Vatikan: „Ratzinger Schülerkreis ist kein Unisono-Chor“
Um Papst Benedikt
XVI. besser zu verstehen, muss man den „Ratzinger Schülerkreis“ kennen. Das schreibt
die italienische Zeitung „Il Foglio“ am Dienstag. Jedes Jahr treffen sich ehemalige
Studenten des Professors Joseph Ratzinger, um über aktuelle Themen der katholischen
Kirche zu sprechen. Normalerweise finden diese Zusammenkünfte Ende August statt. Seit
er Papst ist, treffen sie sich in Castel Gandolfo. Und der damalige Professor – und
jetzige Papst – nimmt selber daran teil. Seit 1977 kommt der Schülerkreis auf diese
Weise zusammen.
In diesem Sommer geht es um die „Hermeneutik des Zweiten
Vatikanischen Konzils“. Der Theologe Joseph Ratzinger sah und sieht das Zweite Vatikanum
als eine Fortführung. Er betonte immer wieder, dass es beim Konzil um das „aggiornamento“
der katholischen Tradition und nicht um einen „Bruch“ handele. Martin Trimpe ist einer
der Ratzinger-Schüler.
„Im Grunde genommen wird bei unserem Treffen
das Ganze weitergeführt, was damals in den 70er-Jahren als Doktorandenkolloquium in
Regensburg entstanden ist und davor bereits in Tübingen ins Leben gerufen wurde.“ Die
erste Auslegung wird in diesem Jahr der neue vatikanische Ökumene-Chef, Bischof Kurt
Koch, vorstellen. In Castel Gandolfo wird auch der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph
Schönborn, erwartet. Martin Trimpe ist nach seinen Studien bei Professor Ratzinger
katholischer Priester geworden, heute ist er Pfarrer in Lingen.
„Wir
haben aber keinen dabei, für den dieses Treffen blanke akademische Übungen sind. Alle
sind natürlich von der Theologie her gepackt. Theologie ist ja nicht ein abstraktes
Ding und simples Nachdenken über etwas. Vielmehr kommt Theologie aus dem Gespräch
mit dem lebendigen Gott heraus. Deshalb sind die Brüder und Schwestern, die in Not
sind, ebenfalls sehr wichtig. Jeder von uns trägt mit seinem eigenen Licht etwas dazu
bei. Hinzu kommt noch, dass der Schülerkreis 17 Nationen vertritt. Da gibt es verschiedene
Perspektiven einzelner Länder. Das ist eine ungeheure Bereicherung. Dazu ist auch
das herzliche Zueinander wichtig.“ Bei der Zusammenkunft der ehemaligen Ratzinger-Studenten
werden die Themen nicht oberflächlich behandelt. Es gebe auch Meinungsverschiedenheiten,
so Trimpe.
„Das ist gar keine Frage. Auch Professor Joseph Ratzinger,
der jetzige Papst Benedikt XVI., war und ist einer, der auch gut mit abweichenden
Meinungen umgehen kann. Er hat ja die Weite des Geistes, Menschen zu verstehen. Es
ist in keiner Weise so, dass wir einen Unisono-Knabengesang machen. Es ist vielmehr
ein spannungsreiches Chorkonzert, wenn ich das so sagen darf.“ Pfarrer Trimpe
ist bei den Treffen für die Liturgiefeiern zuständig. Denn es wird nicht nur diskutiert,
die Ratzingerschüler beten und feiern mit ihrem ehemaligen Professor auch Gottesdienste.
„Das
Ganze ist getragen vom Gebet. Auch die Verantwortung, die der Papst hat, spielt eine
Rolle. Das merkt man immer wieder. Für mich ist die Tour d´horizon, die er uns gibt,
am schönsten. Er spricht dann etwa 30 bis 45 Minuten über das, was ihn im vergangenen
Jahr besonders bewegt hat. Wenn ich an 2009 denke, dann war das z.B. die Geschichte
um den Fall Williamson. Oder er hat von seinen Reisen berichtet, die er nach Afrika
oder vorher in die Türkei gemacht hat. Das ist immer sehr beeindruckend, weil man
auf einmal merkt, dass er das wirklich wach aufnimmt. Ich darf das vielleicht als
Pfarrer sagen, ich empfinde ihn als Pfarrer der Welt.“ Die Ratzingerschüler
kennen den jetzigen Papst seit Jahrzehnten persönlich. Hat sich der Blick in all den
Jahren verändert?
„Ich erlebe ihn geheimnisvoller. Und zwar in dem Sinne,
dass alles, was früher aus der Leichtigkeit einer Seminaratmosphäre als spielerischer
Gedanke vorgetragen wurde, heute zurückgetreten ist. Dahinter steckt sicher die große
Verantwortung, die er heute trägt. Früher war das anders. Früher war es spielerischer,
heute empfinde ich unsere Treffen inniger. Der Papst betet heute z.B. immer, bevor
wir beginnen. Das hat er auf diese Weise früher nicht gemacht. Sicher, auch früher
fanden unsere Zusammenkünfte in geistlicher Atmosphäre statt. Aber vor Jahrzehnten
war das einfach anders geprägt.“ (rv 07.07.2010 mg)