Begonnen hat der Streit
in einer kleinen italienischen Stadt, ab heute beschäftigt er wieder ganz Europa,
zumindest, was die Schulen angeht. Der Gerichtsstreit um die Kreuze in Schulen geht
in eine neue Runde, der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof verhandelt eine vor
einigen Monaten ergangene Entscheidung neu. Damals hatte eine italienische Mutter
dagegen geklagt, dass in den Schulen ihrer Kinder Kreuze hängen, das sei nicht zumutbar.
Ein italienisches Gericht hatte die Klage abgewiesen, der Menschenrechtsgerichtshof
aber hatte ihr in einer ersten Entscheidung Recht gegeben und die so genannte ‚negative
Religionsfreiheit’, also die Freiheit von jeglicher Religion, betont. Die Argumente
waren verschieden: Italien meinte, das Kreuz sein ein Zeichen der kulturellen Identität,
die Richter betonten den religiösen Charakter und die Kirchen wiesen auf die Werteorientierung
hin, die sich im Kreuz ausdrücke. Was ist das Kreuz denn nun im juristischen Sinn?
Ist es ein religiöses Symbol? Ansgar Hense, Jurist am Institut für Staatskirchenrecht
der deutschen Bistümer:
„Das Kreuz ist je nach Kontext sinnvariabel,
und die Frage wird man nicht abschließend beantworten können. Das merken sie auch
an den Diskussionen: Die einen sagen, dass gerade die religiöse Symbolik des Kreuzes
Ernst genommen werden muss, während andere sagen, dass das zwar stimme, aber das Kreuz
auch eine Bedeutung als Zeichen der christlich-abendländischen Kultur habe. Insofern
kann man Ihre Frage weder mit Ja noch mit Nein beantworten.“ Werden die Richter
in Straßburg also nun entscheiden, was das Kreuz bedeutet oder bedeuten darf?
„Die
Richter müssen aufpassen, weil nichtkirchliche oder nichtreligiöse Institutionen –
jedenfalls nach bundesrepublikanischem Verständnis – nicht wertend zu religiösen Inhalten
Stellung nehmen dürfen. Das ist zum Beispiel auch das Problem gewesen an der Kruzifix-Entscheidung
des Bundesverfassungsgesichts aus dem Jahr 1995, dass die Bundesverfassungsrichter
sich auf die religiös-theologischen Aussagegehalte des Kreuzes eingelassen haben und
auch festgeschrieben haben, was das Kreuz für einen Bedeutungsgehalt hat. Dies widerstreitet
dem Neutralitätsgrundsatz. Religiös wertend darf der weltanschaulich neutrale Staat
nicht Stellung nehmen.“ Auf den Urteilsspruch werden wir noch einige Monate
warten müssen. Hense sieht gute Gründe dafür, dass die Richter das vorhergehende Urteil,
das ein Abhängen der Kreuze vorsah, ändern.
„Es liegt in der Entscheidungslogik
der bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass
man sich nicht zum Oberrichter über das Verhältnis von Staat und Religion in den einzelnen
Staaten erheben wollte. Ich denke mir, wenn das Gericht konsequent ist, dass es wieder
zu seiner ursprünglichen Rechtsprechungslinie zurückkehrt und die Bedeutung der mitgliedsstaatlichen
Interessen mehr Rechnung trägt, als das in dieser handwerklich vielleicht auch nicht
formvollendeten Entscheidung bis jetzt der Fall gewesen ist.“