2010-08-19 17:24:43

Ruanda: Stabilität zum hohen Preis


RealAudioMP3 Ruanda ist ein bemerkenswertes Land. In vielerlei Hinsicht steht es heute als Musterknabe Afrikas da: Die Jungen erhalten eine gute Ausbildung. Das Gesundheitswesen funktioniert, die Straßen sind sauber und frisch geteert. Mehr als die Hälfte der Parlamentarier sind Frauen. Es gibt eine engagierte und prämierte Umweltpolitik. Und das alles nur 16 Jahre nach einem der schlimmsten Völkermorde in der Geschichte Afrikas: In 100 Tagen wurden damals 800.000 Menschen hingemetzelt.

Soeben hat das Land gewählt und dabei mit großer Mehrheit den Präsidenten Paul Kagame für eine dritte Amtszeit bestätigt. Kritiker werfen Kagame einen autoritären Regierungsstil vor. Andererseits hat er Ruanda aus dem Alptraum des Völkermordes in eine stabile Gegenwart geführt. Raoul Bagopha ist bei misereor Fachmann für die Region der Großen Seen. Für ihn lässt sich der Fortschritt Ruandas in den letzten 16 Jahren an vielen Beispielen ablesen:

„Man kann das unter anderem im Bereich Bildung festmachen. Kagame hat verstanden, dass Ruanda in die Bildung investieren muss, und zwar unter Berücksichtigung moderner Kommunikationsmittel. Er hat verstanden, dass es wichtig ist, den Menschen zu Zugang zu medizinischer Grundversorgung zu sichern, etwa durch die Einführung von Krankenkassen. Er hat verstanden, dass Menschen, die unternehmerisch tätig sind, unbürokratisch umsetzen wollen, was sie sich vornehmen. Die Politik der Korruptionsbekämpfung, die Kagame führt, ist im Interesse der Menschen. Das sind Pluspunkte, und deshalb ist es schon erstaunlich, dass er sich vor offenen Wahlen fürchtet.“

Die Präsidentschaftswahl, die Kagame im Amt bestätigte, war am 10. August, und tatsächlich legten die Begleitumstände dieser Wahl erhebliche Defizite in der Demokratie bloß. Angehörige der Opposition starben unter ungeklärten Umständen. Kagame versuchte auch mit unlauteren Mitteln die Gunst der Wähler zu erlangen. Beobachter meldeten,

„dass kritische Stimmen überhaupt nicht zugelassen wurden. Sogar von den gemäßigten Wahlbeobachtern des Commonwealth haben wir gehört, dass Ruanda noch große Fortschritte machen müsse im Bereich politischer Mitbestimmung und Freiheit der Medien. Die Mordfälle sind in diese Diskussion einzuordnen, wie politisch offen ist Ruanda. Und obwohl man noch nicht sagen kann, wer wirklich dahintersteckt, führt die derzeitige politische Kultur der relativen Unfreiheit dazu, dass man das sofort als politischen Mord einstuft.“

Der große Nachbar des kleinen Ruanda, die Demokratische Republik Kongo, galt lange Zeit als politischer Erzfeind. Nach dem Genozid an den Tutsis und gemäßigten Hutus tauchten zahllose radikale Hutu-Kämpfer mit viel Blut an den Händen im Ostkongo unter. Die Region, die reich an Bodenschätzen ist, wurde zur unsichersten Gegend der Welt: Die Hutu-Rebellen plünderten, brandschatzten, vergewaltigten und mordeten nahezu wahllos. Anfang 2009 wurden Ruanda und Kongo miteinander aktiv: Sie führten eine gemeinsame Militäroperation durch und nahmen wieder diplomatische Beziehungen auf. Doch das kann nur ein Anfang sein, glaubt Raoul Bagopha.

