2010-06-30 13:34:06

Europa: Was bedeutet das Kreuz?


RealAudioMP3 Begonnen hat der Streit in einer kleinen italienischen Stadt, ab heute beschäftigt er wieder ganz Europa, zumindest, was die Schulen angeht. Der Gerichtsstreit um die Kreuze in Schulen geht in eine neue Runde, der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof verhandelt eine vor einigen Monaten ergangene Entscheidung neu. Damals hatte eine italienische Mutter dagegen geklagt, dass in den Schulen ihrer Kinder Kreuze hängen, das sei nicht zumutbar. Ein italienisches Gericht hatte die Klage abgewiesen, der Menschenrechtsgerichtshof aber hatte ihr in einer ersten Entscheidung Recht gegeben und die so genannte ‚negative Religionsfreiheit’, also die Freiheit von jeglicher Religion, betont. Die Argumente waren verschieden: Italien meinte, das Kreuz sein ein Zeichen der kulturellen Identität, die Richter betonten den religiösen Charakter und die Kirchen wiesen auf die Werteorientierung hin, die sich im Kreuz ausdrücke. Was ist das Kreuz denn nun im juristischen Sinn? Ist es ein religiöses Symbol? Ansgar Hense, Jurist am Institut für Staatskirchenrecht der deutschen Bistümer:


„Das Kreuz ist je nach Kontext sinnvariabel, und die Frage wird man nicht abschließend beantworten können. Das merken sie auch an den Diskussionen: Die einen sagen, dass gerade die religiöse Symbolik des Kreuzes Ernst genommen werden muss, während andere sagen, dass das zwar stimme, aber das Kreuz auch eine Bedeutung als Zeichen der christlich-abendländischen Kultur habe. Insofern kann man Ihre Frage weder mit Ja noch mit Nein beantworten.“ 
Werden die Richter in Straßburg also nun entscheiden, was das Kreuz bedeutet oder bedeuten darf?


„Die Richter müssen aufpassen, weil nichtkirchliche oder nichtreligiöse Institutionen – jedenfalls nach bundesrepublikanischem Verständnis – nicht wertend zu religiösen Inhalten Stellung nehmen dürfen. Das ist zum Beispiel auch das Problem gewesen an der Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgesichts aus dem Jahr 1995, dass die Bundesverfassungsrichter sich auf die religiös-theologischen Aussagegehalte des Kreuzes eingelassen haben und auch festgeschrieben haben, was das Kreuz für einen Bedeutungsgehalt hat. Dies widerstreitet dem Neutralitätsgrundsatz. Religiös wertend darf der weltanschaulich neutrale Staat nicht Stellung nehmen.“ 
Auf den Urteilsspruch werden wir noch einige Monate warten müssen. Hense sieht gute Gründe dafür, dass die Richter das vorhergehende Urteil, das ein Abhängen der Kreuze vorsah, ändern.


„Es liegt in der Entscheidungslogik der bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass man sich nicht zum Oberrichter über das Verhältnis von Staat und Religion in den einzelnen Staaten erheben wollte. Ich denke mir, wenn das Gericht konsequent ist, dass es wieder zu seiner ursprünglichen Rechtsprechungslinie zurückkehrt und die Bedeutung der mitgliedsstaatlichen Interessen mehr Rechnung trägt, als das in dieser handwerklich vielleicht auch nicht formvollendeten Entscheidung bis jetzt der Fall gewesen ist.“

(rv 30.06.2010 ord)







All the contents on this site are copyrighted ©.