2010-08-27 15:19:47

USA: „Katholische Kirche hat zu Muslimen guten Draht“


RealAudioMP3 In wenigen Tagen gedenkt die Welt den Opfern der New Yorker Terroranschläge. Am 11. September 2001 steuerten islamistische Terroristen zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers und rissen bis zu 2000 Menschen mit in den Tod. Ground Zero bleibt eine offene Wunde im Herzen der Amerikaner. Sie stellt die Frage nach der Religionsfreiheit in den USA erneut auf den Prüfstand.

Während Vorbehalte gegenüber Muslimen in den USA seit den Terroranschlägen zugenommen haben, bemühen sich katholische Kirche und muslimische Verbände verstärkt um interreligiösen Dialog. Das berichtet Ferdinand Oertel, katholischer Journalist und USA-Experte, im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Nach dem Terrorangriff sind die muslimischen Gruppierungen in Amerika, es gibt glaube ich vier verteilt über das ganze Land, dazu übergegangen, sich selbst einmal vorzustellen, in den Vereinigten Staaten als Muslime friedliche Bürger sein zu wollen. Das ist sehr schwer gewesen, hat aber vor allem auch im Bereich der Kirchen, besonders im Verhältnis der katholischen Kirche und der Muslime, zu engen Kontakten geführt.“

Von 300 Millionen Einwohnern in den Vereinigten Staaten sind zwischen ein und fünf Prozent Muslime, davon haben die Hälfte die amerikanische Staatsbürgerschaft. Diese Gruppe identifiziere sich voll und ganz mit der amerikanischen Nation, so Oertel. Doch erst mit den Terroranschlägen seien die Muslime überhaupt ins amerikanische Bewusstsein gerückt. Und zwar hauptsächlich negativ. Das lasse sich aktuell an der Kritik am Bau eines muslimischen Kulturzentrums in Manhattan ablesen.

„Bei den Anschlägen ist eine dortige Moschee auch zerstört worden. Die Stadt hat mehrfach angeboten, die wieder aufzubauen, doch da gab es nie eine Reaktion. Das Ganze ist jetzt nur durch die Nähe des 11. September medial aufgebauscht worden an diesem einen Projekt, das im Übrigen nicht einmal in Sichtweite der beiden Türme liegt.“

In den Medien wurde aus dem muslimischen Kulturzentrum, in dem neben einer Moschee auch ein Kindergarten, Schwimmbad, Theater etc. untergebracht sind, schnell „die Moschee auf Ground Zero“. Die Betroffenheit der muslimischen Gemeinschaft von New York über die Anschläge sei dagegen kaum wahrgenommen worden:

„Bei der offiziellen Gedenkfeier in New York hat der Chairman der muslimischen Organisation in Amerika zusammen mit vier Vorsitzenden anderer Regionen die terroristischen Angriffe stark verurteilt und um Kooperation mit den christlichen Kirchen zur Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit aufgerufen – das ist einfach untergegangen!“

40 Prozent der Amerikaner hätten Vorbehalte gegen Muslime, und zwar aus Angst vor Terrorismus, berichtet der USA-Experte mit Bezug auf aktuelle Studien. Immerhin sehe ein Drittel der US-Bürger die Muslime mit Wohlwollen und wolle, dass sie sich „wohlfühlen“. Aber: In der aktuellen Diskussion um das muslimische Kulturzentrum lehne die Mehrheit der Amerikaner einen Moscheebau ab. Präsident Barack Obama hatte sich für den Bau ausgesprochen und damit die Religionsfreiheit hochgehalten. Die katholische Kirche trat in der Diskussion bisher als Vermittler auf, so Oertel:

„Und deshalb hat sich auch Kardinal Egen dazu bereit erklärt, an einem Gespräch über eine Lösung zum Moscheebau teilzunehmen.“

Die US-amerikanische Bischofskonferenz habe guten Kontakt zur den vier islamischen Gruppierungen in der Staatengemeinschaft. Im Laufe der letzten zehn Jahre hätten sich immer wieder Zusammenarbeiten ergeben, und zwar ganz praxisorientiert, erzählt der USA-Kenner. Warum gerade die katholische Kirche zu den Muslimen einen guten Draht hat, erklärt sich für Oertel aus der schweren Geschichte der Katholiken in den USA. Auch sie waren in der Vergangenheit Misstrauen ausgesetzt – Oertel denkt an das 18. und 19. Jahrhundert:

„Auch damals sind katholische Kirchen zerstört worden, Ordenshäuser, Schulen. Denken wir an den Ku-Klux-Klan oder an die Liga gegen Unamerikanismus, die sehr stark die katholische Kirche bekämpft haben. Das ist ja seit Kennedy vorbei. Jetzt stehen die Muslime im Blickpunkt vieler, die fürchten, dass sie die amerikanische Demokratie angreifen wollen.“

Katholiken wurden vor allem aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem Papst abgelehnt. Der Pontifex wurde in den Vereinigten Staaten, in denen Kirche und Staat von Anfang an säuberlich getrennt wurden, als Macht „von außen“ wahrgenommen. Zumindest bis zur Wahl J. F. Kennedys zum Präsidenten – er war der erste Katholik an der Spitze der Staatengemeinschaft.

„Bedrohlich waren vor allem Katholiken – die katholischen Iren, Italiener – weil den Katholiken unterstellt wurde, sie können keine guten Demokraten sein. Sie können nicht unabhängig vom Papst sein, sie wären also Papstanhänger. Das ging sogar so weit, dass in Kämpfen um die Präsidentschaft den Katholiken vorgeworfen wurde, sie wollten die amerikanische Demokratie untergraben und eine Art päpstliches Regime einführen.“

Der historische Vorwurf an Katholiken und jetzt Muslime, die amerikanische Demokratie zu gefährden, schweiße die beiden Glaubensgemeinschaften also besonders zusammen, erklärt Oertel. Das sei freilich eine andere Ausgangssituation als in Europa, wo der Islam primär als Konkurrenz zum „christlichen Abendland“ wahrgenommen würde.

„Während viele Europäer das Vordringen des Islam als bedrohlich für die christliche Kultur ansehen, fühlen viele Amerikaner durch die Moslems ihre Demokratie bedroht. Unterschiedlich ist auch die Frage der Integration der Muslime. Fast alle Einwanderer in Amerika wollen dort Amerikaner werden, während Muslime in europäischen Ländern eigentlich ihre Religionskultur und ihr Leben bis hin zur eigenen Gesetzgebung beibehalten wollen.“

Ground Zero bleibt eine offene Wunde im Herzen der Amerikaner. Sie stellt die Frage nach der Religionsfreiheit in den USA erneut auf den Prüfstand.

(rv 26.08.2010 pr)








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