„Die Frage ist, wie gesellschaftlich verankert ist das Ganze. Wir glauben, dass eine Diskussion ausschließlich auf der Ebene der Staatschefs zwischen Kagame und Kabila noch keine nachhaltige Aussöhnung herbeiführen kann.“

Mindestens ebenso wichtig wäre es, sagt Bagopha, von unten anzufangen, bei den Jugendlichen, die mit fast unerschütterlichen gegenseitigen Feindbildern aufgewachsen sind, weil sie unendlich viel Gewalt von der jeweils anderen Seite erlebten. Ruanda und Kongo müssten eine abgestimmte
Jugendpolitik betreiben,

„…die deutlich macht, dass man nicht mehr Feinde sein will und dass diese Nachbarn zu einem friedlichen Zusammenleben verurteilt sind. Diese Jugendpolitik sehen wir nirgendwo, weder bei den Ruandern noch bei den Kongolesen, was die staatlichen Stellen angeht. Die kirchlichen Einrichtungen dagegen versuchen aus unserer Sicht, hier einen nachhaltigen Beitrag zu leisten.“

Allerdings ist die moralische Autorität der Kirche gerade in Ruanda nicht ganz unbefleckt. Das Land war und ist katholisch geprägt - umso ernüchternder war damals die Einsicht, dass Katholiken, ja vereinzelt sogar Priester und Ordensleute unter den Hutus und Tutsis, beim Blutrausch von 1994 mitmachten.

„Die Kirche als Institution hat sich in Ruanda als Institution nichts vorzuwerfen. Aber dass es Menschen innerhalb der Kirche gab, die mitgemacht haben, lähmt auch die Kirche, sodass sie nicht einmal in der Lage ist, bestimmte Menschen, die im Namen der Kirche versuchten, andere zu retten, in den Vordergrund zu stellen. Wir haben eine eingeschüchterte Kirche, eine Kirche, die mit der eigenen Vergangenheit hadert, die relativ gespalten ist, weil manchmal eine differenzierte Auseinandersetzung sofort als Relativierung der Vergangenheit eingestuft werden könnte. Wer etwa sagt, „Wir haben zwar Fehler gemacht, aber es gab auch Leute, die ihr Leben geopfert haben, um andere zu retten“, dann klingt das schon nach Relativismus. Deshalb hat man in Ruanda die Kirche weniger gehört als in Nachbarländern wie Kongo oder Burundi, wo die bischöflichen Kommissionen für Gerechtigkeit und Frieden eine aktive Rolle gespielt haben im Prozess der Demokratisierung.“

Unter der aktuell sauberen und geordneten Oberfläche Ruandas gärt der Konflikt zwischen den Angehörigen der beiden Ethnien – den Hutus und den Tutsis - immer noch. Das bietet Präsident Kagame eine willkommene Rechtfertigung für seinen autoritären Führungsstil: Würde er die Zügel lockerer lassen, drohe das Land im nächsten Blutrausch zu versinken. In der Tat ist die Aufarbeitung des Völkermordes ist noch lange nicht abgeschlossen. Viel lieber aber weist Kagame auf die unzweifelhaften Erfolge seiner politischen Arbeit hin. Bildung, Umwelt, Gesundheit – und eine hohe Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben. Mehr als die Hälfte der Parlamentsabgeordneten Ruandas sind Frauen – ein Rate, die kein anders Land der Welt vorweisen kann.

„Wenn wir über Genozid reden, sollten wir im Kopf behalten, dass viele Opfer Männer waren, und so eine Gesellschaft kann nicht auf das Potential der Frauen verzichten. Das liegt im ureigensten Interesse des Landes, was die Entwicklung angeht – abgesehen davon, dass der Ausschluss der Frau eine Ungerechtigkeit war, die beseitigt werden sollte. Kagame glaubt daran, und ist überzeugt davon, dass das im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes ist.“

Ob Ruanda zum Motor der Region der Großen Seen werden kann? Raoul Bagopha ist spektisch:

„Ruanda hat diese relative Stabilität sehr teuer erkauft. Denn die Stabilität hat mit einer anderen politischen Kultur zu tun. Und die ist wiederum eine Gefahr für die Stabilität, weil Frustrationen entstehen:; die Menschen können sich nicht artikulieren. Wir würden uns wünschen, dass die Stabilität in Ruanda einhergeht mit Freiheit. Die Stabilität Ruandas wünschen wir den Kongolesen und die Freiheit der Kongolesen wünschen wir Ruanda! Das heißt, Ruanda hat zu lernen, genauso wie andere Länder von Ruanda zu lernen haben.“
(rv 19.08.2010 gs)









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