2010-06-08 12:44:01

Gauck: „Auf Dauer hilft Wahrheit!“


RealAudioMP3 Joachim Gauck heißt der Mann der Stunde auf der Bühne der deutschen Bundespolitik. Der von SPD und Grünen für die Bundespräsidentenwahl nominierte Kandidat stielt derzeit Christian Wulff die Schau – sogar der Landesvorsitzende der FDP Sachsen, Holger Zastrow, würdigt den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler als moralische Instanz und Liberalen. Und obwohl eine Mehrheit für Gauck in der Bundesversammlung Ende Juni trotzdem unwahrscheinlich ist, sind die breiten Sympathiebekundungen für den protestantischen Pfarrer aus Rostock Grund genug, im Radio Vatikan Tonarchiv zu stöbern. Im Oktober 2009 war Joachim Gauck in Rom zu Gast und hat sich im Gespräch mit uns dazu geäußert, ob der Vatikan Akteneinsicht in seine Dokumentenlager gewähren soll:

 
„Die Kirchen sollten sich immer fragen, ob Imagepflege das letztgültige Argument ist, wenn sie Entscheidungen suchen. Und ich denke, dass sie das nicht ist, um es ganz deutlich zu sagen! Es ist so, dass sich Verantwortungsträger der Kirche heute scheuen mögen, problematische Unterlagen ihrer Amtsvorgänger oder von Bischöfen oder Gemeindemitgliedern zu veröffentlichen, und das kann man verstehen. Sie haben Sympathie mit ihren Vorgängern und etwas dagegen, dass diese in den Schmutz gezogen werden. Aber auf Dauer hilft Wahrheit!“

 
Als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR war Gauck für die Aufarbeitung von 180 Regalkilometer Spitzelakten verantwortlich. Der Archivalien-Fachmann riet vor diesem Erfahrungshintergrund bei seinem Rombesuch besonders eindringlich:

 
„Immer dann, wenn wir mit der Wahrheit zu unserem Gegenüber gehen, entstehen andere Lösungsvarianten, als wenn wir nur deckeln oder Imagepflege betreiben. In der Wahrheit liegt also ein Segen, auch wenn oft ein Kampf, ein Meinungskampf, vor einem liegt, wenn man die Wahrheit sagt. Und deshalb sind die Varianten, die dichter an der Wahrheit sind, in der Regel vorzuziehen.“

 
Gauck hat im Oktober letzen Jahres nicht wissen können, wie vehement diese Forderung ein halbes Jahr später von verschiedenen Seiten an die Kirche herangetragen werden würde. Fest stand für den Politiker in ganz generellem Sinn aber schon damals:

 
„Es käme darauf an, dass eine Kirche, die sich heute diese Offenheit leistet, in der Lage wäre, die Fehler und Irrtümer und auch die Schuld von Vorgängern öffentlich zu besprechen. Und die Wahrheit von heutigen Akteuren würde darin bestehen, dass sie die Geschehnisse von einst nicht mehr verbirgt, sondern eingesteht: Ja, es war so! Und vielleicht war es falsch, vielleicht war es sogar Sünde.“

 
Am 30. Juni wird in der Bundesversammlung über die Präsidentschaftsnachfolge entschieden werden. Schwarz-Gelb hat eine komfortable Mehrheit von rund 20 Stimmen. Spränge eine größere Zahl der Stimmberechtigten der Koalition ab, würde Christian Wulff den ersten Wahlgang verlieren. Im zweiten und dritten Wahlgang ist nicht mehr die absolute, sondern nur noch eine einfache Mehrheit nötig. Die Wahl Joachim Gaucks als Köhler-Nachfolger gilt somit als unwahrscheinlich.

(rv/diverse 08.06.2010 vp)
 







All the contents on this site are copyrighted ©.