2010-05-23 10:26:58

Menschen in der Zeit: Theo Sommer – Journalist, 80 Jahre


‘ Guter Journalismus ist die Kunst, zu sagen, was ist, und anzufügen, was es bedeutet. ’

Hier lesen und hören Sie das Interview mit Theo Sommer.
Von Aldo Parmeggiani.

RealAudioMP3 Dr.Theo Sommer wurde als Sohn Berliner Eltern in Konstanz am Bodensee geboren. Nach dem Abitur studierte er Geschichte und politische Wissenschaften in Schweden, in Tübigen und in den USA. Sommer arbeitet seit einem halben Jahrhundert als Journalist. 1958 wurde er politischer Redakteur bei der ‘Zeit’, deren Chefredakteur er zwanzig Jahre lang war. Dann wurde er deren Herausgeber. Seit dem Jahre 2000 ist Dr. Sommer Editor-at-large bei der ‘Zeit’. Außerdem arbeitet Sommer für renommierte ausländische Presseorgane als Kolumnist bei Newsweek International,
Yomiuri Shimbun (Tokio) und Jong Ang Ilbo (Seoul). –

Herr Dr.Sommer, Sie gehören zu den Großen des modernen deutschen Journalismus, ich danke Ihnen, dass Sie uns dieses Gespräch gewähren. Seit beinahe 50 Jahren gehören Sie der bedeutenden deutschen Wochenzeitung ‘Die Zeit’ an, Sie waren deren stellvertretender Chefredakteur, dann deren Politik-Chef, dann zwanzig Jahre lang Chefredakteur und schließlich 8 Jahre neben Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt. deren Herausgeber Ein Journalisten-Dreigestirn, das seinesgleichen sucht. Sie wollten einst entweder Diplomat, Universitätsprofessor für Zeitgeschichte oder Journalist werden. Offensichtlich haben Sie die richtige Wahl getroffen. Meine erste Frage ist daher eine ganz einfache Mussfrage: Was ist guter Journalismus? In drei Worten, bitte:

‘ Guter Journalismus ist die Kunst, zu sagen, was ist, und anzufügen, was es bedeutet. ’

*Zweite Frage: welche waren die absoluten Highlights in Ihrer journalistischen Laufbahn?

‘Wenn ich zurückblicke hatte ich drei große Themen: das eine Thema war Deutschland und die Ostpolitik, da bin ich sehr früh mit meinen Kollegen für Entspannung,, für Gespräch und für Dialog eingetreten; das zweite war die nukleare Strategie, mit der ich mich sehr beschäftigt habe mit Henry Kissinger in Harvard zum Beispiel, - was mich eine Zeit lang in das Verteidigungsministerium geführt hat, wo ich Planungschef war, und das dritte Thema war der Aufstieg Asiens, den wir jetzt erst richtig zu spüren bekommen’.

*Tocqueville hat einmal gesagt: die Geschichte ist eine Gemäldegalerie, in der es viele Kopien gibt, aber wenig Originale. Wer zählt aus Ihrer Sicht zu den Originalen?

‘ In Deutschland nach dem Krieg waren es gewiss Adenauer, der die junge Bundesrepublik Deutschland fest an den Westen anband, dann war es Brandt, der die Bundesrepublik nach Osten ausrichtete und eine Balance zwischen Ost und West herbeiführte, und es war dann sicherlich Helmuth Schmidt der die Deutschen einübte in diese Normalität und schließlich Helmut Kohl, der die Chance der Wiedervereinigung 1989/90 sehr beherzt ergriff und dabei Europa nicht den Rücken zukehrte, sondern nun erst recht europäisch dachte. Auf internationaler Ebene fand ich Kennedy eine interessante Figur, wobei wir nicht wissen, ob er, wäre er nicht so früh ermordet worden, wirklich alle Hoffnungen erfüllt hätte, die wir damals in ihm setzten, aber er hat uns ein neues Lebensgefühl, eine Aufbruchstimmung vermittelt, ebenso wie Obama das jetzt tut. Auch bei ihm steht ja noch offen, wohin seine Anstrengungen führen.’

*Hängt in dieser Gemäldegalerie auch ein Bild eines Papstes, den Sie als Original bezeichnen würden?

