In einem Grundsatzurteil
zur Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag einen Rechtsanwalt vom
Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen. Auf der Grundlage eines Patientenwillens,
auch wenn dieser mündlich geäußert ist, ist der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung
nicht strafbar, so das Urteil. Der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz
Stiftung Eugen Brysch sagte kurz nach der Urteilsverkündung gegenüber dem domradio:
„Ich
glaube, wir sollten genau hinschauen, auch wenn der Anwalt heute freigesprochen worden
ist. Aber nicht alles, was straflos bleibt, ist auch geboten. Ich glaube, Wildwest
darf am Sterbebett und erst recht bei Sterbenskranken keine Rolle spielen.“
Der
Rechtsanwalt hatte seiner Mandantin dazu geraten, den Schlauch zur künstlichen Ernährung
zu durchtrennen, um so die seit vielen Jahren im Wachkoma liegende Mutter sterben
zu lassen. Die Mutter hatte für einen solchen Fall zuvor mündlich den Wunsch geäußert,
die künstliche Ernährung einzustellen.
„Ich glaube, dass der Bundesgerichtshof
außer Acht gelassen hat, dass beim Nichtvorliegen einer Patientenverfügung und darum
ging es, lebenserhaltende Maßnahmen nur dann eingestellt werden dürfen, wenn dies
zweifelsfrei der Patientenwille ist. Hier war eigentlich nur ein Vieraugengespräch
Bestandteil, en passant mal eben zwischen der Tochter und der Mutter. Ich finde, das
darf nicht ausreichen.“
Im Nachhinein lässt sich schlecht nachweisen, wie
explizit sich die Mutter gegenüber der Tochter geäußert hat. Brysch fragt: Wenn die
Mutter doch keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünschte, warum wurde sie dann überhaupt
künstlich ernährt? Auf die Frage, ob mit dem Zerschneiden des Schlauches eine aktive
Sterbehilfe vorliegt, sagt Brysch:
„Niemand stirbt dadurch, dass ein Schlauch
durchgeschnitten wird. Das war allen bekannt, auch dem Anwalt. Denn wenn sie kurzfristig
die Ernährung einstellen, sind sie nicht innerhalb von einer Stunde tot. Am Ende hat
der Anwalt, der sich jetzt als Sieger sieht, nur Verlierer übergelassen: Die Mutter
wurde ohne ihre Tochter in ein Krankenhaus verlegt, bekam eine neue Magensonde. Die
Tochter durfte ihre Mutter nie mehr sehen und der Sohn hat sich wenige Monate danach
das Leben genommen. Also das ist Wüste und nicht das, was wir uns vorstellen in einer
guten umfassenden Sterbebegleitung, wo palliative Therapie so etwas auch real werden
lassen kann.“
Um den Angehörigen ein solches Dilemma zu ersparen, rät Brysch
zu einer schriftlichen Patientenverfügung. Sie muss hinreichend konkret formuliert
und auf die Krankheitszustände und die medizinischen Maßnahmen abgestimmt sein. An
die Politik stellt der Vorsitzende der Hospiz Stiftung folgende Forderung:
„Der
Gesetzgeber ist gefordert, Regelungen zu treffen, die den Patientenwillen von Schwerstkranken
nicht zum Spielball fremder Interessen und erst recht Mutmaßungen anderer machen lässt.
Hier muss das Patientenverfügungsgesetz eindeutige Regeln vorschreiben, dass mehrere
Angehörige zu befragen sind, grundsätzlich diese Dinge auf den Krankheitszustand angewiesen
werden sollen und dass darüber auch eine klare Dokumentation erfolgt. – Das ist in
diesem Fall alles nicht geschehen.“ (domradio/rv/kna 25.06.2010 kk)