Die gegenwärtige Krise, in der sich die Kirche in den deutschsprachigen Ländern befindet,
erschöpft sich nicht allein in den Missbrauchsfällen. Das glaubt der Bischof von Graz,
Egon Kapellari. In Mariazell feierte er einen Gottesdienst für die Teilnehmer einer
großen Konferenz von Pfarrgemeinderäten, die am Wochenende zu Ende ging. Dabei meinte
Kapellari zur Kirchenkrise, sie rühre tiefer und an die eigentliche „Substanz und
Strahlkraft des christlichen Glaubens inmitten einer säkularen Gesellschaft“ überhaupt.
„Bloß pragmatische Maßnahmen würden den Ernst der Krise verkennen und verfehlen.“
Die Kirche müsse sich weiterhin trotz aller Schrumpfungen um „Breite“ bemühen
– und gleichzeitig um die „Dimension Tiefe“. Doch zwischen Breite und Tiefe sei eine
Spannung feststellbar, die zur Zerreißprobe führen könne. Auch sei „die Sozialgestalt
der Kirche heute inmitten einer sehr mobilen Gesellschaft einem Druck zum Wandel ausgesetzt“,
der bald auch die Pfarren noch stärker als bisher erfassen werde, prognostizierte
Kapellari. „Was können, was müssen wir loslassen, was unbedingt behalten? Auf diese
lapidare Frage gibt es keine einfache und übereinstimmende Antwort“.
Der Innsbrucker
Bischof Manfred Scheuer appellierte in Mariazell an Österreichs Katholiken, die gegenwärtige
kirchliche Krise als „Lernort zur Neuorientierung“ zu nutzen. Der von vielen Menschen
empfundene Schmerz über die Enthüllungen in der Kirche könne als „Geburtswehen für
Neues“ verstanden werden. Zugleich warnte Scheuer jedoch vor voreiligem Optimismus:
„Krise bedeutet nicht automatisch Reife und Offenheit für Neues - es bedarf der Unterscheidung
der Geister.“ Wenn man die Krise als Herauforderung und Chance begreife, dann müsse
man sich vor einem Denken hüten, „dass alles für irgendetwas schon gut sein wird.
Das wäre dann eine unzulässige Instrumentalisierung der Kinder“, mahnte Bischof Scheuer
vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle. Stattdessen sei „wahrzunehmen, wo die Krisen
Nährboden für offene Verweigerung und Resignation sind oder wo sie ein Lockruf in
das je größere Abenteuer des Lebens sind.“ Nicht eingestandene Ängste und unbewältigtes
Leiden könnten hingegen zu Verhärtungen und Abstumpfungen beitragen.