Papst Benedikt XVI. hat sich am Dienstag auf dem Flug von Rom nach Portugal zum Säkularisierungsprozess,
zur Wirtschaftskrise sowie zu den Missbrauchsskandalen geäußert. Hier eine Dokumentation
der Pressekonferenz in der offiziellen vatikanischen Übersetzung.
Federico
Lombardi: Heiliger Vater, welche Sorgen und Empfindungen verspüren Sie hinsichtlich
der Lage der Kirche in Portugal? Was kann man Portugal sagen, einem Land, das früher
zutiefst katholisch war und den Glauben in die Welt hinausgetragen hat, sich aber
heute in einem tiefgreifenden Säkularisierungsprozess befindet, sowohl im Alltagsleben
als auch im Bereich der Gesetzgebung und der Kultur? Wie kann in einem Umfeld, das
der Kirche gleichgültig und feindlich gegenübersteht, der Glaube verkündet werden?
Benedikt
XVI.: Zunächst wünsche ich Ihnen allen einen guten Tag. Hoffen wir, dass wir trotz
der berühmten Aschewolke, unter der wir uns befinden, eine gute Reise haben. Was Portugal
betrifft, empfinde ich vor allem Freude und Dankbarkeit für all das, was dieses Land
in der Welt und in der Geschichte geleistet hat und leistet, sowie für die tiefe Menschlichkeit
dieses Volkes, die ich bei einem Besuch und im Umgang mit zahlreichen portugiesischen
Freunden kennenlernen konnte. Ich würde sagen, es ist wahr und absolut richtig, dass
Portugal eine große Kraft des katholischen Glaubens gewesen ist und diesen Glauben
in alle Teile der Welt getragen hat; einen mutigen, verständigen und kreativen Glauben;
es hat eine große Kultur geschaffen, wie wir es in Brasilien sehen, in Portugal selbst,
aber auch am portugiesischen Geist, der in Afrika und in Asien zu finden ist. Andererseits
ist die Präsenz des Säkularismus nicht etwas ganz Neues. Die Dialektik zwischen Säkularismus
und Glaube hat in Portugal eine lange Geschichte. Schon im 18. Jahrhundert war die
Aufklärung stark vertreten. Man braucht nur an den Namen Pombal zu denken. So sehen
wir, dass Portugal in diesen Jahrhunderten immer in der Dialektik gelebt hat, die
sich natürlich heute radikalisiert hat und alle Züge des heutigen europäischen Geistes
zeigt. Darin sehe ich eine Herausforderung und auch eine große Chance. In diesen Jahrhunderten
der Dialektik zwischen Säkularismus und Glaube gab es immer Personen, die Brücken
bauen und einen Dialog ins Leben rufen wollten, aber leider dominierte die Tendenz
des Gegeneinanders und des gegenseitigen Ausschlusses. Heute sehen wir, dass genau
diese Dialektik eine Chance darstellt, dass wir die Synthese und einen inhaltsreichen
und tiefgehenden Dialog finden müssen. In dem multikulturellen Umfeld, in dem wir
uns alle befinden, sieht man, dass eine rein rationalistische europäische Kultur ohne
die transzendente religiöse Dimension nicht in der Lage wäre, mit den großen Kulturen
der Menschheit in Dialog zu treten, die alle diese transzendente religiöse Dimension
haben, die eine Dimension des menschlichen Wesens ist. Es ist daher ein Irrtum zu
denken, dass es eine reine, anti-historische Vernunft gibt, die nur in sich selbst
existiert, und dass es sich dabei um „die“ Vernunft handelt; wir entdecken immer mehr,
dass sie nur einen Teil des Menschen berührt, nur eine bestimmte historische Situation
zum Ausdruck bringt und nicht die Vernunft an sich ist. Die Vernunft an sich ist offen
für die Transzendenz, und nur in der Begegnung zwischen der transzendenten Wirklichkeit,
dem Glauben und der Vernunft findet der Mensch sich selbst. Daher denke ich, dass
die Aufgabe und die Sendung Europas in dieser Situation gerade darin besteht, diesen
Dialog zu finden, den Glauben und die moderne Rationalität in eine einzige anthropologische
Sichtweise zu integrieren, die das menschliche Wesen vollständig erfasst und so auch
die Kommunikation unter den menschlichen Kulturen möglich macht. Daher würde ich sagen,
dass die Präsenz des Säkularismus etwas Normales ist, aber die Trennung, das Gegeneinander
von Säkularismus und der Kultur des Glaubens ist anormal und muss überwunden werden.
