2010-06-26 14:40:35

Kirgistan: „Konfliktparteien gehören in ein Boot“


RealAudioMP3 Die Gewaltwelle in Kirgistan ist etwas abgeklungen, das stellt die Region aber vor neue Herausforderungen. So schätzt die CARE-Mitarbeiterin Sandra Bulling die Lage vor Ort ein. Für ihr Hilfswerk macht sie sich in der Krisenregion ein Bild, um die richtigen Hilfsmaßnahmen zu Wege zu bringen. Und das tut Not: Denn viele der Zehntausenden Flüchtlinge sind inzwischen in ihre Heimatorte zurückgekehrt – und stehen vor ihren abgebrannten Häusern und damit vor dem Nichts. Bulling betont, dass die Heimkehrer neben dem Allernötigsten, wie frischem Trinkwasser, Grundnahrungsmitteln und einer Unterkunft, dringend auch seelische Zuwendung brauchen:


„Wichtig ist jetzt vor allem auch die Traumaverarbeitung. Gerade auch für Kinder und Familien, die ja dramatische Tage erlebt haben. Viele haben Angehörige verloren, viele haben auch die Gewalt mit eigenen Augen gesehen. Und jetzt ist es natürlich nicht einfach für diese Menschen, zurückzukehren und diejenigen Menschen als Nachbarn zu haben, die die Gewalt ausgeübt haben.“
  
Viele der usbekischen Flüchtlinge werfen den kirgisischen Sicherheitskräften vor, sich auf die Seite der Kirgisen gestellt und damit den ethnischen Konflikt zusätzlich angeheizt zu haben. Darin liegt nach wie vor Zündstoff, bestätigt die Helferin:


„Das Problem ist, dass man hier in Kirgisien keine wirklich verlässlichen Informationen darüber erhält, was der Hindergrund dieser Gewalt ist. Ob die Gewalt instrumentalisiert wurde von politischen Gruppen, ob irgendwelche Drogenclans oder mafiösen Strukturen dahinterstecken – das sind sehr viele Gerüchte, die hier momentan durch die Hauptstadt gehen. Und jeder spekuliert natürlich anders. Solang es also keine unabhängige Untersuchungskommission gibt, ist es sehr schwer, etwas Genaues darüber zu sagen, was dahinter steckt.“
  
Beide Bevölkerungsgruppen, Usbeken und Kirgisen, müssten jetzt aber jenseits der Frage um die Verantwortung für die Eskalation nach vorne schauen:


„Was aber offensichtlich ist, sind die Wunden, die diese Gewalt in die Seele der Menschen gerissen hat. Ganz wichtig ist auch, dass die Hilfe, die geleistet wird, an beide Teile geht – also nicht nur an die Vertriebenen Usbeken, sondern auch an die Kirgisen, die eben auch unter der Gewalt gelitten haben, beispielsweise durch Racheakte der Usbeken. In so einer Situation hilft es auch, die lokalen Führer mit einzubeziehen, die Regierungen also, aber auch die traditionellen religiösen Führer an einen Tisch zu bringen. Dass es vielleicht auch Diskussionsgruppen in der Bevölkerung geben kann.“
  
Entscheidend für den weiteren Verlauf im Krisengebiet sei die Abstimmung über eine neue Verfassung, die am Donnerstag begonnen hat, erklärt Bulling. Bereits drei Tage vor dem Haupttag am Sonntag hätten mehrere Tausend Bürger ihre Stimme abgegeben, meldeten örtlichen Medien. Auch Kirgisen im benachbarten Kasachstan und in Russland hätten schon abgestimmt.


„Es ist sehr schwer vorhersagbar, was noch passieren kann. Es kann sein, dass die Gewalt jeden Augenblick wieder losgeht. Insofern sagen alle Organisationen hier vor Ort, auch von den Vereinten Nationen: Wartet das Referendum ab! Das Leben in Osch und Jalalabad normalisiert sich wieder ein wenig. Das heißt, die ersten Geschäfte und einzelne Banken haben wieder geöffnet. Man sieht auch wieder Menschen auf den Straßen und hofft, dass es ruhig bleibt.“
  
Vor den gewaltsamen Ausschreitungen in dem ethnischen Konflikt waren nach Angaben Usbekistans über 80.000 Menschen in das Nachbarland und an dessen Grenze geflohen. Die meisten Flüchtlinge sind nach Angaben der usbekischen Behörden Frauen, Kinder und Angehörige der usbekischen Minderheit gewesen. Papst Benedikt XVI. hatte beim Angelusgebet am vergangenen Sonntag zum Frieden in Kirgistan aufgerufen. „Ich rufe alle ethnischen Gruppen des Landes auf, auf Provokationen und Gewalt zu verzichten“, so der Papst wörtlich.


(rv 26.06.2010 vp)







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