Menschen in der Zeit: Theo Sommer – Journalist, 80 Jahre
‘ Guter Journalismus ist die Kunst, zu sagen, was ist, und anzufügen, was es bedeutet.
’
Hier lesen und hören Sie das Interview mit Theo Sommer. Von Aldo Parmeggiani.
Dr.Theo Sommer wurde
als Sohn Berliner Eltern in Konstanz am Bodensee geboren. Nach dem Abitur studierte
er Geschichte und politische Wissenschaften in Schweden, in Tübigen und in den USA.
Sommer arbeitet seit einem halben Jahrhundert als Journalist. 1958 wurde er politischer
Redakteur bei der ‘Zeit’, deren Chefredakteur er zwanzig Jahre lang war. Dann wurde
er deren Herausgeber. Seit dem Jahre 2000 ist Dr. Sommer Editor-at-large bei der ‘Zeit’.
Außerdem arbeitet Sommer für renommierte ausländische Presseorgane als Kolumnist bei
Newsweek International, Yomiuri Shimbun (Tokio) und Jong Ang Ilbo (Seoul). –
Herr
Dr.Sommer, Sie gehören zu den Großen des modernen deutschen Journalismus, ich danke
Ihnen, dass Sie uns dieses Gespräch gewähren. Seit beinahe 50 Jahren gehören Sie der
bedeutenden deutschen Wochenzeitung ‘Die Zeit’ an, Sie waren deren stellvertretender
Chefredakteur, dann deren Politik-Chef, dann zwanzig Jahre lang Chefredakteur und
schließlich 8 Jahre neben Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt. deren Herausgeber
Ein Journalisten-Dreigestirn, das seinesgleichen sucht. Sie wollten einst entweder
Diplomat, Universitätsprofessor für Zeitgeschichte oder Journalist werden. Offensichtlich
haben Sie die richtige Wahl getroffen. Meine erste Frage ist daher eine ganz einfache
Mussfrage: Was ist guter Journalismus? In drei Worten, bitte:
‘ Guter Journalismus
ist die Kunst, zu sagen, was ist, und anzufügen, was es bedeutet. ’
*Zweite
Frage: welche waren die absoluten Highlights in Ihrer journalistischen Laufbahn?
‘Wenn
ich zurückblicke hatte ich drei große Themen: das eine Thema war Deutschland und die
Ostpolitik, da bin ich sehr früh mit meinen Kollegen für Entspannung,, für Gespräch
und für Dialog eingetreten; das zweite war die nukleare Strategie, mit der ich mich
sehr beschäftigt habe mit Henry Kissinger in Harvard zum Beispiel, - was mich eine
Zeit lang in das Verteidigungsministerium geführt hat, wo ich Planungschef war, und
das dritte Thema war der Aufstieg Asiens, den wir jetzt erst richtig zu spüren bekommen’.
*Tocqueville hat einmal gesagt: die Geschichte ist eine Gemäldegalerie, in
der es viele Kopien gibt, aber wenig Originale. Wer zählt aus Ihrer Sicht zu den Originalen?
‘
In Deutschland nach dem Krieg waren es gewiss Adenauer, der die junge Bundesrepublik
Deutschland fest an den Westen anband, dann war es Brandt, der die Bundesrepublik
nach Osten ausrichtete und eine Balance zwischen Ost und West herbeiführte, und es
war dann sicherlich Helmuth Schmidt der die Deutschen einübte in diese Normalität
und schließlich Helmut Kohl, der die Chance der Wiedervereinigung 1989/90 sehr beherzt
ergriff und dabei Europa nicht den Rücken zukehrte, sondern nun erst recht europäisch
dachte. Auf internationaler Ebene fand ich Kennedy eine interessante Figur, wobei
wir nicht wissen, ob er, wäre er nicht so früh ermordet worden, wirklich alle Hoffnungen
erfüllt hätte, die wir damals in ihm setzten, aber er hat uns ein neues Lebensgefühl,
eine Aufbruchstimmung vermittelt, ebenso wie Obama das jetzt tut. Auch bei ihm steht
ja noch offen, wohin seine Anstrengungen führen.’
*Hängt in dieser Gemäldegalerie
auch ein Bild eines Papstes, den Sie als Original bezeichnen würden?
