Predigt des Papstes bei der Vesper in Fatima - im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern! „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau [...] damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5).
Die Zeit war erfüllt, als der Ewige in die Zeit eingetreten ist; durch das Wirken
und die Gnade des Heiligen Geistes wurde der Sohn des Höchsten empfangen und ist Mensch
geworden im Schoß einer Frau: der Jungfrau und Mutter, Typus und klarstes Urbild der
glaubenden Kirche. Sie hört nicht auf, neue Söhne im Sohn hervorzubringen, ,der nach
dem Willen des Vaters der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein sollte. Jeder von
uns ist aufgerufen, mit Maria und wie Maria ein demütiges und schlichtes Zeichen der
Kirche zu sein, die sich stets neu als Braut in die Hände ihres Herrn begibt. Euch
allen, die ihr euer Leben Christus geschenkt habt, möchte ich heute abend die Wertschätzung
und die Anerkennung der Kirche bekunden. Danke für euer oft stilles und keineswegs
leichtes Zeugnis; Danke für eure Treue zum Evangelium und zur Kirche. In Jesus, der
in der Eucharistie bei uns ist, schließe ich meine hier versammelten Brüder im Priestertum
und die Diakone, die gottgeweihten Frauen und Männer, die Seminaristen und die Mitglieder
der Bewegungen und der neuen kirchlichen Gemeinschaften in die Arme. Der Herr möge,
so wie nur er es kann, all jenen ihre Mühen vergelten, die uns ermöglicht haben, hier
bei Christus in der Eucharistie zu sein, besonders der Bischöflichen Kommission für
Berufungen und pastorale Dienste mit ihrem Vorsitzenden, Bischof António Santos, dem
ich für die freundlichen und brüderlichen Worte zu Beginn der Vesper danke. Hier in
Fatima, das ideell ein „Abendmahlssaal“ des Glaubens ist, zeigt uns die Jungfrau Maria
den Weg für unsere reinen und heiligen Aufopferung in die Hände des Vaters. Erlaubt
mir, euch mein Herz zu öffnen und euch zu sagen, daß die Hauptsorge jedes Christen
und besonders der gottgeweihten Menschen und jener, die am Altar ihren Dienst tun,
die Treue zur eigenen Berufung sein muß, als Jünger, die dem Herrn nachfolgen wollen.
Die Treue auf Dauer ist der Name der Liebe, einer konsequenten, authentischen und
tiefen Liebe zu Christus, dem Priester. „Wenn die Taufe durch die Einverleibung in
Christus und die Einwohnung des Heiligen Geistes ein wahrer Eintritt in die Heiligkeit
Gottes ist, dann wäre es widersinnig, sich mit einem mittelmäßigen Leben zufriedenzugeben,
das im Zeichen einer minimalistischen Ethik und einer oberflächlichen Religiosität
geführt wird“ (Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio
ineunte, 31). In diesem zu Ende gehenden Priesterjahr komme eine Gnadenfülle auf
euch herab, damit ihr in der Freude der Weihe lebt und die priesterliche Treue bezeugt,
die auf der Treue Christi gründet. Das erfordert natürlich eine wahre innige Beziehung
zu Christus im Gebet, denn nur die starke und intensive Erfahrung der Liebe des Herrn
wird die Priester und die gottgeweihten Frauen und Männer dazu hinführen können, auf
seine Liebe in bräutlicher Ganzhingabe zu antworten.
Dieses Leben der besonderen
Weihe an Gott war für das Volk Gottes von Beginn an eine Erinnerung an das Evangelium,
eine Erinnerung, die der ganzen Kirche die Radikalität des Evangeliums und das Kommen
des Reiches zeigt, bestätigt und verkündet. Liebe gottgeweihte Männer und Frauen,
mit eurem Einsatz im Gebet, in der Askese, im Wachstum des geistlichen Lebens, im
Apostolat und in der Mission strebt ihr also dem himmlischen Jerusalem entgegen, nehmt
ihr die Kirche der Endzeit vorweg, die Gott, der die Liebe ist, fest ergriffen hat
und ihn voll Liebe betrachtet. Wie sehr brauchen wir heute dieses Zeugnis! Viele unserer
Brüder und Schwestern leben, als ob es kein Jenseits gäbe, ohne sich um ihr ewiges
Heil zu kümmern. Die Menschen sind dazu berufen, Gott zu suchen, ihn zu kennen und
zu lieben; und die Kirche hat die Aufgabe, ihnen in dieser Berufung zu helfen. Wir
wissen wohl, daß Gott über seine Gaben frei verfügt; die Bekehrung der Menschen ist
eine Gnade. Aber wir sind für die Verkündigung des Glaubens verantwortlich, des ganzen
Glaubens und der Anforderungen, die er mit sich bringt. Liebe Freunde, ahmen wir den
Pfarrer von Ars nach, der so zu Gott gebetet hat: „Gewähre mir die Bekehrung meiner
Pfarrgemeinde, und ich bin bereit, für den Rest meines Lebens all das zu erleiden,
was du willst.“ Und er ließ nichts ungetan, um die Menschen von ihrer Lauheit loszureißen
und zur Liebe zu führen. Unter allen Gliedern des Leibes Christi herrscht eine
tiefe Solidarität: Es ist nicht möglich, Christus zu lieben, ohne seine Brüder und
Schwestern zu lieben. Für ihr Heil wollte der heilige Johannes Maria Vianney Priester
sein: „Die Seelen für den guten Gott gewinnen“, das war seine Erklärung, als er mit
achtzehn Jahren von seiner Berufung sprach. So wie Paulus schrieb: „Möglichst viele
gewinnen“ (1 Kor 9,19). Der Generalvikar hatte zu Johannes Maria Vianney gesagt:
„In dieser Pfarrgemeinde gibt es nicht viel Liebe zu Gott; Sie werden die Liebe hineinbringen.“
In seiner priesterlichen Leidenschaft war der heilige Pfarrer wie Jesus in der Begegnung
mit jedem Sünder barmherzig. Er betonte lieber das Anziehende der Tugend und das Erbarmen
Gottes, vor dessen Angesicht unsere Sünden „Sandkörner“ sind. Er hatte Angst, daß
die Priester „unsensibel“ werden und sich mit der Gleichgültigkeit der Gläubigen abfinden
könnten: „Wehe euch, Hirten“, ermahnte er, „wenn ihr stumm bleibt, während ihr seht,
wie Gott beleidigt wird und die Seelen ins Verderben gehen“.
