Botschaft der Einfachheit - 100 Jahre Mutter Teresa
Am vergangenen Donnerstag
wäre Mutter Teresa 100 Jahre alt geworden. Weltweit gedenken in diesen Tagen Christen
und Gläubige der Missionarin und Friedensnobelpreisträgerin. Benedikt XVI. nannte
sie die „personifizierte Nächstenliebe, der Vatikan würdigte die Ordensgründerin mit
einer Gedenkmesse im Petersdom. In der wichtigsten Wirkungsstätte Mutter Teresas,
im indischen Kalkutta, erreichten die Feierlichkeiten zum Jubiläumsjahr am Donnerstag
schon einen ersten Höhepunkt. Wer war diese entschlossene Nonne im weißen Sari, die
es unermüdlich in die tiefsten Slums Indiens zog?
Mit Tatkraft für die Armen „Ein
reines Herz ist ein Herz, das dient. Ein reines Herz ist frei, zu geben und lieben,
bis es weh tut. Ein reines Herz sieht Christus in den Hungrigen, Nackten, Einsamen,
Verstoßenen. Es ist nicht nur Hunger nach Brot, es ist Hunger nach Liebe. Es ist nicht
nur Nacktheit, weil die Kleidung fehlt, sondern Nacktheit, weil die Menschenwürde
fehlt. Es ist nicht nur Heimatlosigkeit, weil das Haus fehlt, sondern weil Liebe,
Sorge, Freude und menschliche Nähe fehlen.“
Agnes Bojaxhiu, so Mutter
Teresas bürgerlicher Name, wurde in Skopje geboren. Das war damals noch Teil des Osmanenreichs
und ist heute die mazedonische Hauptstadt. Schon früh wollte das streng katholisch
erzogene Mädchen Missionsschwester werden. 1931 legte sie das Gelübde der Loreto-Schwestern
ab und nahm den Namen Teresa an – nach der „kleinen“ französischen Heiligen Theresia
von Lisieux, nicht der bedeutenderen spanischen Theresia von Avila. Der Orden sandte
sie als Lehrerin nach Kalkutta, wo Mutter Teresa bis zu ihrem Lebensende wirken sollte.
Doch in den eleganten Klassenzimmern der englischsprachigen Elite Indiens hielt sie
es nicht lange aus: Schon bald brach sie in die Elendsviertel der Stadt auf, bettelte
für die Armen, half, wo es ging:
„Sie hat selber immer angepackt. Das war
für uns alle immer erstaunlich, wenn wir zum Beispiel im Sterbeheim in Kalighat waren,
war sie zum Beispiel immer die erste, die die Toiletten saubermachte. Sie hat sich
nie gescheut, solche Sachen zu tun. Und sie hat uns auch geholfen, uns zu überwinden
und auch solche Dinge zu tun. Sie war immer sehr mutig dabei – gerade in schwierigen
Situationen hat sie immer angepackt.“
So erinnert Schwester Andrea
Mutter Teresa. Die deutschstämmige Ordensschwester stieß vor über 50 Jahren als erste
Ausländerin zu Mutter Teresa nach Kalkutta:
„Wir waren ja damals im geistlichen
Leben noch Kinder. Sie war schon eine erfahrene Ordensfrau und Ordensgründerin.“
„Gottes
Ruf“ ereilte Teresa im Zug nach Darjeeling. Das war im Jahr 1946. Sie trat aus ihrem
Orden aus und gründete die „Missionarinnen der Nächstenliebe“, die 1950 als Orden
vom Vatikan anerkannt wurden. Das „Mutterhaus“ im Herzen Kalkuttas bekam schon bald
Ableger; es entstanden Häuser und Heime für Sterbende, Waise und Kranke, immer mehr
Freiwillige zog die Missionarin an. Als Papst Paul VI. Jahre später nach Indien kam,
hatte Mutter Teresa „keine Zeit“, um ihn zu treffen. Die Bedürftigen gingen vor, das
Papstgeschenk – ein Luxusauto – machte sie zu Geld, das direkt in ihre Hilfsprojekte
floss. Schwester Andrea:
„Sie war eine Frau, die aus dem Glauben und Gebet
lebte, aber im täglichen Leben war sie immer sehr praktisch. Sie hat uns beigebracht:
So müsst ihr immer handeln, wenn ihr auch nicht wisst, was ihr tun könnt in einer
gewissen Situation – Maria wusste es auch nicht, sie war ihrem Sohn begegnet auf dem
Kreuzweg und sie war so hilflos, aber sie war dort! Und so müssen wir auch da sein,
einfach da sein.“
Würdigung durch Johannes Paul II. Mutter
Teresas Einrichtungen finden sich heute in der ganzen Welt. In ihrem Heimatland Albanien,
das 1967 zum ersten atheistischen Staat wurde, gibt es heute allein sechs Niederlassungen.