Die große Herausforderung dieser Zeit ist, dass sich die beiden begegnen und so ihre
wahre Identität finden. Das ist, wie erwähnt, eine Sendung Europas und eine menschliche
Notwendigkeit in dieser unserer Geschichte."
Lombardi:
Danke, Heiliger Vater. Bleiben wir beim Thema Europa. Die Wirtschaftskrise hat sich
in letzter Zeit in Europa verschärft und betrifft in besonderer Weise auch Portugal.
Manche europäische Führungspersönlichkeiten sehen die Zukunft der Europäischen Union
in Gefahr. Welche Lehren können aus dieser Krise gezogen werden, auch auf ethischer
und moralischer Ebene? Was sind die Schlüsselpunkte, um die Einheit und die Zusammenarbeit
der europäischen Länder in Zukunft zu festigen?
Benedikt XVI.: Ich
würde sagen, dass diese Wirtschaftskrise mit ihrer moralischen Komponente, die niemand
übersehen kann, ein Anwendungsbeispiel, ein konkreter Fall von dem ist, was ich vorhin
gesagt habe, nämlich dass sich zwei voneinander getrennte kulturelle Strömungen begegnen
müssen, denn sonst finden wir den Weg in die Zukunft nicht. Auch hier sehen wir einen
falschen Dualismus, nämlich einen wirtschaftlichen Positivismus, der glaubt, sich
ohne die ethische Komponente entfalten zu können, einen Markt, der sich selbst regulieren
soll, allein auf der Grundlage der wirtschaftlichen Kräfte, der positivistischen und
pragmatischen Rationalität der Wirtschaft; die Ethik sei etwas anderes und diesem
Prozess fremd. In Wirklichkeit sehen wir jetzt, dass ein reiner wirtschaftlicher Pragmatismus,
der die Realität des Menschen nicht beachtet - der ein ethisches Wesen ist -, nicht
positiv endet, sondern unlösbare Probleme schafft. Daher ist es jetzt Zeit zu sehen,
dass die Ethik nicht außerhalb, sondern innerhalb der Rationalität und des wirtschaftlichen
Pragmatismus steht.
Andererseits müssen wir auch eingestehen, dass der
katholische, der christliche Glaube oft zu individualistisch war, die konkreten wirtschaftlichen
Dinge der Welt überliess und nur an das individuelle Heil dachte, an die religiösen
Handlungen, ohne zu sehen, dass diese eine globale Verantwortung, eine Verantwortung
für die Welt mit sich bringen. Daher müssen wir auch hier in einen konkreten Dialog
eintreten. In meiner Enzyklika „Caritas in veritate“ habe ich versucht - und die gesamte
Tradition der christlichen Soziallehre geht in diese Richtung -, den ethischen und
den Glauben betreffenden Aspekt über das Individuum hinaus auf die Verantwortung gegenüber
der Welt und auf eine von der Ethik geformte Rationalität auszuweiten. Andererseits
haben die jüngsten Ereignisse auf dem Markt in den letzten zwei, drei Jahren gezeigt,
dass die ethische Dimension innerhalb des wirtschaftlichen Handelns steht und darin
ihren Platz haben muss, denn der Mensch ist eins, und es geht um den Menschen, um
eine gesunde Anthropologie, die alles einschließt, und nur so lässt sich das Problem
lösen, nur so entfaltet und erfüllt Europa seine Sendung.
Lombardi:
Danke. Jetzt kommen wir zu Fatima, dass gewissermaßen auch der geistliche Höhepunkt
dieser Reise sein wird. Heiliger Vater, welche Bedeutung haben heute für uns die Erscheinungen
von Fatima? Als Sie den Text des dritten Geheimnisses im Juni 2000 im Presseamt des
Heiligen Stuhls vorgestellt haben, waren manche von uns und andere Kollegen von damals
dabei, und Sie wurden gefragt, ob die Botschaft von Fatima über das Attentat auf Johannes
Paul II. hinaus auch auf andere Leiden der Päpste bezogen werden kann. Können Ihrer
Ansicht nach auch die durch den Missbrauch von Minderjährigen verursachten Leiden
der Kirche von heute im Rahmen dieser Vision gesehen werden?