‘Ich spreche jetzt nicht als  promovierter Historiker, sondern als Journalist, der das in der Zeit erlebt hat. Und Johannes XXIII war natürlich für mich einer der ganz wichtigen Männer, Er, Chrustschow und Kennedy haben es verstanden, die Welt auf eine neue Schiene zu setzen, eine Schiene, die hinwegführte vom Konflikt, von der Konfrontation.’


* Sie sind ein Kommunikationswissenschaftler, der die Medienszene sowohl mit dem Blick des Akademikers, als auch mit dem Auge des Praktikers beobachtet und beherrscht. Es ist heute viel von Werteverlust, Werteverfall, Wertekrise die Rede. Andererseits spricht man aber auch wieder – im Vergleich etwa zu den ungezähmten 68ger Jahren – von einer Werte-Renaissance? Was ist nun wirklich der Fall?

‘Ich glaube, dass wir eine Rückkehr der Werte und der Tugenden erleben. Wie immer in der Geschichte schwingt das Pendel zurück, wenn eine Bewegung zu weit in die falsche Richtung gegangen ist. Ich glaube, im Augenblick merken wir - wir merken es gerade in der Wirtschaftskrise – dass altehrwürdige klassische Tugenden doch nötig sind, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern.’

* Es wird besonders viel und oft vom Wertewandel in den Medien gesprochen. Die Massenmedien kommen in der öffentlichen Meinung nicht gut weg. Entspricht diese Sichtweise auch der Meinung eines ausgewiesenen Profis oder sehen Sie das anders?

‘Schauen Sie, Boulevard haben wir immer gehabt. Boulevard ist auf Sensation aus, auf Auflage, wobei ich hinzufüge: auch Qualitätszeitungen brauchen Auflage. Aber wir versuchen doch mit Abstand Dinge zu beurteilen, und nicht nur auf ihren Sensationswert, sondern auf ihre Bedeutung für den Fortgang in der Geschichte zu achten.’

* Politiker, Unternehmer, Institutionen, ja selbst die Kirchen und ihre höchsten Vertreter müssen sich heute – nolens volens – der Diktatur des Bildes beugen. Wer vor dem Bildschirm nicht besteht, kommt bei den Menschen nicht mehr an oder anders gesagt; das Bild, das Fernsehen beherrscht weitgehend die Szene?

‘Das Bild beherrscht die Szene: das hat es aber auch früher getan., als es noch Bibelmalereien waren, oder die Gemälde der großen Kunst . Jetzt ist es etwas anders geworden, weil jeder Handelnde sich vor der Kamera beweisen und behaupten muss. Aber das heißt nicht unbedingt, dass Politik deswegen schlechter sein muss. Man kann auch Gutes, Gehaltvolles und Qualitätsvolles Fernsehen machen.’

*Wie sieht das Drehbuch der näheren Zukunft aus? Etwas konkreter gefragt: wird die Demokratie – sprich Rechtsstaatlichkeit oder werden die Staatsdiktaturen, wie China zum Beispiel, die Oberhand gewinnen? Wird der Zusammenprall der Kulturen die Weltpolitik beherrschen, Oder wird die Zukunft gekennzeichnet sein von Kämpfen ums Wasser, Nahrung, saubere Umwelt?

‘Ich glaube zunächst, dass wir in einem großen weltpolitischen Umbruch drinstecken. Ein Umbruch, der erinnert an den Aufstieg Europas am Ende des 15. Jahrhunderts – wir haben dann fast 500 Jahre lang die Welt beherrscht. Er erinnert and den Aufbruch Amerikas des 19. Jahrhunderts. Macht und Wohlstand verschieben sich nach Asien. Und es ist ganz richtig, dass in Asien ein alternativer Entwurf zu unseren demokratischen Marktwirtschafts-Gesellschaften entstanden ist. Das wird uns in Zukunft zu schaffen machen. Diese Alternative hatten wir gedacht, würde sich nie stellen, aber in China, in Singapur, in der ganzen konfuzianischen Welt, aber auch in Lateinamerika und Afrika findet der autoritäre Kapitalismus seine Anhänger. Und wir müssen dagegen halten, mindestens müssen wir dafür sorgen, dass bei uns die Demokratie, so wie wir sie gedacht haben, erhalten bleibt.’

