Wie kann man der Kunst
etwas Gutes tun? Ein Ansatz: Indem man für den Künstler ideale Arbeitsbedingungen
schafft. So die Idee des preußischen Industriellen Eduard Arnhold. Vor genau 100 Jahren
gründete er die Villa Massimo, ein deutsches Kunstzentrum in der Stadt, die damals
Nabel der Welt für Kunst und Kultur war: Rom. Arnhold ließ Künstlerateliers eigens
einrichten und stellte einen Grundstock an Kapital zur Verfügung. Heute übernimmt
die Förderung der deutsche Kulturstaatsminister mit rund zwei Milliarden Euro pro
Jahr. An diesem Donnerstag hat die Villa Massimo ihr 100-jähriges Bestehen mit einem
Sommerfest gefeiert.
Im Priestergewand taxieren sich zwei Boxer. Der
Schweiß läuft besonders dem Jesuiten von der geröteten Stirn. Nicht nur das Outfit,
auch das Publikum ist bei diesem Boxkampf ungewöhnlich. Denn der Ring ist gesäumt
von der römischen Kunstszene. Ein Happening beim Sommerfest der Villa Massimo in Rom.
Verursacht hat es die Stipendiatin Jana Gunstheimer:
„Dieser
Boxkampf zwischen zwei Priestern ist ein Ausschnitt aus einem Film, den ich mache.
Es ist kein echter Film, ich male die einzelnen Bilder des Films. Der Film handelt
von einem katholischen Priester, einem einsamen alten Mann. Und eine Sequenz ist eben
dieser Boxkampf gegen einen jungen Nachfolger, der versucht, ihn aus seinem Amt zu
drängen.“
Die aus Zwickau stammende Künstlerin ist mit
ihrer Tochter Gerda und ihrem Partner in Italiens Hauptstadt gezogen. Ein paar Ateliers
weiter lebt seit Mitte Februar der Komponist Philipp Maintz.
„Das
ist hier mein Arbeitszimmer, von relativ bescheidenen Ausmaßen… Das hat eine Grundfläche
von 80 qm und eine Deckenhöhe von 8,50 m. Ich habe hier meinen Schreibtisch stehen,
meinen Rechner habe ich mitgebracht und meinen Drucker, das ist das, was ein Komponist
ganz dringend braucht, also quasi den Bleistift und den Radiergummi. Und die Villa
Massimo hat mir freundlicherweise einen funkelnagelneuen Bechstein hier hereingestellt,
der auch vom dortigen Cheftechniker noch mal gerade gezogen wurde. Das ist ein ganz
phantastisches Klavier. Es macht einfach Spaß darauf zu spielen.“
Von
Rom hat Maintz noch nicht so viel gesehen, aber dafür schon eine Oper fertig geschrieben,
ein Quintett Kammermusik steht kurz vor dem Abschluss, als nächstes ist ein Liederzyklus
geplant.
„Das glauben ja alle, dass wir hier in der Villa
Massimo den lieben langen Tag am leider nicht vorhandenen Pool sitzen, ein Cocktail-Glas
in der Hand haben und vom Direktor frische Luft zugefächelt bekommen. Nein, das fällt
aus. Die meisten arbeiten hier tatsächlich sehr stringent und sehr konzentriert. Hin
und wieder treffen wir uns, wenn alle zeitgleich den Bleistift haben fallen lassen.“
Der
Direktor, der eben nicht seinen Stipendiaten ein laues Lüftchen zuwedelt, ist Joachim
Blüher:
„Diese Villa Massimo ist so entstanden: Der Gründer,
Eduard Arnhold, ein überaus erfolgreicher Händler aus Deutschland, hatte sich zunächst
einmal in sozialen Dingen engagiert. Weil er aber ein Freund der zeitgenössischen
Kunst war, hat er sich hier in die Bresche geworfen. Und nach vielen Querelen mit
Historikern und Kunsthistorikern, Botschaftern, auch dem Botschafter beim Heiligen
Stuhl hat er sich aus all diesen Projekten herausgezogen und gesagt: Ich mache etwas
für die Künstler.“
Zu ihrer Gründungszeit lag die Villa
noch vor den Toren Roms. Jetzt ist sie nur wenige Stationen mit der Metro vom römischen
Hauptbahnhof Termini entfernt. Auch wenn die laut lärmende Stadt die prunkvolle Villa
mittlerweile umringt, ist die Villa Massimo ein besonderer Fleck. Sie besitzt eine
kleine, von dicken Mauern umschlossene Parkanlage. Mit Zypressen gesäumte Kieswege
führen zu dem Hauptgebäude und zu den frisch renovierten Künstlerateliers mit ihren
großen Glasfronten. In allen Winkeln stehen verwitterte Skulpturen, kleine Brunnen,
sogar Orangenbäumen gibt es hier.
„Es ist nicht ein Haus,
was hier gebaut wurde, hier wurde lange probiert und hin und her geschoben, bis alles
so war, wie es sein sollte. Hier in dieser Villa ist nichts zufällig, in dieser Villa
ist alles gewollt, in dieser Villa ist alles großzügig vorhanden. Wenn Sie einmal
die Hauptallee der Villa hochgehen, dann sehen sie große antike Vorratsgefäße. Die
stehen dort, aber sie sind gesetzt auf umgekehrte Kapitelle. Diese Chuzpe muss man
erst einmal haben! So die Fundstücke des Antiken zusammenzusetzen. Sie werden es nirgendwo
so sehen, auf jeden Fall nicht so schön wie hier in der Villa Massimo.“
Gibt
es einen leidenschaftlicheren Verfechter der Villa als Joachim Blüher? Seit 2002 ist
er Direktor der Deutschen Akademie. Vorher arbeitete er als Galerist in Köln und New
York. Auch er war einst Stipendiat der Villa. Um die Künstlerherberge ranken sich
natürlich viele Skandalgeschichten. So soll in den 70er Jahren beispielsweise ein
Flügel als Toilette missbraucht worden sein.
„Das hört man,
es ist auch mal ein Harmonium zerhackt worden. Es soll auch einer einen anderen versucht
haben, aus Eifersucht an der Tür festzunageln mit dem Auto. Es wird alles erzählt.
Es ist auch jemand hier ermordet worden, um es mal zu sagen. Aber das waren die italienischen
Jahre. Denn die Villa war ja auch mal italienisch. Das sind die Gossip-Geschichten.
Sie interessieren mich ehrlich gesagt nicht, aber was mich interessiert, sind die
großartigen Dinge, die danach entstanden sind. Ich selbst habe hier in Rom 1979-1980
studiert und habe danach gesagt, es war das schönste Jahr meines Lebens. Viele, die
hier waren, sagen das auch.“
Das Stipendium der Villa Massimo
wird jedes Jahr an zehn Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Literatur
und Musik vergeben. Neben dem großzügigen Atelier bietet es den Eintritt in ein tief
verflochtenes Netzwerk der Kunstszene und pro Monat 2.500 Euro. Damit lässt sich auch
das Atelier in eine Boxarena verwandeln:
„Ich hätte das
sonst nicht in der Realität inszeniert, ich hätte das einfach aus der Vorstellung
gemalt. Ich habe noch nie einen Boxkampf gesehen und ich dachte einfach, ich mache
das mal, ich möchte mir das angucken.“
Schon nach wenigen
Runden ist Schluss mit dem von Stipendiatin Jana Gunstheimer organisierten Happening.
Der Jesuit schlägt mit einem geschickten Haken seinen Herausforderer k.o.. Die Gäste
applaudieren und ziehen weiter zum nächsten Atelier oder auf eine Granatapfel-Limo
an die Bar.