2010-07-09 13:47:33

Eritrea/Libyen/EU: Sisyphos am Rande Europas


RealAudioMP3 Es ist ein Drama, das sich unter den Augen der Europäischen Union abspielt, doch kaum jemand greift ein: Scharenweise verlassen afrikanische Flüchtlinge unter Lebensgefahr ihre Heimatländer. Auf der Flucht vor Krieg und Hunger stranden sie nach meist lebensgefährlicher Reise an den Grenzen Europas, wo sie in Flüchtlingslagern festgehalten und meist wieder abgeschoben werden. Im Drama der afro-europäischen Flüchtlingspolitik sind vor allem die eritreischen Flüchtlinge derzeit die Verlierer. Sisyphos am Rande Europas - eine Sendung von Anne Preckel.

„Das sind richtige Deportationen. Die Menschenwürde von Frauen, Kindern und Männern wird mit Füßen getreten. Unser Schweigen kreuzigt sie ein zweites Mal. Wir können nicht wollen, dass diese Menschen sterben, weil wir ein Problem damit haben, sie aufzunehmen. Wir erwarten eine Debatte auf europäischer Ebene, damit ihnen Asyl gewährt wird.“

Pater Giovanni La Manna spricht eindringlich. Der Präsident des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Italien kann es nicht ertragen, wenn Hilfesuchende wie Verbrecher behandelt werden:


„Es gibt hunderte, tausende Personen, die wegen Kriegen und Verfolgung dazu gezwungen sind, ihre Heimatländer Richtung Italien oder Europa zu verlassen. Sie entscheiden das nicht frei - sie haben keine Wahl. Und für diese Konflikte sind wir in Europa teilweise mit verantwortlich. Das ist wirklich dramatisch!“  
 
Der Fall Brak
 
Der Jesuit hat allen Grund, wütend zu sein: Vor ein Paar Tagen steckten die libyschen Behörden 245 Eritreer, die in dem Flüchtlingscamp von Misurata (gesprochen: Mischrata) ausharrten, wie Verbrecher ins Gefängnis. Der Grund: Die Flüchtlinge, darunter auch viele mit Recht auf politisches Asyl und entsprechende Bescheinigungen, weigerten sich, ihre eigene Abschiebung zurück in ihr Heimatland zu besiegeln und ein entsprechendes Formular zu unterschreiben. Das war am 29. Juni, und die „Strafe“ folgte sogleich: Zusammengepfercht in zwei Lastwagen wurden die Männer am Tag darauf in sengender Hitze quer durch die Sahara gekarrt und im Kerker von Brak im Südosten des Landes eingesperrt.


Und dort sitzen sie bis heute, unter schrecklichen Bedingungen. Mussie Zerai, ist eritreischer Priester und Verantwortlicher der Hilfsorganisation „Hadesha“ für afrikanische Flüchtlinge in Rom. Er war mit einigen der Gefangenen direkt in Kontakt:


„Ich habe mit ein Paar der jungen Leute gesprochen, die aus Mischrata nach Brak in der Nähe von Sepa deportiert wurden. Es sind 245 Personen, einige aus Somalia, der Großteil aus Eritrea. Unter ihnen sind Leute, die als politische Flüchtlinge anerkannt worden waren. Das Flüchtlingszentrum in Mischrata wurde ja bis zuletzt noch vom UN-Flüchtlingskommissariat kontrolliert und viele von ihnen sind schon angehört worden. Einige von ihnen kamen bereits aus dem Sudan mit einer Bescheinigung über ihren Status als Flüchtlinge. Andere sind darunter, die von Italien zurückgeschickt worden waren.“ 
Die Bedingungen in dem Gefängnis seien schrecklich. Dem eritreischen Priester berichteten die Flüchtlinge von Misshandlungen und menschenunwürdigen Bedingungen:


„Sie sind zermürbt und wissen nicht, wie lange sie noch aushalten. Alle zwei Stunden, so sagten sie mir, kommen die Wachen, kontrollieren und misshandeln sie. Sie sind in zwei Räumen eng zusammengepfercht, erhalten kaum Wasser und Essen. Die Verletzten unter ihnen bekommen keinerlei medizinische Versorgung. Es besteht Infektionsgefahr, denn einige haben offene Wunden. Es muss dringend eingegriffen werden, um diese Menschen zu retten. Die Deportation muss verhindert und die Würde dieser Menschen muss wieder hergestellt werden. Es geht hier um die grundlegendsten Menschenrechte, die weltweit gelten!“ 