‘Ich spreche
jetzt nicht als promovierter Historiker, sondern als Journalist, der das in der Zeit
erlebt hat. Und Johannes XXIII war natürlich für mich einer der ganz wichtigen Männer,
Er, Chrustschow und Kennedy haben es verstanden, die Welt auf eine neue Schiene zu
setzen, eine Schiene, die hinwegführte vom Konflikt, von der Konfrontation.’
*
Sie sind ein Kommunikationswissenschaftler, der die Medienszene sowohl mit dem Blick
des Akademikers, als auch mit dem Auge des Praktikers beobachtet und beherrscht. Es
ist heute viel von Werteverlust, Werteverfall, Wertekrise die Rede. Andererseits spricht
man aber auch wieder – im Vergleich etwa zu den ungezähmten 68ger Jahren – von einer
Werte-Renaissance? Was ist nun wirklich der Fall?
‘Ich glaube, dass wir eine
Rückkehr der Werte und der Tugenden erleben. Wie immer in der Geschichte schwingt
das Pendel zurück, wenn eine Bewegung zu weit in die falsche Richtung gegangen ist.
Ich glaube, im Augenblick merken wir - wir merken es gerade in der Wirtschaftskrise
– dass altehrwürdige klassische Tugenden doch nötig sind, um den gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu sichern.’
* Es wird besonders viel und oft vom Wertewandel
in den Medien gesprochen. Die Massenmedien kommen in der öffentlichen Meinung nicht
gut weg. Entspricht diese Sichtweise auch der Meinung eines ausgewiesenen Profis oder
sehen Sie das anders?
‘Schauen Sie, Boulevard haben wir immer gehabt. Boulevard
ist auf Sensation aus, auf Auflage, wobei ich hinzufüge: auch Qualitätszeitungen brauchen
Auflage. Aber wir versuchen doch mit Abstand Dinge zu beurteilen, und nicht nur auf
ihren Sensationswert, sondern auf ihre Bedeutung für den Fortgang in der Geschichte
zu achten.’
* Politiker, Unternehmer, Institutionen, ja selbst die Kirchen
und ihre höchsten Vertreter müssen sich heute – nolens volens – der Diktatur des Bildes
beugen. Wer vor dem Bildschirm nicht besteht, kommt bei den Menschen nicht mehr an
oder anders gesagt; das Bild, das Fernsehen beherrscht weitgehend die Szene?
‘Das
Bild beherrscht die Szene: das hat es aber auch früher getan., als es noch Bibelmalereien
waren, oder die Gemälde der großen Kunst . Jetzt ist es etwas anders geworden, weil
jeder Handelnde sich vor der Kamera beweisen und behaupten muss. Aber das heißt nicht
unbedingt, dass Politik deswegen schlechter sein muss. Man kann auch Gutes, Gehaltvolles
und Qualitätsvolles Fernsehen machen.’
*Wie sieht das Drehbuch der näheren
Zukunft aus? Etwas konkreter gefragt: wird die Demokratie – sprich Rechtsstaatlichkeit
oder werden die Staatsdiktaturen, wie China zum Beispiel, die Oberhand gewinnen? Wird
der Zusammenprall der Kulturen die Weltpolitik beherrschen, Oder wird die Zukunft
gekennzeichnet sein von Kämpfen ums Wasser, Nahrung, saubere Umwelt?
‘Ich glaube
zunächst, dass wir in einem großen weltpolitischen Umbruch drinstecken. Ein Umbruch,
der erinnert an den Aufstieg Europas am Ende des 15. Jahrhunderts – wir haben dann
fast 500 Jahre lang die Welt beherrscht. Er erinnert and den Aufbruch Amerikas des
19. Jahrhunderts. Macht und Wohlstand verschieben sich nach Asien. Und es ist ganz
richtig, dass in Asien ein alternativer Entwurf zu unseren demokratischen Marktwirtschafts-Gesellschaften
entstanden ist. Das wird uns in Zukunft zu schaffen machen. Diese Alternative hatten
wir gedacht, würde sich nie stellen, aber in China, in Singapur, in der ganzen konfuzianischen
Welt, aber auch in Lateinamerika und Afrika findet der autoritäre Kapitalismus seine
Anhänger. Und wir müssen dagegen halten, mindestens müssen wir dafür sorgen, dass
bei uns die Demokratie, so wie wir sie gedacht haben, erhalten bleibt.’
*Kann
Demokratie exportiert werden? Oder sogar mit Waffengewalt auferzwungen werden, wie
es zum Beispiel Georg Bush junior versucht hatte?
