2010-06-19 11:36:51

Im Interview: Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner


RealAudioMP3 Notker Wolf, 1940 im Allgäu geboren, ist Abtprimas des Benediktinerordens und residiert in dem auf dem römischen Aventin-Hügel gelegenen Kloster Sant’Anselmo. Im Jahre 2000 haben ihn die Äbte aus aller Welt zu ihrem ranghöchsten Mitbruder gewählt. Seither leitet der gebürtige Deutsche den ältesten Orden der Christenheit, der vor 1500 Jahren vom Heiligen Benedikt auf dem Monte Cassino zwischen Rom und Neapel gegründet wurde. Benedikt verfaßte dort auch die bekannte Ordensregel, deren Maxime ‘Ora et labora’ lautet. Heute gehören dem Orden 8000 Mönche und 16000 Ordensschwestern an, die sich zu Gehorchsam, Beständigkeit, Demut und sozialem Engagement verpflichtet fühlen. Dem Benediktinerorden unterstehen heute weltweit rund 1000 Klöster, meist mit angegliederten Krankenhäusern oder Schulen.  Notker Wolf korrespondiert in 13 Sprachen, sieben davon spricht er fließend. Er studierte Philosophie, Theologie, Zoologie, anorganische Chemie und Geschichte der Astronomie in Rom und München, unterrichtete an der Päpstlichen Hochschule in Rom Philosophie und Wissenschaftstheorie. Ein weiteres Markenzeichen Notkar Wolfs ist seine Liebe zur Musik: er beherrscht die Gitarre und die Querflöte.

Herr Abtprimas Dr. Wolf, vielen Dank, dass Sie unserer Bitte nachgekommen sind, uns zum Anlass Ihres 70. Geburtstages ein Gespräch zu gewähren. Welches der oben genannten Gelübde ist Ihnen im Verlauf Ihres priesterlichen Lebens eher schwer, welches eher leicht gefallen?

‘Das läßt sich nicht so leicht sagen: ich unterstehe jetzt nicht mehr direkt einem Abt, aber ich muss vielen Äbten gehorchen und muss vielen Mönchen gehorchen. Denn ein Abt, der Vater seiner Gemeinschaft sein will, muss auf die ganze Gemeinschaft hören, er kann nicht einfach dekretieren.
Die Beständigkeit meint den klösterlichen Lebenswandel. Ich lebe natürlich eine Ausnahmesituation, ich bin verantwortlich für die Benediktiner rund um den Globus, dabei habe ich keine Rechtsbefugnisse in irgendwelche Klöster einzugreifen, aber ich soll die Einheit stiften und die Zusammenarbeit und da bin ich sehr präsent bei den Jahresversammlungen von Klöstern. Bei meiner Wiederwahl hat mein Stellvertreter gesagt, ich sei in der Zwischenzeit zum Vater der gesamten Konföderation geworden’.

Gibt es ein bestimmtes Erreignis, ein bestimmtes Datum zu Ihrer Entscheidung, Ordenspriester zu werden?

‘Das war im Jahre 1955 im März, als ich auf dem Dachboden in unserem Haus wo wir in Miete wohnten ein altes Missionsheft fand und die Lebensbeschreibung von Pierre Chanel las. Das hat mich so bewegt, ich habe mir gesagt, Christus braucht dich: dieser Mann hatte nie Erfolg, als Missionar, und der Erfolg kam nach seinem Tod. Das war für mich auch sehr wichtig: du brauchst nie auf Erfolg zu schauen, wenn du dich für Christus einsetzt. Den gibt Gott zu seiner Zeit’.

Wer sind Ihre großen Vorbilder?

‘Das ist und bleibt der Heilige Benedikt’. Gerade durch seine Regel. Natürlich sind es auch die größeren Heiligengestalten, Johannes von Gott, auch Ignatius, der Hl. Franziskus, Und dann in besonderer Weise spielt bei mir meine Liebe zur Gottesmutter rein.’

