2010-06-09 14:43:29

Italien: 100 Jahre Villa Massimo in Rom


RealAudioMP3 Wie kann man der Kunst etwas Gutes tun? Ein Ansatz: Indem man für den Künstler ideale Arbeitsbedingungen schafft. So die Idee des preußischen Industriellen Eduard Arnhold. Vor genau 100 Jahren gründete er die Villa Massimo, ein deutsches Kunstzentrum in der Stadt, die damals Nabel der Welt für Kunst und Kultur war: Rom. Arnhold ließ Künstlerateliers eigens einrichten und stellte einen Grundstock an Kapital zur Verfügung. Heute übernimmt die Förderung der deutsche Kulturstaatsminister mit rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. An diesem Donnerstag hat die Villa Massimo ihr 100-jähriges Bestehen mit einem Sommerfest gefeiert.



Im Priestergewand taxieren sich zwei Boxer. Der Schweiß läuft besonders dem Jesuiten von der geröteten Stirn. Nicht nur das Outfit, auch das Publikum ist bei diesem Boxkampf ungewöhnlich. Denn der Ring ist gesäumt von der römischen Kunstszene. Ein Happening beim Sommerfest der Villa Massimo in Rom. Verursacht hat es die Stipendiatin Jana Gunstheimer:

 

„Dieser Boxkampf zwischen zwei Priestern ist ein Ausschnitt aus einem Film, den ich mache. Es ist kein echter Film, ich male die einzelnen Bilder des Films. Der Film handelt von einem katholischen Priester, einem einsamen alten Mann. Und eine Sequenz ist eben dieser Boxkampf gegen einen jungen Nachfolger, der versucht, ihn aus seinem Amt zu drängen.“

 

Die aus Zwickau stammende Künstlerin ist mit ihrer Tochter Gerda und ihrem Partner in Italiens Hauptstadt gezogen. Ein paar Ateliers weiter lebt seit Mitte Februar der Komponist Philipp Maintz.

 

„Das ist hier mein Arbeitszimmer, von relativ bescheidenen Ausmaßen… Das hat eine Grundfläche von 80 qm und eine Deckenhöhe von 8,50 m. Ich habe hier meinen Schreibtisch stehen, meinen Rechner habe ich mitgebracht und meinen Drucker, das ist das, was ein Komponist ganz dringend braucht, also quasi den Bleistift und den Radiergummi. Und die Villa Massimo hat mir freundlicherweise einen funkelnagelneuen Bechstein hier hereingestellt, der auch vom dortigen Cheftechniker noch mal gerade gezogen wurde. Das ist ein ganz phantastisches Klavier. Es macht einfach Spaß darauf zu spielen.“

 

Von Rom hat Maintz noch nicht so viel gesehen, aber dafür schon eine Oper fertig geschrieben, ein Quintett Kammermusik steht kurz vor dem Abschluss, als nächstes ist ein Liederzyklus geplant.

 

„Das glauben ja alle, dass wir hier in der Villa Massimo den lieben langen Tag am leider nicht vorhandenen Pool sitzen, ein Cocktail-Glas in der Hand haben und vom Direktor frische Luft zugefächelt bekommen. Nein, das fällt aus. Die meisten arbeiten hier tatsächlich sehr stringent und sehr konzentriert. Hin und wieder treffen wir uns, wenn alle zeitgleich den Bleistift haben fallen lassen.“

 

Der Direktor, der eben nicht seinen Stipendiaten ein laues Lüftchen zuwedelt, ist Joachim Blüher:

 

„Diese Villa Massimo ist so entstanden: Der Gründer, Eduard Arnhold, ein überaus erfolgreicher Händler aus Deutschland, hatte sich zunächst einmal in sozialen Dingen engagiert. Weil er aber ein Freund der zeitgenössischen Kunst war, hat er sich hier in die Bresche geworfen. Und nach vielen Querelen mit Historikern und Kunsthistorikern, Botschaftern, auch dem Botschafter beim Heiligen Stuhl hat er sich aus all diesen Projekten herausgezogen und gesagt: Ich mache etwas für die Künstler.“

 

Zu ihrer Gründungszeit lag die Villa noch vor den Toren Roms. Jetzt ist sie nur wenige Stationen mit der Metro vom römischen Hauptbahnhof Termini entfernt. Auch wenn die laut lärmende Stadt die prunkvolle Villa mittlerweile umringt, ist die Villa Massimo ein besonderer Fleck. Sie besitzt eine kleine, von dicken Mauern umschlossene Parkanlage. Mit Zypressen gesäumte Kieswege führen zu dem Hauptgebäude und zu den frisch renovierten Künstlerateliers mit ihren großen Glasfronten. In allen Winkeln stehen verwitterte Skulpturen, kleine Brunnen, sogar Orangenbäumen gibt es hier.

 

„Es ist nicht ein Haus, was hier gebaut wurde, hier wurde lange probiert und hin und her geschoben, bis alles so war, wie es sein sollte. Hier in dieser Villa ist nichts zufällig, in dieser Villa ist alles gewollt, in dieser Villa ist alles großzügig vorhanden. Wenn Sie einmal die Hauptallee der Villa hochgehen, dann sehen sie große antike Vorratsgefäße. Die stehen dort, aber sie sind gesetzt auf umgekehrte Kapitelle. Diese Chuzpe muss man erst einmal haben! So die Fundstücke des Antiken zusammenzusetzen. Sie werden es nirgendwo so sehen, auf jeden Fall nicht so schön wie hier in der Villa Massimo.“

 

Gibt es einen leidenschaftlicheren Verfechter der Villa als Joachim Blüher? Seit 2002 ist er Direktor der Deutschen Akademie. Vorher arbeitete er als Galerist in Köln und New York. Auch er war einst Stipendiat der Villa. Um die Künstlerherberge ranken sich natürlich viele Skandalgeschichten. So soll in den 70er Jahren beispielsweise ein Flügel als Toilette missbraucht worden sein.

 

„Das hört man, es ist auch mal ein Harmonium zerhackt worden. Es soll auch einer einen anderen versucht haben, aus Eifersucht an der Tür festzunageln mit dem Auto. Es wird alles erzählt. Es ist auch jemand hier ermordet worden, um es mal zu sagen. Aber das waren die italienischen Jahre. Denn die Villa war ja auch mal italienisch. Das sind die Gossip-Geschichten. Sie interessieren mich ehrlich gesagt nicht, aber was mich interessiert, sind die großartigen Dinge, die danach entstanden sind. Ich selbst habe hier in Rom 1979-1980 studiert und habe danach gesagt, es war das schönste Jahr meines Lebens. Viele, die hier waren, sagen das auch.“

 

Das Stipendium der Villa Massimo wird jedes Jahr an zehn Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Literatur und Musik vergeben. Neben dem großzügigen Atelier bietet es den Eintritt in ein tief verflochtenes Netzwerk der Kunstszene und pro Monat 2.500 Euro. Damit lässt sich auch das Atelier in eine Boxarena verwandeln:

 

„Ich hätte das sonst nicht in der Realität inszeniert, ich hätte das einfach aus der Vorstellung gemalt. Ich habe noch nie einen Boxkampf gesehen und ich dachte einfach, ich mache das mal, ich möchte mir das angucken.“

 

Schon nach wenigen Runden ist Schluss mit dem von Stipendiatin Jana Gunstheimer organisierten Happening. Der Jesuit schlägt mit einem geschickten Haken seinen Herausforderer k.o.. Die Gäste applaudieren und ziehen weiter zum nächsten Atelier oder auf eine Granatapfel-Limo an die Bar.



(rv 09.06.2010 kk)








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