Aktenzeichen: Katholiken im Dritten Reich - eine historische Einführung von Aldo
Parmeggiani mit Karl-Joseph Hummel
Glocken am Petersplatz
- Stimme Papst Pius XII. Originalaufnahmen aus dem Jahre 1939. Seither
sind 70 Jahre vergangen. Das Echo hallt in unsere Zeit, eindrucksvoll mahnend, wieder. Das
Verhalten der katholischen Kirche, ihrer Bischöfe, ihrer Priester und ihrer Mitglieder
in den Jahren von 1933 bis 1945 ist nach wie vor eines der umstrittensten Themen
der Zeitgeschichte und ist bis heute von zahllosen Kontroversen und Debatten gekennzeichnet.
Anpassung oder Widerstand, Kollaboration oder Distanz - das sind bis auf den heutigen
Tag die Pole der Kontroversen. Besonders heftig ist der Streit um Papst Pius XII.
und den Holocaust. Namhafte Historiker führen durch das kaum noch überschaubare Gemenge
von gesicherten Fakten und hartnäckigen Geschichtsklischees, von historischen Einsichten
und moralischen Urteilen und Vorurteilen. Ein vor wenigen Wochen im Ferdinand Schöningh-Verlag
München erschienenes Buch mit dem Titel 'Katholiken im Dritten Reich' führt durch
die weit verzweigte, unübersichtliche Forschungs- und Meinungslandschaft und wird
zu einem zuverlässigen Leitfaden. Wer ernsthaft über die katholische Kirche im Dritten
Reich reden will, wird auf diesen Überblick nicht verzichten können. Wie sprachen
mit einem der Autoren, mit Dr. Karl-Joseph Hummel, Direktor der Kommission für
Zeitgeschichte an der Forschungsstelle Bonn.
*Herr Dr.Hummel, wir stehen
am Beginn eines neuen Diskussions-Abschnitts über das umstrittene Thema:
'Katholiken und das 3. Reich'. Wie sieht die Lage derzeit aus? 'Zunächst
dominieren die Erinnerungen der Zeitgenossen, aber die Generation der Miterlebenden
des 'Dritten Reiches' ist inzwischen sehr klein geworden und ist abgelöst worden
durch die so genannten Geschichtspolitiker. Das sind diejenigen, die das 'Dritte
Reich' nicht mehr miterlebt haben, aber ein moralisches Urteil über die Katholiken
und das 'Dritte Reich' fällen. Und dieses moralische Urteil ist meistens aus den
Maßstäben der Nachzeit zusammen gestellt. Und in der dritten Phase kommt dann die Geschichtswissenschaft,
nachdem die Geschichtsbilder schon geprägt sind, mit dem Versuch, diese Geschichtsbilder
durch historische Fakten, durch wissenschaftliche Erkenntnis zu korrigieren. In
dieser Phase sind wir bei dem Thema 'Die Katholiken und das Dritte Reich' inzwischen
angekommen'.
* Ist die Wirkung, die von Hochhuths 'Stellvertreter' ausgegangen
ist jetzt nach 40 Jahren aufgebraucht? Was hat sich verändert, zwischen
1963 und heute? ' Hochhuths 'Stellvertreter', 1963 in Berlin uraufgeführt,
war ein Stück, das damals durch die Zeitumstände begünstigt worden ist. Es herrschte
Anfang der 60ger Jahre eine Aufbruchstimmung in Staat und Gesellschaft, die Kirche steht
unmittelbar vor den Beginn des II. Vatikanischen Konzils und die Zeit ist geprägt
durch eine Ablösung des Antikommunismus der unmittelbaren Nachkriegsjahre durch
das 'aggiornamento', durch die Hinwendung zu einer Dialogbereitschaft mit dem Kommunismus.
In dieser Phase wird manches gegenübergestellt und Pius XII. ist das Symbol für
die Kirche der Vergangenheit, für den Antikommunismus und die Kirche von gestern.
Papst Johannes XXIII. ist das Symbol für die Zukunft der Kirche, für 'aggiornamento'
und Gesprächsbereitschaft. Und in diese Zeitstimmung hinein kommt die These von
Hochhuth, dass Papst Pius XII. aus persönlichem Interesse und aus antijüdischer
Voreingenommenheit mit den Nationalsozialisten zusammen gearbeitet hat. Das trifft
den Nerv der Zeit und wird zu einem theatralischen Welterfolg. Inzwischen - nach
über 45 Jahren - ist diese Wirkung aber nicht mehr feststellbar, denn die Debatten
um den Antikommunismus und die Einstellung zum Bolschewismus spielen nach der Wende
und dem Ende des kalten Krieges keine Rolle mehr. Die Situation innerkirchlich
ist in eine neue Debatte gegangen und vor allem haben wir jetzt nach der Öffnung
der Archive, die Situation, dass wir nachweisen können, dass der 'Bühnenpapst'
Pius XII. Hochhuths Stellvertreter eine reine Kunstfigur ist und den Vergleich
mit den wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen nicht aushält.'
