmen. Dass die
geschwächte Regierung nicht völlig auf verlorenem Posten steht, hat sie allein der
Unterstützung der Schutztruppe der afrikanischen Union zu verdanken. Auch die Nachbarländer,
wie etwa Kenia und Äthiopien, tragen nicht zur Stabilität Somalias bei – das ist ein
weiteres Problem, so der Präsident des afrikanischen Hilfsdienstes Amref und Experte
für das Horn von Afrika, Mario Raffaelli im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Mittlerweile
ist es ein Problem nicht nur Somalias, sondern des ganzen Horns von Afrika. Diese
Entwicklung könnte auch andere Länder beeinflussen, sowohl was mögliche Attentate
angeht als auch, was die verschiedenen Länder angeht, die alle unterschiedliche Interessen
in Somalia haben.“
Somalia ist ein tief islamisch geprägtes Land. Das ist
vielleicht die einzige Gemeinsamkeit einer Nation, die in ihrer Einheit nur noch auf
der Landkarte existiert. Doch auch diese Hoffnung wurde durch das Massaker am Dienstag
enttäuscht, erzählt Erzbischof Bertin:
„Die Regierung sagt, es ist Ramadan,
ein Monat des Friedens also. Die radikalislamischen Regierungsgegner hingegen sagen
nein, es ist ein Monat des heiligen Krieges gegen diese Regierung, die uns von der
internationalen Gemeinschaft aufgezwungen wurde, gegen alle Ausländer in Somalia.“
Der
Papst rief am Mittwoch in seiner Generalaudienz die internationale Gemeinschaft zum
Eingreifen in Somalia auf. „Ich hoffe, dass die internationale Staatengemeinschaft
keinen Einsatz scheut, den Respekt für das Leben und für die Menschenrechte wieder
aufzubauen“, so Papst Benedikt XVI. wörtlich. Giorgio Bertin schloss sich der Forderung
des Papstes an; wenn man jetzt nicht eingreife, drohe der Konflikt „unentwirrbar“
zu werden. Doch die Bilder der Schlacht von Mogadischu aus dem Jahr 1993 sind wohl
noch nicht verblasst: Damals schleiften somalische Milizionäre die Körper US-amerikanischer
Soldaten nach einem gescheiterten Spezialeinsatz durch die Straßen der Hauptstadt.
An einer Intervention aber führt trotzdem kein Weg vorbei, meint auch Afrika-Experte
Raffaelli:
„Die internationale Gemeinschaft müsste mehr Einsatz zeigen.
Sie hat zwar die jetzige Regierung unterstützt und einen Kompromiss mit einigen gemäßigten
Elementen der islamischen Gerichte gesucht, aber meiner Meinung nach geschah das alles
viel zu langsam und ohne das Wichtigste zu beachten: nämlich einen breiteren Konsens
zugunsten der Regierung zu finden.“
Der militärisch-politische Konflikt
ist an erster Stelle eine humanitäre Katastrophe, erzählt Erzbischof Bertin, der auch
Vorsitzender der Caritas Somalia ist:
„Es ist eine extrem schwierige Situation.
Wer am meisten leidet, ist die orientierungslose Bevölkerung – mit einer Regierung,
die nicht regiert, mit einer Staatengemeinschaft, die nicht in der Lage ist, gerechtere
und konkretere Lösungen zu finden. Wir als Caritas Somalia geben viel für Lebensmittel
aus, die aber sehr teuer sind, d.h. die Bevölkerung ist wirklich in der Krise.“
Es
ist eine düstere Prognose, die Raffaelli für Somalia abgibt:
„Das wahrscheinlichste
Szenario ist, dass die verfahrene Situation so bleibt, wie sie ist, dieses Chaos ohne
klare Lösung, weder im einen noch im anderen Sinne. Das kann die Gebiete in größerem
Maße ‚infizieren’. Falls die Shabab an die Macht kommen, könnte es sogar wieder zu
einem Eingreifen der Äthiopier kommen.“
Genau diese Befürchtung bestätigte
sich an diesem Montag: Eine große Zahl äthiopischer Truppen überschritt die Grenze
zu Somalia, um gegen die Shabab-Milizen zu kämpfen, die mittlerweile große Teile der
Hauptstadt kontrollieren und sich ununterbrochen blutige Kämpfe mit den Regierungstruppen
liefern.