*Wie würden Sie den durchgehenden Faden beschreiben, der sich durch Ihr bisheriges Leben zieht?

‘Gott hat mich immer wieder überrascht. Ich habe eigentlich nie wirkliche Lebenspläne entwickelt. Ich habe immer das getan, wo ich der Auffassung war: hier bin ich gefordert es zu tun. Es gibt anscheinend keinen anderen. Wenn ich einmal ‘Ja’ sage, und die Verantwortung übernehme, dann mache ich das so, dass ich auch meine Freude dabei habe.’

*Mit Notker Wolf zu reden ohne über Musik zu sprechen, ist nicht möglich. Es ist bekannt, dass ihn eine besondere Liebe zur Musik, ganz besonders auch zur Rockmusik verbindet. In Ihrem Handgepäck, Herr Abtprimas, auf Ihren zahllosen Reisen gehören entweder eine E-Gitarre oder eine Querflöte. Beschreiben Sie uns bitte Ihr Verhältnis zur Musik?

‘Als ich vier Jahre alt war, war ich einmal bei der Hausfrau und wir haben Schupfnudeln gedreht. Und sie hat dann gesungen: ‘Geh’ mach dein Fensterl auf, i wart schon so lang drauf. A oanzigst Busserl möcht i nur, vielleicht lass i dir dann dei Ruah’. Das war das erste Lied in meinem Leben. Damit ging meine Musikkarriere an. Ich hab dann später Blockflöte gelernt, mit elf Jahren habe ich Geige begonnen und in St. Ottilien sollte ich ins Orchester kommen und da habe ich gesehen: es fehlte die Querflöte. Da habe ich eben Querflöte gelernt. Seitdem ist die Querflöte mein Lebensinstrument geworden.

*‘Ich mach’ bis heute viel klassische Musik. Ich war auch hier der Chorleiter für gregorianische Musik in Sant’Anselmo. Und wir haben für den Vatikan das ‘Jubilate Deo’ eingesungen. Ich war ein großer Choral-Fan, wir haben Konzerte gemacht. Von daher stammt auch mein Wappenspruch ‘Jubilate Deo’. Eines der schönsten Gesänge der Gregorianik ist das Offertorium ‘Jubilate Deo’. Das ist zu meinem Lebensinhalt geworden: nicht auf mich zu schauen, sondern auf Gott, seine Größe zu preisen, die Freude, von Gott angenommen zu sein.’

*‘Ja, und dann die Rockmusik…….das ist ja so das Besondere, hat aber auch seinen Sitz im Leben. 1991 saß ich mit ein paar Schülern und Lehrern zusammen und habe gesagt: hier ist es so langweilig, in einer Schule sollte immer etwas Neues geschehen, da muss sich was bewegen. Und da warf einer in die Runde: machen wir einen Zirkus! O.k., ich habe die Idee sofort aufgeschnappt und gesagt: wir sind zwar schon ein Zirkus im Kloster, jetzt machen wir auch noch einen. Und weil man mit einer Flöte nicht so viel tun lann, haben sie mir noch eine Gitarre in die Hand gedrückt und ein paar Riffs beigebracht, ich habe dann das ‘all over now’ von den Rollingstons gespielt, die ich sowieso immer mochte. Ich bin dann mit der Gruppe zusammen gewachsen – auch menschlich . Habe ihre Lebensschicksale miterlebt und mitgetragen bis zum heutigen Tag’.

*Sie gelten als unabhängiger und unkonventioneller Kirchenmann. Waren diese Charakterzüge für Ihre steile Laufbahn eher förderlich oder hatten Sie manchmal Schwierigkeiten damit?

‘Ich habe diesbezüglich nie Probleme gehabt. Ich habe immer gesagt, was ich dachte…..’

Was bedeutet Erfolg für einen Ordensmann? 
‘Jetzt ist wieder etwas gelungen und abgehakt. ’

*Sie besitzen als Abtprimas– jedenfalls für einen Außenstehenden – viel Macht. Macht ist immer ein heikles Thema. Wie passen Macht und Spiritualität in der Kirche zusammen? Oder anders gefragt: hat Macht in der Kirche ein eigenes Gesicht?