*Herr
Dr.Hummel, welche Folgen hat die Öffnung der verschiedenen Archive auf die
Debatte, die wie eben führen, und von welchen Archiven sprechen Sie genau
? ' Wir hatten als Forscher das Problem, dass wir über 40 Jahre eine Debatte geführt
haben, in der uns archivische Quellen nicht zur Verfügung standen. Inzwischen sind
die vatikanischen Archive bis 1939 geöffnet, wir haben eine Reihe von staatlichen
Archiven, die neue Einsichten erlauben, und andere kirchliche Einrichtungen haben
ihre Archive auch bis mindestens 1939 geöffnet. Das führt dazu, dass wir jetzt
Dinge nachvollziehen können, von denen wir bisher nur geahnt haben, dass sie stattgefunden
haben. Zum Beispiel: einen innerkirchlichen Diskussionsprozess über die Frage Rassismus,
Totalitarismus und Bolschewismus. Hier gibt es sehr detaillierte Unterlagen aus
den dreißiger Jahren, und wir sehen, dass vatikanische Entscheidungen auf Grund
längerer Diskussionen und sehr genauer Überlegungen getroffen worden sind und können
das inzwischen auch begründen. Außerdem stehen inzwischen zum Beispiel die Nuntiaturberichte
zur Verfügung, die besonders interessant sind. Am Beispiel Eugenio Pacellis: der
seit 1917 bis 1929 Nuntius in München und in Berlin gewesen ist, Hier kann eine
ganze Reihe von Streitfragen inzwischen beantwortet werden und müssen nicht weiter offen
bleiben. Wir wissen zum Beispiel sehr genau über den Fortgang und den Ausgang der
Verhandlungen über das Reichskonkordat 1933 und können jetzt feststellen, dass
durch die Entscheidungen, die die deutschen Bischöfe in Deutschland getroffen haben,
das Staatssekretariat im Vatikan praktisch vor vollendeteTatsachen gestellt worden
ist. Es kann keine Rede davon sein, dass Pius XII. - damals als Kardinalstaatssekretär
Eugenio Pacelli - den politischen Katholizimus, die Zentrumspartei geopfert hätte
zu Gunsten eines
Abschlusses für das Reichskonkordat.Und es gibt auch keinen
Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und dem Abschluss
des Reichskonkordates. Also solche wichtige Fragen sind inzwischen entschieden'.
*Was
bedeutet dies alles jetzt für die Einschätzung der Person Eugenio Pacellis,
nämlich Pius XII? 'Wir haben zunächst die Möglichkeit, die Persönlichkeit
Pius XII. in einem breiteren Spektrum zu sehen: er ist nicht mehr reduziert auf
den politischen Papst, nicht mehr reduziert auf den Nuntius, der sich nur um Kirchenpolitik kümmert,
sondern wir sehen inzwischen sehr genau, um welche anderen Themen in der Seesorge,
in der pastoralen Tätigkeit er sich gekümmert hat und wir können inzwischen auch
richtig einschätzen, wie die Verteilung war zwischen der Notwendigkeit in Deutschland
und den Vorgaben, die er aus dem Staatssekretariat in Rom bekommen hat. Als Nuntius
zum Beispiel entsteht das Problem, dass das Zentrum in der Weimarer Republik zusammengearbeitet
hat mit den Liberalen und den Sozialdemokraten, also genau mit den weltanschaulichen
Gegnern des 19. und 20. Jahrhunderts, aber diese so genannte Weimarer Koalition
war notwendig, denn nur zusammen haben Liberale, Sozialdemokraten und Zentrum eine
demokratische Mehrheit, wenigstens bis 1933 sicherstellen können. Und in der Abwägung
zwischen der reinen Lehre der weltanschaulichen Gegnerschaft und der politischen Notwendigkeit
war Pius XII. als Nuntius in Deutschland immer auf der realpolitischen Seite.'
