Christentum und Säkularisierung, wie geht das zusammen? - Eine Tagung in Wien
Christentum und Säkularisierung – wie geht das zusammen? Sehr gut, meint Kardinal
Christoph Schönborn. Die Errungenschaften des Christentums würden heute aber in einer
Verkehrung gegen die Kirche verteidigt. Das gab der Wiener Erzbischof bei einer Podiumsdiskussion
im Wiener „Institut für die Wissenschaft vom Menschen“ an diesem Donnerstag zu bedenken.
Mit dabei war der kanadische Philosoph Charles Taylor, Autor des Buches „A secular
age“, zu deutsch „Ein säkulares Zeitalter“.
Es brauche eine Annäherung
von beiden Seiten – so ungefähr lassen sich die Worte von Kardinal Christoph Schönborn
zusammenfassen. Die moderne Gesellschaft vergesse die Errungenschaften des Christentums
– zum Beispiel die Wertschätzung von Emotionalität, Gefühl und Individuum, die Autonomie
des Individuums auch gegen Gott – , ja sie bemächtige sich ihrer und meine sie gegen
die Kirche selbst verteidigen zu müssen, führte Schönborn aus. Andererseits, so der
Kardinal, ist aber auch bei Christen eine Angst vor Säkularisierung spürbar. Warum
die säkulare Gesellschaft nicht als Chance begreifen, so der Appell des Erzbischofs.
Als Chance für Dialog und Auseinandersetzung mit Menschen, ob sie nun gläubig sind
oder nicht?
„Unsere Religion ist eine Religion des Logos, wir brauchen
keine Angst vor Logos, Argumenten, dem Geist zu haben! Warum sollten wir die säkulare
Gesellschaft fürchten?“
Papst Benedikt XVI. sei das beste Beispiel
für diese argumentative Kraft, hob der Kardinal hervor. Im Bereich des interreligiösen
Dialoges mit dem Islam hätte diese Fähigkeit zum Beispiel zu Fortschritten geführt.
Die säkularisierte Gesellschaft fordere die Christen gerade dazu heraus, auf andere
Menschen zuzugehen:
„Wir müssen neu lernen, zuzuhören - vor allem
jenen Menschen, die sagen, dass sie ohne Transzendenzbezug, ohne Religion auskommen
und die eine Erfahrung von Lebensfülle außerhalb der religiösen Suche machen. Ich
denke, das kann zu einem echten Dialog führen – diese große Vielfalt an Erfahrungen,
an Suchenden.“
Diese Offenheit sei „die Grundbedingung jedes gelingenden
Dialogs“ und jedes Gesprächs über Religion heute. Sicher - dem Begriff der Säkularisierung
gilt es mit Vorsicht zu begegnen – darüber zeigten Schönborn und Taylor Einigkeit.
Trotzdessen sei die Frage der Religion aber in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker
in den Vordergrund getreten, so Schönborn:
„Der Frage nach der
Religion im öffentlichen Raum kann heute niemand ausweichen. Aber das ist auch faszinierend.
Ich denke, das ist eine unerwartete Entwicklung für meine Generation: Wir hätten nie
gedacht, dass die Frage nach der Religion zum Schlüsselthema würde für die Weltpolitik
und die Entwicklung der Gesellschaft.“
Offenbar gebe es säkulare
Angebote, die diesen Geschmack den Religionen nachempfinden könnten, gab Schönborn
zu. Wohin treibt es also die „Suchenden“ und warum treibt es sie aus der Kirche hinaus?
Diese Frage beschäftigt auch den kanadischen Philosophen Taylor. Er hat folgende Antwort:
„Die Abkehr der Menschen von den traditionellen Institutionen wie der Kirche resultiert
aus der Erfahrung, dass es darin zu einer „Verengung des Spirituellen“ gekommen ist.
Indem das Lehramt die Weite des Spirituellen begrenzt und klare Grenzen setzt, stellt
dies für die spirituelle Suche des Menschen einen „Kollateralschaden“ dar. Das Problem
für mich ist das Lehramt, so hart das auch klingen mag.“
Um so
drängender müssten die Kirchen eine Antwort auf die Frage finden, wie sie mit ausufernden
spirituellen Suchbewegungen umgehen, gab der Philosoph zu bedenken. Die vielfältigen
Suchbewegungen - seien sie nun spirituell oder nicht - gelte es sozusagen „zu bündeln“.
Wichtig dabei, so eine Ergänzung von Kardinal Schönborn, sei die Frage nach der Freiheit.
Aber richtig gestellt:
„Wo finden wir wirkliche Freiheit? Wo kann
der Suchende heute den wirklichen Geschmack der Freiheit finden? Das ist für mich
der Schlüssel der biblischen Offenbarung. Wir müssen fragen: Bringt ein säkulares
Zeitalter die Freiheit voran?“