2010-08-28 15:01:30

Die Buchbesprechung


RealAudioMP3 Navid Kermani: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime

von Anne Preckel

Navid Kermani stellt in seinem Buch „Wer ist wir?“ die Frage nach Deutschlands Muslimen als Frage von Zuweisungen und Zugehörigkeiten, die über Religion und Nation hinausgehen. Identität ist kompliziert, die religiöse erst recht – davon geht der deutsche Autor iranischer Herkunft aus. Er beobachtet aktuelle Debatten über „die Muslime“ und die Art und Weise, wie sie geführt werden. Und er lässt Zwischentöne anklingen, bricht gängige Gegenüberstellungen wie „Muslime vs. Deutsche“ und „Islam vs. Moderne“ auf. „Wir“ ist Multi-Kulti-Fußballfieber in Kölle, „wir“ ist der gewalttätige afghanische Junge an der deutschen Schule samt hilfloser Lehrerin. Aber „wir“ ist auch Murat Kurnaz, ein Schandfleck im sonst funktionierenden deutschen Rechtsstaat. Und „wir“ ist auch die Islamkonferenz, mit ihren Mängeln und Möglichkeiten, endlich auch institutionell Dialog mit Muslimen anzuleiern.
Integration in Deutschland ist möglich, aber nicht leicht zu haben, scheint uns Islamkenner Kermani sagen zu wollen. Denn bereits die Kultur- und Religionsgeschichte ist – im Islam wie im christlich geprägten Raum – vielfältig und widersprüchlich. Kermani zeigt zum Beispiel, dass die Trennung von Staat und Religion im historischen Islam sehr wohl gekannt und geschätzt wurde – der Kalif war kein Mufti. Oder dass die Idee vom Islam als Staatsform erst im 19. Jahrhundert aufkam und obendrein vom Westen mitproduziert wurde. Und schließlich: Dass „der Islam“ oder das, was wir mit „Islam“ meinen, heute vielerorts viel toleranter und integrationsfähiger ist als angenommen.

Als Beispiel oder Chance eines „wir“, das über ethnische Herkunft, Rasse, Religion und Kultur hinausgeht, nennt Kermani die europäische Idee: „Europa ist gerade kein erweiterter Nationalstaat, sondern ein Modus, Unterschiede politisch zu entschärfen, um sie zu bewahren.“ Wenn das gelingt, ist viel erreicht. Und echte Integration kann in dieser Perspektive freilich niemals Assimilation bedeuten.

Kann man zugleich von innen und außen schauen? Kermanis Buch tut es. Das mag man „postmodern“ und unabgeschlossen nennen wollen. Es ist aber unerlässlich, wenn man den Anspruch hat, tiefer in die Blackbox religiöser und kultureller Identität zu blicken.

Navid Kermani: „Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime.“ Verlag C. H. Beck, München 2009. Preis 16,90 €.








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