Deutschland hat einen
neuen Bundespräsidenten: Christian Wulff (CDU). An diesem Freitag hat er seinen Amtseid
abgelegt. In einer spannenden mehr als neunstündigen Wahl hatte am Mittwoch die Bundesversammlung
den ehemaligen Ministerpräsident Niedersachsens in das höchste Amt in Deutschland
gewählt. Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, hat die
Wahl direkt vor Ort erlebt und mit Wulffs Familie und Joachim Gauck das Geschehen
von der Besuchertribüne des Reichtages aus verfolgt.
„Das war schon
spannend und außergewöhnlich. Ich habe noch an keiner Wahl teilgenommen, die so lange
dauerte, wo es dann auch zwischen den Fraktionen derart hin und her ging, und die
so aufgewühlt war. Ich hatte auf der Ehrentribüne einen Platz gehabt, mitten unter
der Familie und unter anderen Vertretern der Kirchen. Und es war auch spannend mitzubekommen,
wie die Familienmitglieder mitfieberten. Das war schon ein besonderes Ereignis.“ Was
wurde erzählt in den langen Wartepausen?
„Man hat natürlich gerätselt,
woran es liegen kann, dass der Kandidat nicht sofort im ersten Wahlgang die erforderliche
Mehrheit hatte, also der Kandidat der Unionsfraktion. Woran lag es, dass Herr Gauck
so viele Stimmen aus dem anderen Lager bekam? Nach dem zweiten Wahlgang war dann eher
die Frage: Schafft es Frau Merkel in der Bundesversammlung, jetzt die Stimmen für
Wulff beizubringen? Also das sind die gleichen Fragen, die dann eigentlich auch in
den Medien behandelt wurden, die wurden genauso auch in den Gängen gestellt.“ Kritiker
meinen, die ersten beiden Wahldurchgänge sind als eine Ohrfeige für die Kanzlerin
und die Regierung anzusehen, gleichzeitig wird aber von den politischen Beobachtern
festgestellt, dass die Wahl und die vorherige Debatte über die Kandidaten und Fraktionszwänge
dem Demokratieinteresse in Deutschland gut getan habe.
„Ich habe von
Anfang an gesagt: Die Wahl ist frei und die Wahl ist geheim. Die Tatsache, dass so
viele aus dem Lager von Union und FDP von dieser geheimen Wahl und von der Freiheit
der Wahlentscheidung Gebrauch gemacht haben und sich gegen den ausdrücklichen Wunsch
ihrer Parteiführung gestellt haben, zeigt, dass es auch Mut gibt bei denjenigen, die
das getan haben. Sie wussten ja, es steht viel auf dem Spiel. Die Regierung wäre möglicherweise
gefährdet gewesen, wenn Herr Wulff nicht gewählt worden wäre und damit hängen ja auch
eigene Existenzfragen zusammen. Denn wenn der Bundestag aufgelöst wird, dann muss
neu gewählt werden, dann stellt sich möglicherweise die Frage, ob sie dann selbst
wieder herein gewählt werden. So gesehen stimmt das schon, dass das für die Demokratie
eine gute Erfahrung war. Die andere Frage ist natürlich auch gestellt, ob das nicht
auch ne Watsch´n war für die jetzige Koalition - und da sagen hier in Berlin eigentlich
alle, dass man das als solche durchaus verstehen darf.“ Warum konnte Joachim
Gauck weite Teile der Bevölkerung, die Medien und dann ja auch viele der Wahlberechtigten
überzeugen?
„Jeder, der Herrn Gauck schon mal begegnet ist, weiß, was
das für eine außerordentliche Persönlichkeit ist. Ein kluger Mann, ein sehr offener
Mann, ein nachdenklicher Mann und wenn Sie ihn in der öffentlichen Rede erlebt haben,
dann haben Sie einen Menschen erlebt, der in besonderer Weise auch formulieren kann,
der auch bestimmte Gedankengänge selber entwerfen kann und Dinge zusammenfassen kann,
die viele Menschen so denken, wo man darauf wartet, dass es einer so auf´s Wort bringt.
Das ist eine besondere Begabung. Sie liegt möglicherweise daran, dass er evangelischer
Pfarrer und schon zu DDR-Zeiten in der Bürgerrechtsbewegung war und sich dann im Widerstand
auch besonders geschult hat. Dann gibt es in der Bevölkerung einen allgemeinen Wunsch,
dass man im Amt des Bundespräsidenten jemanden hat, der dem politischen Tagesgeschäft
enthoben ist. Das ist zwar eine relativ unpolitische Einstellung, denn das Amt des
Bundespräsidenten ist eigentlich ein sehr politisches Amt, aber so ist natürlich die
Bedürfnislage in der Bevölkerung und dem hat Herr Gauck Rechnung getragen.“ Geworden
ist es nun aber Christian Wulff. Ein junger katholischer Bundespräsident zieht mit
seiner Familie ins Schloss Bellevue. Was erhoffen Sie sich für die Kirche in Deutschland
in den Beziehungen zum neuen Bundespräsidenten?
„Die Diözesen in Niedersachsen
haben mit Herrn Bundespräsident Wulff, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen
war, durchweg positive Erfahrungen gemacht. Herr Wulff hat sogar noch einen Tag vor
seiner Wahl, quasi als letzte Amtshandlung, einen Kirchenvertrag mit dem Heiligen
Stuhl unterschrieben. Er war beim Nuntius aus diesem Anlass. Der Nuntius hat mir darauf
zu verstehen gegeben, dass er wirklich auch in der Kirche lebt und dass er ein Mann
ist, dem der Glaube wichtig ist. Von daher ist das sicherlich ein positives Signal
für uns. Er wird sicher aber ein Präsident für alle sein. Er hat ja in zweiter Ehe
eine evangelische Frau geheiratet und war da zu einer Segnung in einer evangelischen
Kirche aus Anlass dieser Trauung. Das zeigt, dass er sehr positiv auf die evangelische
Kirche hin ausgerichtet ist und dass er, denke ich, für die Christen im Land insgesamt
ein guter Präsident ist. Wenn ich den Bogen jetzt noch einmal weiter schlagen darf,
er ist ja der erste Ministerpräsident, der eine Muslima in das Kabinett berufen hat.
Er versucht also auch, ausgleichend auf die Muslime hinzuwirken. So gesehen ist er
für die aktuellen Fragestellungen, die in unserem Land auf der Agenda stehen, sicher
ein Präsident, der da sehr sensibel ist und gut hinhören kann, aber sicher auch Inspiration
geben kann, wie wir die ein oder andere ungelöste Frage möglicherweise einer Lösung
zuführen können.“ Also sehen Sie Wulffs Äußerungen zum Zölibat, diesen zu
überdenken, nicht mehr als Problem an?
„Na ja, die hat er ja noch als
Ministerpräsident gemacht. Ich denke mal, als Bundespräsident wird er sich da zurückhalten.
Da weiß er, das sind lehramtliche Fragestellungen, die sind nicht vom Bundespräsidenten
zu entscheiden. Ich denke mal, dass er sich da künftig zurückhalten wird.“ Die
Bundesversammlung hat am Mittwoch Christian Wulff (CDU) zum neuen deutschen Bundespräsidenten
bestimmt. Dazu war das Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros in Berlin.
Vielen Dank für das Gespräch.