Sie war nicht wegen
der Wirtschafts- und Finanzkrise geschrieben worden, sondern von langer Hand geplant,
kam aber dennoch genau zur richtigen Zeit: Heute vor genau einem Jahr unterschrieb
Papst Benedikt XVI. seine Sozialenzyklika „Caritas in veritate“. Am Tag darauf sagte
er damals:
„Gestern wurde meine neue Enzyklika „Caritas in veritate“
– die Liebe in der Wahrheit – veröffentlicht. In dieser Enzyklika über die ganzheitliche
Entwicklung des Menschen geht es nicht darum, technisch-praktische Lösungen für die
großen wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit anzubieten. Die wichtigen Fragen unserer
Gesellschaft reichen weit über die rein operative Ebene hinaus und müssen im größeren
Gesamtzusammenhang gesehen werden. Daher wollte ich in Erinnerung rufen, dass die
umfassende Entwicklung eines jeden Menschen und der ganzen Menschheit nur in Christus
und auf Christus hin erfolgen kann. Der hauptsächliche Antrieb dazu ist die Liebe
in der Wahrheit, nämlich die Bereitschaft, sich auf die Logik des unentgeltlichen
Schenkens einzulassen und das wirtschaftliche und soziale Leben nach den bleibenden
großen Prinzipien auszurichten...“ Und diese großen Prinzipien sind für den
Papst:
„Die Achtung vor dem menschlichen Leben, die wahren Menschenrechte
und -pflichten, die notwendige Tugendhaftigkeit der Wirtschaftstreibenden und der
Verantwortlichen in der Politik, das Streben nach dem Gemeinwohl, auch auf weltweiter
Ebene, der ethische Umgang mit der Technologie und den Medien. Die Erneuerung unserer
Gesellschaft, die vielerorts krankt, bedarf eines ernsthaften Nachdenkens über den
tiefen Sinn der Wirtschaft, der Finanzen und der Politik. Dieses Nachdenken muss auf
der Wahrheit über den Menschen als solchen und seiner Beziehung zu den Mitmenschen
beruhen. Dazu gehört, dass der Mensch nicht nur Leib, sondern auch Seele ist und seine
ganzheitliche Entwicklung daher das geistige Wachstum einschließt.“
Aus
Anlass des einjährigen Jubiläums von „Caritas in veritate“ waren in den vergangenen
Tagen Wissenschaftler an der römischen Universität zusammengekommen, um über eine
Umsetzung von Benedikts Forderungen und Denkanstößen zu diskutieren. Michele Bagella
ist Vorsitzender der Wirtschaftsfakultät an der Universität Rom.
„Ich
glaube, dass man nach den letzten Tagen der Diskussion einen Weg zur Weiterarbeit
ausmachen kann, einen Weg der vertretbaren Finanzen. Die Krise, die wir erlebt haben,
prangert in vielerlei Hinsicht eine substanzielle Unsicherheit an. Wir müssen dagegen
anarbeiten. Es stimmt, dass auf dem Finanzmarkt viele Dinge nicht funktionieren, andere
funktionieren dagegen. Wir müssen uns darum insgesamt um eine Besserung bemühen und
in die Zukunft blicken. Im Vordergrund sollten dabei die Themen Transparenz, bewusstes
Handeln, Verantwortung und Kontrolle stehen. Wenn wir dort ankommen, in den Unternehmen,
in den Banken, aber auch in den einzelnen Ländern und öffentlichen Einrichtungen,
wenn wir auf Grund dieser Prinzipien einen Neuanfang schaffen, dann sind wir meiner
Meinung nach auf dem richtigen Weg.“
„Caritas in veritate. Über eine
Wirtschaft, die im Dienst der Menschheitsfamilie steht. Mensch, Gesellschaft und Institutionen“,
so lautet der Titel des Kongresses, den der päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden
mitorganisiert hat. Kardinal Kodwo Appiah Turkson ist Präsident des Rates. Er sagte
mit Blick auf die parallel zu der Veranstaltung in Rom tagende Gruppe der Acht in
Kanada:
„Es ist sehr wichtig, dass diese Personen in der Enzyklika Inspiration
suchen für ihre Arbeit. Es gibt schon viele, die sich von der Enzyklika inspirieren
lassen. Ich weiß zum Beispiel, dass sich in London einige Direktoren von großen Banken
getroffen haben, um „Caritas in veritate“ gemeinsam zu studieren. Schon seit Beginn
des Jahres hat es 4000 Veranstaltungen gegeben, bei denen die Enzyklika im Mittelpunkt
stand. Wir versuchen also, eine Einladung auszusprechen, sich Gedanken zu machen,
sich inspirieren zu lassen von einigen Ideen, die in der Enzyklika ausgedrückt sind.“