2010-07-10 12:34:28

Russland: Religionsunterricht primär politisches Zeichen


RealAudioMP3 Seit drei Monaten wird an russischen Schulen in weiten Teilen des Landes versuchsweise Religion unterrichtet – ein Novum seit über 90 Jahren. Die Resonanz fällt bislang verhalten aus. Die Mehrheit der Schüler, knapp 40 Prozent, entschied sich von vorn herein für das Fach Ethik und damit für ein nicht konfessionsgebundenes Wahlfach. Umfrageergebnisse belegen nun, dass dem Schulfach Religion tatsächlich nur ein geringer Stellenwert beigemessen wird. Und dennoch sieht der Theologieprofessor und Russlandexperte Thomas Bremer in der Einführung des Religionsunterrichts einen wichtigen Schritt für das Verhältnis zwischen Staat und orthodoxer Kirche in Russland, das auch in jüngster Vergangenheit nicht immer reibungsfrei blieb.


„Ein Konflikt, den man nennen könnte, das wäre die jahrelange Auseinandersetzung um die Einführung von Religionsunterricht. Und die Frage, welche Art von Religionsunterricht es geben soll: konfessionellen Religionsunterricht – ähnlich, wie bei uns –, oder eine Art Religionskunde, die für alle verpflichtend ist. Es gab ein Fach, das allerdings nicht flächendeckend eingeführt wurde, das heißt „Grundlagen der orthodoxen Kultur“. Das verstand sich als eine Art Kulturkunde, war aber doch sehr stark orthodox geprägt. Aktuell läuft der Versuch, zwischen Religionskunde und orthodoxem Religionsunterricht wählen zu lassen. Zuletzt hörte man, dass sich sehr viele Jugendliche oder eben deren Eltern für die allgemeine Religionskunde entscheiden.“

 
Eindeutiger verhält sich die Staatsführung zum Themenfeld Religion und Kirche. Immer öfter sieht man hohe Amtspersonen, die sich bei offiziellen Anlässen bekreuzigen - darunter auch Staatspräsident Dimitri Medwedew und sein Ziehvater und Vorgänger an der Staatsspitze, Wladimir Putin. In der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit rufen diese Gesten auch Skepsis hervor. Prof. Bremer vom Ökumenischen Institut der Universität Münster meint dazu:


„Ich würde sagen, das ist in erster Linie als Zeichen dafür zu betrachten, dass Religion in Russland heute einen positiven Wert hat und dass es vermehrt Politiker gibt, die eben religiös sind oder sich aber diese positive Konnotation zu Eigen machen wollen. Was die Beziehungen zwischen Staat und Kirche angeht, so ist es so, dass diese seit dem Ende des kommunistischen Regimes, also seit den frühen Neunziger Jahren, relativ eng sind. Allerdings sind sie nicht genau geklärt.“

 
Von dem wieder eingeführten Religionsunterricht verspreche sich die Regierung mehr Toleranz zwischen den Glaubensgemeinschaften, wie ein Vertreter des russischen Bildungsministeriums mitteilte. Das kommunistische Regime hatte das Schulfach 1917 verboten. Grundsätzlich zeichnet der Russlandfachmann folgendes Bild vom aktuellen Staat-Kirche-Verhältnis im Land:


„Ich würde das so beschreiben, dass es eine enge Interessensverknüpfung gibt. Für den Staat ist es so, dass er eine gewisse kohäsive Kraft der Kirche sieht. Das heißt, die Kirche hat die Fähigkeit, der Bevölkerung eine gemeinsame Idee und Identität zu verleihen. Und das ist etwas, das der Staat gerne nutzt. Und er sieht etwa auch Vorteile darin, dass die Kirche in staatlichen Strukturen, wie etwa der Armee, präsent ist. Die Kirche versteht sich ja auch als nationale Kirche und hat immer den russischen Staat und das Wohl der Nation vor Augen. Und sieht im Staat eben die legitime Vertretung der nationalen Interessen. Insofern besteht eine grundsätzliche Bejahung des Staates. Das ist nun auch deshalb wichtig, weil die Kirche zuvor eine siebzigjährige Erfahrung von Verfolgung und Feindschaft durch den Staat hat.“

 
(rv 10.07.2010 vp)








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