‘Macht und Kirche passen überhaupt nicht zusammen. Autorität muss es geben. Man muss Kompetenzen haben, man muss wissen, wer für was zuständig ist. Weil ich aber weiß, dass wir alle von unserer Natur her dem Machtstreben anheimfallen, muss ich ständig dagegen arbeiten. Ich bin insofern ein Anti-Machtmensch. Ich sag ja immer als Abtprimas habe ich ja keine Macht. Ich habe keine Vollmacht, außer über Sant’Anselmo. Deshalb braucht der Abtprimas auch nicht vom Heiligen Vater bestätigt zu werden, denn er hat ja keine Macht in der Kirche. Das Machtstreben ist in uns so mächtig und ganz versteckt, auch in Kirchenleuten. Das ist ganz schlimm. Ich glaube, wir alle müssen davon loskommen. Der heilige Vater spricht des öfteren gegen das Karrierestreben innerhalb der Kirche. Ich sage immer: wir müssen durch Dienst glänzen. In der Welt ist es so – sagt Jesus. Bei euch soll es nicht so sein’.

Als Abtprimas des weltweiten Benediktinerordens sind Sie auch so etwas wie eine Spitzenmanager. Dennoch haben Sie für die essentiellen Bedürfnisse vieler Menschen immer Zeit. Sie haben ja auch ein Buch über die Zeit geschrieben: ‘Gönn dir Zeit, es ist dein Leben’. Allein der Titel ist schon ein ganzes Programm. Was bedeutet für einen modernen Menschen der Begriff  Zeit?

*‘Zeit ist für mich unmittelbar eine Dimension des Menschen, meiner selbst, aber vor allem auch meiner Mitmenschen. Zeit bedeutet, Zeit haben für andere. Wenn andere da sind, alles stehen zu lassen, und mag es noch so drängen. Zeit zu haben für die anderen, das habe ich gelernt durch mein Chorgebet’.

Sie sind durch Ihre zahlreichen Bücher, Vorträge und Interviews zu einem gesuchten Ratgeber geworden. Jeden Einzelnen voll und ganz ernst nehmen und auf ihn hören, lautet eines Ihrer Postulate. Oder: man muss die Leut mögen, dann geht vieles. Worauf kommt es im Leben wirklich an?

‘Auf ein Stückchen Glück, auf ein Stückchen Freude und ich meine auf Gemeinschaft; Mit Menschen zusammen zu sein.’
 
Noch eine ausgesprochen existentiell-religiöse Frage an den Philosophen  Notker Wolf: Ist es nicht so – Herr Abtprimas – dass vieles in unserem Leben, eigentlich das Wesentliche, davon abhängt, ob man an ein Leben nach dem Tod glaubt oder nicht?

‘Ich denke schon, dass die eigentliche Dimension, die mein oder unser ganzs Leben bestimt, zu wissen, dass all dies, was auf der Erde geschieht, keinen absoluten Wert hat. Das relativiert alles. Wenn ich mal vor Gott hintrete, habe ich gar nichts. Und da wird er wahrscheinlich zu mir sagen: Weil du gar nichts hast, kann ich dir jetzt alles geben’.


*Sie feiern in diesen Tagen Ihren 70. Geburtstag. Sie sind der oberste Repräsentant sämtlicher Benediktiner und Benediktinerinnen der Welt. Was sollte – was hätten Sie gerne, was einst  in vielen Jahren auf dem Epitaph, das Ihrer Persönlichkeit gewidmet sein wird, geschrieben steht?

‘Jubilate Deo’


Das Gespräch von Aldo Parmeggiani mit Notker Wolf OSB wird am Sonntag, 20. Juni, abends in Radio Vatikan ausgestrahlt – mit Wiederholung am folgenden Morgen um 6.20 Uhr. 







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