*Kann Demokratie exportiert werden? Oder sogar mit Waffengewalt auferzwungen werden, wie es zum Beispiel Georg Bush junior versucht hatte?

‘Ich glaube das nicht, sondern ich glaube, Demokratie kann man nicht auf der Spitze von Bajonetten exportieren oder importieren. Demokratie muss wachsen und am ehesten kann man sie verbreiten, indem man selber beispielhafte Demokratien betreibt.’

*Es ist bekannt, dass sich die Schere zwischen arm und reich – weltweit – immer mehr öffnet. Die katholische Soziallehre weist immer wieder mahnend auf diese Tatsache hin und gibt konkrete Ratschläge und Hinweise dafür, wie eine freie Marktwirtschaft mit Bewahrung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit auf einen Nenner gebracht werden kann. Was halten Sie von dieser Soziallehre aus dem Vatikan?

‘Die katholische Soziallehre ist ein ganz wichtiges Element der westlichen, demokratisch verfassten Gesellschaften und Staaten. Und wir sehen, gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise, die ja durch unbändige Geldgier und Habsucht entstanden ist, wie wichtig es ist, darauf zu achten, dass sich die Schere zwischen arm und reich, zwischen oben und unten, nicht zu weit öffnet. Ich finde, dass die katholische Lehre ebenso wie andererseits die aus der Sozialdemokratie erwachsene Vorstellung hier wieder mehr Geltung erlangen müssen. Ich glaube, das ist die Lehre, die wir aus der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise zu ziehen haben’.

*Emanuel Kant hat in seinem berühmten Traktat ‘Zum Ewigen Frieden’ gesagt: dass es mit dem Menschengeschlecht nie besser bestellt sein werde und könne’. Die Welt ändert sich – nach Kant jedenfalls – nicht. Lebt man auf dem Mond, Herr Dr. Sommer, wenn man auf einen Mentalitätswandel der Menschen im Guten glaubt? Teilen Sie den Kant’schen Pessimismus?

‘Ich bin nicht sicher, dass das Pessimismus ist. Ich glaube, es ist Realismus, so wie die kirchliche Lehre von der Erbsünde einen Teil des Menschen erfasst, der sich wohl nie ändern wird. Ich glaube, wir müssen – und das hat Kant in seinem Traktat ‘Zum Ewigen Frieden’ ja gesagt – uns in unendlicher Annäherung einem Zustand nähern, in dem der Mensch  vielleicht doch über die bösen Anlagen in ihm hinauskommt. Aber ich glaube mit ihm, dass in der Tat sich das Menschengeschlecht so rasch nicht ändern wird oder ändern lassen wird’.

*Eine letzte Frage: Sie stehen unmittelbar vor Ihrem 80. Geburtstag .Sie haben in Ihrem beruflichen Leben mit zahllosen Artikeln, Vorträgen und Büchern viele Botschaften ausgesandt. Welche Botschaft würden Sie den Menschen von heute, vor allem der Jugend, vermitteln?

‘Ich glaube, es gibt ein paar ganz einfache Grundsätze: erstens, die Ärmel aufkrempeln und arbeiten. Wobei ich in Klammern hinzufüge: dann muss aber auch den jungen Menschen die Gelegenheit gegeben werden, zu arbeiten. Zweitens: in allem, was man tut, die goldenen Regeln, die Grundsätze mitmenschlichen Handelns zu beachten. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu. Das klingt banal, aber es ist ganz einfach und grundsätzlich wichtig. Schließlich glaube ich, sollte man sich in Gelassenheit üben und dankbar sein, für das, was einem ein gütiges Geschick oder der Herrgott hat zu Gute kommen lassen’.

Möchten Sie am Ende dieses Gesprächs noch einen Abschluss-Gedanken hinzufügen?

‘Wenn ich etwas ganz Aktuelles bemerken darf: die Kämpfe, die derzeitig die katholische Kirche, aber nicht nur sie, erschüttern: ich glaube, es liegt darin auch ein heilsames Element. Dass man die Fehlsamkeit und Sündhaftigkeit des Menschen erkennt und daraus die Kraft schöpft, und den Anstoß, die Dinge zu bessern, sich selbst zu bessern, und wieder zu Zuständen zu kommen, die eher unseren Idealen entsprechen, als unserer mangelhaften Wirklichkeit’.

(rv 23.05.2010 ap)







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