Liebe Mitbrüder
im Priestertamt, bedenkt es an diesem Ort, dem Maria eine so besondere Bedeutung verliehen
hat, und schaut auf ihre Berufung als treue Jüngerin ihres Sohnes Jesus, von der Empfängnis
an bis unter das Kreuz und dann auf dem Weg der entstehenden Kirche: welch unglaubliche
Gnade ist eure priesterliche Berufung! Die Treue zu seiner Berufung erfordert Mut
und Vertrauen, aber der Herr will auch, daß ihr euch gegenseitig stärkt; sorgt füreinander
und unterstützt euch brüderlich. Die gemeinsamen Zeiten des Gebets und der Fortbildung
sowie das Mittragen der Herausforderungen des priesterlichen Lebens und Wirkens der
Mitbrüder sind ein notwendiger Teil eures Lebens. Wie schön ist es, wenn ihr euch
gegenseitig in euren Häusern aufnehmt und dabei den Frieden Christi in euren Herzen
habt! Wie wichtig ist es, daß ihr einander im Gebet und mit guten Ratschlägen und
Unterscheidungshilfen beisteht! Seid besonders achtsam, wenn die priesterlichen Ideale
manchmal an Kraft verlieren oder wenn jemand Beschäftigungen nachgeht, die nicht ganz
mit dem übereinstimmen, was einen Diener Jesu Christi eigentlich ausmacht. Dann ist
es Zeit, zusammen mit der mitbrüderlichen Herzlichkeit auch die klare Haltung desjenigen
einzunehmen, der seinem Bruder helfen will, „nicht zu fallen“.
Das Priestertum
Christi ist ewig (vgl. Hebr 5,6), doch das Leben der Priester hat nur eine
beschränkte Dauer. Christus will, daß andere das von ihm eingesetzte Weihepriestertum
durch die Zeit hindurch fortsetzen. Bewahrt daher – in euch selbst und in eurem Umfeld
– die Sehnsucht, unter den Gläubigen neue Priesterberufungen zu wecken, indem ihr
dem Wirken der Gnade des Heiligen Geistes zur Seite steht. Das vertrauensvolle und
beharrliche Gebet, die freudige Liebe zur eigenen Berufung und der hingebungsvolle
Dienst der geistlichen Leitung werden euch erlauben, das Geschenk der Berufung in
jenen zu erkennen, die von Gott auserwählt wurden.
Liebe Seminaristen, ihr
habt bereits den ersten Schritt in Richtung auf den Priesterdienst gemacht und bereitet
euch in den Priesterseminaren oder in den Ausbildungshäusern eurer Ordensgemeinschaften
darauf vor. Der Papst ermutigt euch, euch der großen Verantwortung bewußt zu sein,
die euch erwartet: Prüft gut, was ihr erstrebt und was euch bewegt; widmet euch mit
Entschlossenheit und Großzügigkeit eurer Ausbildung. Eure Liebe muß in erster Linie
der Eucharistie gelten, die der Mittelpunkt des christlichen Lebens und eine Schule
der Demut und des Dienstes ist. Die Anbetung, die Verehrung und die Aufmerksamkeit
für das Allerheiligste Sakrament in diesen Jahren werden bewirken, daß ihr später
das Opfer des Altares mit erbaulicher und authentischer Ausstrahlung feiern werdet.
Liebe Priester und Diakone, liebe gottgeweihte Männer und Frauen, liebe Seminaristen
und beauftragte Laien, auf diesem Weg der Treue leitet und begleitet uns die selige
Jungfrau Maria. Mit ihr und wie sie sind wir frei, um heilig zu sein; frei, um arm,
keusch und gehorsam zu sein; frei für alle, weil wir von allem losgelöst sind; frei
von uns selbst, damit in jedem Christus wächst, denn er ist wirklich dem Vater geweiht
und der wahre Hirte, dem die Priester ihre Stimme und ihre Gesten leihen und ihn so
vergegenwärtigen; frei, um den Menschen unserer Zeit den gestorbenen und auferstanden
Christus zu bringen, der bis ans Ende der Zeit bei uns bleibt und sich uns in der
heiligen Eucharistie schenkt.