Als Papst Johannes Paul II. 1993 - drei Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes
- das Land zum ersten Mal besuchte, fand er dort nicht nur Heime und Sterbehäuser
vor, die auf Mutter Teresa zurückgehen:
„Wir haben hier in Albanien schon
vier Kirchen, zwei Kathedralen und eine Moschee gebaut“,
...erklärt Mutter
Teresa unserem albanischen Kollegen von Radio Vatikan, als sie mit ihren Landsleuten
auf die Ankunft des Papstes wartet. Ökumene – die war ihr selbstverständlich, wie
die Nächstenliebe. Papst Johannes Paul II. würdigt Mutter Teresa in seiner Ansprache
an das albanische Volk:
„Wie könnte ich die erwählte Tochter des albanischen
Volkes vergessen? Mutter Teresa von Kalkutta, Mutter vieler Armer unter den Armen
der Welt, diese kleine und große Frau mit ihrer Wärme des Glaubens und dem großzügigen
und unbändigen Tatendrang eines albanischen Herzens.“
Nach der dunklen
Periode der kommunistischen Diktatur entdeckten die Albaner mehr und mehr die spirituelle
Dimension des Daseins entdeckt, und Mutter Teresa half ihnen dabei. Darauf verweist
der Apostolische Nuntius in Albanien, Erzbischof Ramiro Moliner Inglés. Als Vertreter
des Papstes feierte er zum 100. Geburtstag Mutter Teresas in der Hauptstadt Tirana
zusammen mit Gläubigen, den Bischöfen Albaniens und der angrenzenden Diözesen eine
Messe:
„Das ist die soziale und humane Botschaft Mutter Teresas: der Respekt
für den Menschen, einfach weil er ein Mensch ist – von Anbeginn bis zum Ende seines
Lebens. Die mystische Seite der Seligen ist für die Albaner heute sicher das größte
Geheimnis. Sie fragen sich, aus welchem Grund Mutter Teresa tat, was sie tat, und
was ihr Antrieb war. Offensichtlich war es nicht Geld, Ruhm, oder sonst eine Triebfeder
der modernen Gesellschaft. Ich sehe ein aufrichtiges Verlangen der albanischen Gesellschaft,
diese spirituelle Dimension zu entdecken, die in der Epoche des Kommunismus unterdrückt
wurde.“
Botschaft der Einfachheit Neben den zahlreichen Auszeichnungen
und Ehrungen für Mutter Teresa – unter den wichtigsten der Friedensnobelpreis 1979
– wurde in den letzten Jahren aber auch Kritik an der Ordensfrau laut: Sie sei „Dienerin
weltlicher Macht“, betreibe nur „Symptombekämpfung“, scheue sich vor der modernen
Medizin, lauten einige der Vorwürfe. Mutter Teresas Entwicklungsarbeit unter Effizienzkriterien
zu betrachten – damit muss man freilich zu kurz greifen. Die Berührung von Menschen
zog sie stets einem Knopfdruck vor, Kontakt war ihr immer wichtiger als der Überbau.
Ihre Botschaft ist eine Botschaft der Einfachheit: Dasein für Andere, darum geht es.
Mutter Teresa:
„Weil Jesus jeden von euch liebt, bringt auch ihr Freude,
Gebet und Frieden in eure Familien! Dann werdet ihr in Heiligkeit wachsen. Heiligkeit
ist kein Luxus für wenige Menschen, sie ist eine einfache Schönheit, denn Jesus sagt:
Sei heilig. Gott segne euch alle.“
Das Hilfsnetzwerk, das heute auf Mutter
Teresa zurückgeht, grenzt an ein Wunder. Gerade einmal fünf Rupien hatte sie in der
Tasche, als sie 1948 das Loreto-Kloster verließ. Heute besteht ihre Gefolgschaft aus
knapp 4.000 Schwester aus 35 Nationen, und ihre Kongregation besitzt fast 600 Heime
in über 100 Ländern. Sogar ein Männer-Orden mit hunderten Mitgliedern steht den Nonnen
seit 1963 zur Seite. Der Freiwilligenstrom zum Mutterhaus in Kalkutta reißt derweil
nicht ab: Junge Abenteurer, Paare auf Hochzeitsreise und Manager schrubben Böden,
wechseln Bettwäsche und massieren indische Kranke.
Feierlichkeiten in Kalkutta In
Kalkutta ist für diese Tage ein vielfältiges Kulturprogramm zum Gedenken an die „Mutter
der Armen“ angesetzt. Das ist den Indern wichtig, meint Schwester Andrea in Kalkutta:
„So gibt es Aufführungen, die das Leben von Mutter Teresa darstellen in
verschiedenen künstlerischen Formen oder es gibt Lieder, Gesänge und Tänze. Drittens
ist es in Indien Sitte, am Todestag des Vaters etc eine Speisung vorzubereiten, für
manchmal 500 Menschen. Wir haben in etlichen unserer Niederlassungen diese Speisung
gehabt, für Bedürftige, Familien etc.“
Mutter Teresas Werk inspiriert
Alt und Jung, Arm und Reich – darauf weist anlässlich des 100. Geburtstags von Mutter
Teresa Schwester Mary Prema, Generaloberin der Missionarinnen der Nächstenliebe, hin.
Die deutschstämmige Schwester führt das Werk der Friedensnobelpreisträgerin in Kalkutta
fort. Auch für Leo Maasburg, Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke, ist der
Verdienst der Missionarin ungebrochen:
„Mutter Teresa ist auch heute ein
Beispiel dafür, dass sich die Sicht der Welt ändern kann. Sie hat die Armen ins Bewusstsein
der Weltöffentlichkeit gehoben. Und das hat sie auch selber mal als Erfolg gewertet,
dass sie gesagt hat: Jetzt spricht man über die Armen. Und der nächste Schritt ist,
man wird mit ihnen sprechen.“
Bald auch heilig? Mutter Teresa
starb am 5. September 1997 mit 87 Jahren in Kalkutta. Sechs Jahre später, am 19. Oktober
2003, sprach Papst Johannes Paul II. sie selig – in einem Verfahren, dass als eines
der schnellsten der Neuzeit gilt. Heilig ist Mutter Teresa offiziell noch nicht; es
fällt wohl schwer, aus ihrem Werk nur „ein“ Wunder auszuwählen.