Zum Tod von Christoph Schlingensief: „Ich wollte einfach nur leben“
Christoph Schlingensief – mit diesem Namen verbinden sich in der Kulturlandschaft
viele Begriffe: Rastlosigkeit, Provokation, Chaos, aber auch Glaube und Suche. Es
war sein Thema, unsere menschliche Existenz auszuloten, seine Kunst war mit unserem
Leben, seinen Absurditäten und seiner Tragik untrennbar verbunden. Er nahm die Lügen
der modernen Gesellschaft in den Blick und zeigte sie, zumeist verstörend, aber immer
laut. Zuletzt gestaltete er auch sein Sterben öffentlich. Am vergangenen Samstag ist
er im Alter von 49 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Unsere Kollegin Birgit Schippers
vom Domradio hat den langjährigen Leiter der Kunststation Sankt Peter in Köln, Pater
Friedhelm Mennekes, nach der Bedeutung des Lebens und der Kunst Schlingensief für
Glauben und Kirche befragt. „Es ist der Tod eines sehr lebendigen Künstlers.
Eines Künstlers, wie wir ihn in Deutschland nicht regelmäßig haben. Wie er unter den
vielen Künstlerinnen und Künstlern auftaucht, lebt und wirkt - und dann wieder verzieht.
Dazu gehörte er. Ich habe ihn immer als einen sehr tief geprägten Menschen gesehen.
Für mich war er kein Provokateur. Es war einfach einer, der die Kunst thematisierte
- und zwar in verschiedenen Richtungen. Und ein Mann, der übersprühte von Kreativität.
Und einer, wenn ich das sehr vorsichtig sagen darf, der in der Tradition der katholischen
Künstlertypen im 20. Jahrhundert steht.“ Mennekes und Schlingensief kannten
sich aus der gemeinsamen Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig,
aber auch aus ihrer gemeinsamen Verbundenheit mit Joseph Beuys. In seinem öffentlichen
Sterben hat Schlingensief immer wieder den Glauben und die Kirche thematisiert und
sich an ihnen abgearbeitet. Mennekes sieht selbst im Sterben den Künstler Schlingensief. „Aber
auf jeden Fall würde ich sagen: Er war ein Zeuge. Zeuge eines Menschen, der krank
ist, der auch weiß, dass die Menschen mehr krank sind, als sie zugeben, und dass die
Kultur mehr Krankheiten birgt, als sie sie nach außen zelebriert. In dem Sinn war
er ein offener Kranker. Wenn ich mir das erlauben darf: Hier berührt sich seine Rolle
mit der des kranken und sterbenden Papst Johannes Paul II. Es ist das seltsame Phänomen,
dass die Figur einer Zeit jetzt auf einmal zu einem Synonym wird, oder besser gesagt:
zu einem Zeichen für andere. Für ihn war die Krankheit kein Fluch, sondern - in dieser
Tradition auch - ein Wert, der ihn herausfordert, sich zu stellen und damit umzugehen.
Das wiederum war ja sicherlich auch etwas, was Johannes Paul II. gegeben hat: es war
eine der großen, tiefen Botschaften und Bilder.“ Das ganze Interview
vom Domradio (domradio 23.08.2010 ord)