Benedikt
XVI.: Ich möchte zunächst meine Freude über die Reise nach Fatima zum Ausdruck bringen
und darüber, vor der Muttergottes von Fatima zu beten, die für uns ein Zeichen der
Gegenwart des Glaubens ist, dass gerade aus den Kleinen eine neue Kraft des Glaubens
geboren wird, die nicht auf die Kleinen beschränkt bleibt, sondern eine Botschaft
für die ganze Welt hat, und die die Geschichte gerade auch in ihrem Heute berührt
und diese Geschichte erleuchtet. Bei der Präsentation im Jahr 2000 habe ich gesagt,
dass eine Erscheinung - das heißt ein übernatürlicher Impuls, der nicht bloß der Vorstellungskraft
der Person entspringt, sondern tatsächlich von der Jungfrau Maria, vom Übernatürlichen
herkommt - dass ein solcher Impuls in das Subjekt eintritt und gemäß den Möglichkeiten
des Subjekts zum Ausdruck gebracht wird. Das Subjekt ist von seinen geschichtlichen,
persönlichen, und charakterlichen Gegebenheiten bestimmt und übersetzt den großen
übernatürlichen Impuls daher in sein Seh-, Vorstellungs- und Ausdrucksvermögen, aber
in diesen Ausdrucksweisen, die vom Subjekt geformt sind, verbirgt sich ein Inhalt,
der darüber hinausgeht, der tiefer ist, und nur im Lauf der Zeit können wir die ganze
Tiefe sehen, die - sagen wir mal - in dieser für die konkreten Personen möglichen
Vision „gekleidet“ war. So würde ich sagen, werden auch hier über die große Vision
des Leidens des Papstes hinaus, die wir in erster Linie auf Papst Johannes Paul II.
beziehen können, Realitäten der Zukunft der Kirche aufgezeigt, die sich nach und nach
entfalten und zeigen. Daher ist es richtig, dass man über den in der Vision gezeigten
Moment hinaus die Notwendigkeit eines Leidens der Kirche sieht, das sich natürlich
in der Person des Papstes widerspiegelt, aber der Papst steht für die Kirche und daher
werden Leiden der Kirche angekündigt. Der Herr hat uns gesagt, dass die Kirche auf
verschiedene Weise immer leiden würde bis zum Ende der Welt. Wichtig ist dabei, dass
die Botschaft, die Antwort von Fatima im Wesentlichen nicht auf bestimmte Andachtsübungen
abzielt, sondern auf die grundlegende Antwort, das heißt die ständige Umkehr, die
Busse, das Gebet und die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. So
sehen wir hier die wahre und grundlegende Antwort, die die Kirche geben muss, die
wir, jeder von uns, in dieser Situation geben müssen. Unter dem Neuen, das wir heute
in dieser Botschaft entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen
den Papst und die Kirche nicht nur von Außen kommen, sondern die Leiden der Kirche
kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert.
Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise:
Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst
aus der Sünde in der Kirche. Und darum ist es für die Kirche zutiefst notwendig, dass
sie neu lernt, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; dass sie einerseits zu vergeben
lernt, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit sieht; denn Vergebung ersetzt
die Gerechtigkeit nicht. Mit einem Wort, wir müssen gerade das Wesentliche neu lernen:
die Umkehr, das Gebet, die Buße und die göttlichen Tugenden. So antworten wir. Seien
wir realistisch darauf gefasst, dass das Böse immer angreift, von Innen und von Außen,
aber dass auch die Kräfte des Guten immer gegenwärtig sind und dass letztendlich der
Herr stärker ist als das Böse. Und die Muttergottes ist für uns eine sichtbare, mütterliche
Garantie der Güte Gottes, die immer das letzte Wort in der Geschichte ist.
Lombardi:
Vielen Dank, Heiliger Vater, für die Klarheit und die Tiefe ihrer Antworten und für
dieses abschließende Wort der Hoffnung, das Sie uns mitgegeben haben. Wir wünschen
Ihnen, dass Sie diese anspruchsvolle Reise in Ruhe machen können und dass Sie sie
auch mit der Freude und der geistlichen Tiefe erleben können, die uns die Begegnung
mit dem Geheimnis von Fatima schenkt. Wir wünschen Ihnen eine gute Reise und werden
uns unsererseits bemühen, unseren Dienst gut zu verrichten und mit Objektivität das
zu verbreiten, was sie tun werden.