Bartholomaios in Moskau: Die Orthodoxen rücken zusammen
Ein Quantensprung
für die orthodoxen Kirchen: Konstantinopel und Moskau, also sozusagen das zweite und
das dritte Rom, gehen aufeinander zu. Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel war
in den letzten Tagen in Moskau. Das könnte der Anfang von umwälzenden Entwicklungen
in den orthodoxen Kirchen sein. Eine Einschätzung von Thomas Bremer, Ökumene-Experte
aus Münster im Gespräch mit Stefan Kempis. „Die Beziehungen zwischen
dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel und der russischen orthodoxen Kirche
sind in den letzten Jahren einigermaßen belastet gewesen; das hängt zusammen mit strittigen
Fragen um die Zuerkennung von Autokephalie, also von Selbständigkeit. Die kirchliche
Situation in der Ukraine ist davon besonders betroffen und auch einige andere Fragen...
Insofern ist es nach einem Treffen des Ökumenischen Patriarchen mit dem verstorbenen
Patriarchen Alexei und einem ersten Besuch des neuen russischen Patriarchen Kyrill
in Konstantinopel jetzt ein Zeichen für eine langsame Verbesserung der Beziehungen,
dass Patriarch Bartholomaios Moskau und Russland besucht. Und es ist auch interessant,
dass er relativ lange bleibt: Es ist ein Besuch von einer Woche gewesen.“ Was
steckt denn hinter dieser Verbesserung? Warum kommt die jetzt? „Das
ist natürlich von außen schwer zu sagen - aber es hängt wie oft in solchen Fällen
sicher auch mit den konkreten Personen zusammen. Und vielleicht auch mit der Einsicht,
dass die Kirche, die kanonisch an erster Stelle steht (nämlich die von Konstantinopel),
und die Kirche, die mit Abstand die größte orthodoxe Kirche ist (nämlich die russische
orthodoxe Kirche) nicht auf die Dauer in einem Spannungszustand sein können. Beide
Seiten verstehen, dass sie die Beziehungen verbessern müssen.“ Bedeutet
denn das engere Zusammenrücken von Moskau und Konstantinopel jetzt auch etwas Gutes
für den Dialog der orthodoxen mit der katholischen Kirche? „Das
würde ich nicht so direkt in Zusammenhang bringen. Die Orthodoxie bemüht sich trotz
der Spannungen, die es in Ravenna gegeben hat, im Prinzip darum, immer gegenüber der
katholischen Kirche (wie auch gegenüber anderen Kirchen) als die Orthodoxie und als
die orthodoxe Kirche – also im Singular – aufzutreten. Die Spannungen, von denen ich
gerade gesprochen habe und von denen man weiß, dass es sie gibt, sind innerorthodoxe
Spannungen. Die katholische Kirche war bisher immer gut beraten (das hat sie ja zum
Glück so gemacht), nicht zu versuchen, diese Spannungen irgendwie für eigene Zwecke
auszunutzen. Kardinal Kasper hat zum Beispiel sehr deutlich erklärt, dass das Problem,
das damals in Ravenna zwischen der russischen Delegation und der Delegation aus Konstantinopel
aufgetreten ist, ein Problem sei, das die Orthodoxie in sich lösen muss – und nicht
etwas, wozu die katholische Kirche etwas beitragen kann.“ Letzte Frage:
Ist jetzt der Weg frei für ein erstes orthodoxes Großkonzil (oder eine Großsynode)
seit etwa tausend Jahren? „Das so genannte Pan-orthodoxe Konzil
wird seit ca. fünfzig Jahren vorbereitet. Nach einer langen Phase der Stagnation hat
dieser Prozess in den letzten Jahren einen gewissen Fortschritt gemacht, und es ist
sicher so: Wenn der Besuch erfolgreich verläuft und wenn man diese Dinge besprochen
hat, dann ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg zu dieser Pan-orthodoxen Synode,
diesem Pan-orthodoxen Konzil.“ (rv 31.05.2010 sk)