‘Ich glaube das nicht, sondern
ich glaube, Demokratie kann man nicht auf der Spitze von Bajonetten exportieren oder
importieren. Demokratie muss wachsen und am ehesten kann man sie verbreiten, indem
man selber beispielhafte Demokratien betreibt.’
*Es ist bekannt, dass sich
die Schere zwischen arm und reich – weltweit – immer mehr öffnet. Die katholische
Soziallehre weist immer wieder mahnend auf diese Tatsache hin und gibt konkrete Ratschläge
und Hinweise dafür, wie eine freie Marktwirtschaft mit Bewahrung sozialer Sicherheit
und Gerechtigkeit auf einen Nenner gebracht werden kann. Was halten Sie von dieser
Soziallehre aus dem Vatikan?
‘Die katholische Soziallehre ist ein ganz wichtiges
Element der westlichen, demokratisch verfassten Gesellschaften und Staaten. Und wir
sehen, gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise, die ja durch unbändige Geldgier und
Habsucht entstanden ist, wie wichtig es ist, darauf zu achten, dass sich die Schere
zwischen arm und reich, zwischen oben und unten, nicht zu weit öffnet. Ich finde,
dass die katholische Lehre ebenso wie andererseits die aus der Sozialdemokratie erwachsene
Vorstellung hier wieder mehr Geltung erlangen müssen. Ich glaube, das ist die Lehre,
die wir aus der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise zu ziehen haben’.
*Emanuel
Kant hat in seinem berühmten Traktat ‘Zum Ewigen Frieden’ gesagt: dass es mit dem
Menschengeschlecht nie besser bestellt sein werde und könne’. Die Welt ändert sich
– nach Kant jedenfalls – nicht. Lebt man auf dem Mond, Herr Dr. Sommer, wenn man auf
einen Mentalitätswandel der Menschen im Guten glaubt? Teilen Sie den Kant’schen Pessimismus?
‘Ich
bin nicht sicher, dass das Pessimismus ist. Ich glaube, es ist Realismus, so wie die
kirchliche Lehre von der Erbsünde einen Teil des Menschen erfasst, der sich wohl nie
ändern wird. Ich glaube, wir müssen – und das hat Kant in seinem Traktat ‘Zum Ewigen
Frieden’ ja gesagt – uns in unendlicher Annäherung einem Zustand nähern, in dem der
Mensch vielleicht doch über die bösen Anlagen in ihm hinauskommt. Aber ich glaube
mit ihm, dass in der Tat sich das Menschengeschlecht so rasch nicht ändern wird oder
ändern lassen wird’.
*Eine letzte Frage: Sie stehen unmittelbar vor Ihrem
80. Geburtstag .Sie haben in Ihrem beruflichen Leben mit zahllosen Artikeln, Vorträgen
und Büchern viele Botschaften ausgesandt. Welche Botschaft würden Sie den Menschen
von heute, vor allem der Jugend, vermitteln?
‘Ich glaube, es gibt ein paar
ganz einfache Grundsätze: erstens, die Ärmel aufkrempeln und arbeiten. Wobei ich in
Klammern hinzufüge: dann muss aber auch den jungen Menschen die Gelegenheit gegeben
werden, zu arbeiten. Zweitens: in allem, was man tut, die goldenen Regeln, die Grundsätze
mitmenschlichen Handelns zu beachten. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’
auch keinem andern zu. Das klingt banal, aber es ist ganz einfach und grundsätzlich
wichtig. Schließlich glaube ich, sollte man sich in Gelassenheit üben und dankbar
sein, für das, was einem ein gütiges Geschick oder der Herrgott hat zu Gute kommen
lassen’.
Möchten Sie am Ende dieses Gesprächs noch einen Abschluss-Gedanken
hinzufügen?
‘Wenn ich etwas ganz Aktuelles bemerken darf: die Kämpfe, die derzeitig
die katholische Kirche, aber nicht nur sie, erschüttern: ich glaube, es liegt darin
auch ein heilsames Element. Dass man die Fehlsamkeit und Sündhaftigkeit des Menschen
erkennt und daraus die Kraft schöpft, und den Anstoß, die Dinge zu bessern, sich selbst
zu bessern, und wieder zu Zuständen zu kommen, die eher unseren Idealen entsprechen,
als unserer mangelhaften Wirklichkeit’.