Italien verhandelt mit Libyen 
Es ist bereits der vierte Versuch Libyens, Flüchtlinge in die Heimatländer abzuschieben. Seit Mai letzten Jahres wurden gut 800 Personen nach Eritrea und in andere Länder am Horn von Afrika abgeschoben. Auf Druck zahlreicher Hilfsorganisationen, darunter auch amnesty international, verhandelt Italien derzeit mit Libyen über das Schicksal der Flüchtlinge. Christopher Hein, Direktor des italienischen Flüchtlingsdienstes (CIR), drängt die italienische Regierung schon seit Anfang des Monats darauf, endlich einzugreifen:


„Es ist eine absolut unerträgliche Situation. Wir haben an das italienische Innenministerium appelliert, dass Italien der libyschen Regierung anbietet, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das wäre nichts Neues, das tun auch andere Länder, und es wäre eine wichtige Geste.“

Unter den betreffenden 245 Personen, so Hein, seien auch Flüchtlinge, die im letzten Jahr von Italien auf hoher See Richtung Libyen abgewiesen wurden:

„Die Zurückweisung geschah damals in italienischen Gewässern. Aber was die juristischen Fragen betrifft: Auch hier gilt die Genfer Konvention, die die Behandlung von Flüchtlingen regelt. Wir wollen in diesem Augenblick aber niemanden anklagen. In dieser Notsituation muss schnell eine Lösung gefunden werden - und zwar bevor hier ein echtes Massaker beginnt.“

Das Identifikationszentrum Mischrata, aus dem die Flüchtlinge abtransportiert wurden, hatte eine Delegation des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen zuletzt des Landes verwiesen. Danach seien in dem Auffanglager chaotische Zustände eingekehrt, berichten die Flüchtlinge. Das Lager habe sich in ein echtes Gefängnis verwandelt. Diese Zustände hätten unter anderem auch zur Revolte vom 29. Juni geführt, so die eritreischen Flüchtlinge. Seit den Vereinten Nationen der Zugang verwährt wurde, habe sich die Situation der Flüchtlinge dramatisch verschlechtert, so Pater La Manna vom Jesuitenflüchtlingsdienst in Italien:


„Libyen gibt keine Auskunft darüber, welches Schicksal diese Menschen erlitten haben. Das Schweigen suggeriert, alles sei normal, aber es ist fürchterlich.“  
Der Jesuit weiß auch mehr über die bisherige Abmachung zwischen Italien und Libyen in Bezug auf die Flüchtlinge:


„Es gibt eine Übereinkunft mit Libyen, nach der das Land den Teil der „Drecksarbeit“ erledigt und im Gegenzug nicht unwesentliche ökonomische Hilfen erhält. Doch Protest nur um des Protestes willen ist nicht unser Ding – wir machen uns Sorgen um die Menschen. Unser Gewissen kann nicht ruhig bleiben, wenn solche Dinge passieren.“  
Von einer Traufe in die nächste 
Woher kommen die Flüchtlinge, die in Auffanglagern und Gefängnissen stranden? Werfen wir einen Blick auf das Land, aus dem sie kommen: Eritrea. Die Zahl der eritreischen Flüchtlinge nehme beständig zu, so der Afrikareferent des kirchlichen Hilfswerkes Missio, Hans Peter Hecking, im Interview mit Radio Vatikan:


Nämlich von Leuten, die dem Druck in Eritrea entfliehen wollen. Hinzu kam im letzten Jahr eine riesige Dürre. Die Versorgungslage der eritreischen Bevölkerung ist erheblich schlecht, katastrophal kann man sagen!“ 
Die Flüchtlinge stammen aus einem Land, in dem Menschen- und Glaubensrechte mit Füßen getreten werden:


„Die Meinungsfreiheit und eine vernehmbare politische Opposition gibt es in Eritrea nicht. Wer sich gegen die Regierung oder die Einheitspartei, die heißt übersetzt „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“ äußert, verschwindet auf unbestimmte Zeit in geheimen Lagern, wo menschenunwürdige Behandlungen und Foltermaßnahmen an der Tagesordnung sind. Man geht von zigtausenden Menschen aus, die in diesen Lagern inhaftiert sind, ohne dass man etwas über ihr Schicksal weiß.“ 
Seit das Land Unabhängigkeit erlangte, herrscht dort ein despotisches Regime. Hecking:


„Seit 1983 herrscht in Eritrea ein despotisches Regime. Staatspräsident Isayas Afewerki ist gleichzeitig auch Regierungschef und herrscht mit einer Einheitspartei, alle anderen Parteien sind verboten. Die Situation hat sich durch einen Grenzkrieg zwischen Eritrea und dem Nachbarn Äthiopien von 1998 bis 2000 verschlechtert, so dass heute die Bewegungs- und Reisefreiheit sehr stark eingeschränkt ist in dem Land. Das betrifft auch die Kirche dort: Auslandsreise für Bürgerinnen und Bürger unter 40 Jahren werden kaum, fast gar nicht mehr genehmigt. Das ist natürlich auch ein Hindernis, wenn es um Weiterbildungen, Auslandsstudien von Priestern und kirchlichen Personal geht.“ 
Seitdem lasse sich eine zunehmende Militarisierung beobachten, so missio-Experte Hecking. Und die habe nicht nur fatale Folgen für das kirchliche Leben, das in Eritrea ohnehin schon unterdrückt wird. Alle 18- bis 40-jährigen Männer müssen den nationalen Militärdienst absolvieren, und zwar neuerdings auf unbestimmte Zeit:


„Das heißt also, dass all die, die seitdem eingezogen wurden für den nationalen Dienst bisher nicht wieder entlassen worden sind, was natürlich verheerende Folgen für die Landwirtschaft und das Handwerk des Landes hat, weil ein Großteil der jungen Arbeitskräfte schlichtweg fehlt. Das hat die Konsequenz, dass sehr viele junge Leute in den Untergrund abtauchen, sich über die Grenze etwa ins benachbarte Äthiopien absetzen oder in den Sudan.“ 
Auch in den libyschen Lagern würden so viele junge Leute landen, die dem Militärdienst im eigenen Land entfliehen wollen. In Libyen kämen sie von eine „Traufe“ in die nächste, so Hecking. Und ein Zurück könne es für sie kaum geben, denn Deserteure würden in Eritrea streng bestraft. Hecking:


„Genau die Menschen, die in den Militärdienst gepresst werden sollen und fliehen wollen, werden in ein zentrales Militärlager gebracht, Saba, in Eritrea Synonym für Hoffnungslosigkeit, wo sie dann auf never come back verschwinden. Das letzte Schuljahr der höheren Schulen etwa muss auch dort verbracht werden, was natürlich zu einem Ausbluten der Gesellschaft führt. Auch die Kirche ist von den Rekrutierungsmaßnahmen betroffen, denn es werden junge Männer aus Priesterseminaren und Noviziaten eingefordert.“ 


Sisyphos am Rande Europas
 
Sisyphos am Rande Europas – das Schicksal der eritreischen Flüchtlinge von Brak zeigt paradigmatisch, wie Abschiebepolitik Ungerechtigkeit produzieren kann: Flüchtlinge, die mit einem Bein schon auf dem Weg in eine besseres Leben waren, werden wieder in die Hoffnungslosigkeit zurückgestoßen. Viele dieser jungen Leute hätten schließlich den Status politischer Flüchtlinge inne, erinnert Hecking. Warum aber tut sich die internationale Gemeinschaft so schwer, diesen Menschen zu helfen? Dazu Hecking:


„Man kann nur vermuten, dass es daran liegt, dass Eritrea keine Bodenschätze hat und damit uninteressant scheint für die Weltwirtschaft. Ich denke, dass hier Kirche tatsächlich eine Verantwortung hat als weltumspannende Gemeinschaft, auf die Situation der Menschen dort aufmerksam zu machen. Eritrea ist ein Gefängnis, und die Menschen hoffen auf unsere solidarische Unterstützung.“ 
(rv 07.07.2010 pr)








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