*Sie
haben jetzt wieder einen Blick in die Historie geworfen; mich würde aber
auch interessieren, wie war in Ihren Augen der 'Mensch' Eugenio Pacelli,
alias Pius XII.? 'Über den Menschen erfahren wir eher indirekt aus den Akten,
indem wir zum Beispiel wissen, dass es ein Problem gegeben hat, während des Hitlerputsches,
weil das Staatssekretariat sich nicht schnell genug informiert gefühlt hat. In
dieser Nacht des Hitlerputsches in München war der Nuntius Pacelli an seinem Schreibtisch
und hat sich mit dem Konkordatstext beschäftigt, also es entsteht das Bild eines
unglaublich aktiven, vollinformierten Nuntius, der engen Kontakt sucht zu gesellschaftlichen
Führungskräften, vor allem auch gesellschaftlichen Führungskräften, die nicht unbedingt
seiner Meinung sind. Also es gibt im politischen Bereich, im kirchlichen Bereich
und im Kontakt zu Künstlern eine ganze Reihe von überraschenden Kontakten eines
interessierten, informierten und aktiven Nuntius, der für den kommenden Mann gehalten
wird. Der Bayerische Gesandte beim Heiligen Stuhl hat bereits 1917 vorausgesagt,
dass hier - wenn die Verhältnisse es zulassen - ein Nuntius nach Deutschland gekommen
ist, der unter anderem auch Papst werden könnte.'
*Welche Beispiele gibt
es für neue Perspektiven in der Forschung zu diesem Thema 'Die Katholiken
und das Dritte Reich'? 'Das wichtigste Thema ist zunächst die Debatte über
den Papst, der geschwiegen hat. Wir hatten in der Vergangenheit die Situation,
dass Pius XII. reduziert worden ist auf die Frage: Der Papst und der Holcaust.
Durch die Öffnung der vatikanischen Archive wissen wir, dass hier sehr viel mehr Perspektiven
eine Rolle spielen. Hier kann man eine letzlich gültige Antwort erst geben, wenn
wir die Akten zur Verfügung haben bis 1945 oder 1958. Aber man kann soviel bereits
sagen, dass es wahrscheinlich ein vatikanisches Konzept gegeben hat mit der Bezeichnung
'retten statt reden'. Wenn man die vielfältigen Aktivitäten sieht, die über die
Nuntiaturen unternommen worden sind, um Juden zu retten, dann hat dieses Konzept
'retten statt reden' eben zur Folge, dass es unterhalb der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stattfindet
und das wäre eine Erklärung für das öffentliche, diplomatische Schweigen des Papstes.
Weil das die Voraussetzung für Rettung von Juden gewesen ist. Ein anderes Beispiel
ist, dass wir durch die neuen Akten in die Phase der Kriegsjahre geführt werden.
Bisher lag der Schwerpunkt auf den Friedensjahren und hier stellen sich ganz neue
Themen, wie zum Beispiel die Frage des Klostersturms oder die Frage von Beschäftigung
von Zwangsarbeitern in Einrichtungen der katholischen Kirche oder Fragen der Kriegstheologie oder
andere Fragen, die in den Kriegsjahren eine Rolle spielen, wo es darum geht, zu
überleben, im Wortsinn für die Soldaten, aber eben auch für die Kirche als Institution.
Denn wir wissen inzwischen, dass die Vernichtung der katholischen Kirche in Deutschland
nur aufgeschoben war bis zu dem Tag an dem die militärischen Aktivitäten eingestellt
werden könnten'.
*Was gibt es noch ergänzend zu Ihrem Buch 'Die Katholiken
und das dritte Reich' zu sagen, wie lange haben Sie daran gearbeitet? 'Ich
habe dieses Buch herausgegeben zusammen mit anderen, jüngeren Forschern, weil wir
eine Zwischenbilanz ziehen wollten und in diesem Buch darlegen, welche Fragen,
die wir Jahrzehnte lang diskutiert haben, inzwischen erledigt sind. Dazu gehört
zum Beispiel die Propaganda-Mitteilung, das Reichskonkordat sei der erste internationale
Vertrag gewesen, der Adolf Hitler hoffähig gemacht hat. Davon kann keine Rede sein:
es gibt vierzig weitere Verträge, die da abgeschlossen worden sind. Also wir haben
eine Zwischenbilanz vorlegen wollen, und wir haben in diesem Buch gezeigt, welche neuen
Debatten geführt werden müssen und haben das Ganze ergänzt durch einen Hinweis
auf Bilder, die in die Irre führen. Wir haben in dieser Debatte der letzten Jahrzehnte
einen Kanon von etwa 15 Bildern 'Katholische Kirche im Dritten Reich', die jeweils
durch die Unterschrift in einen Kontext gesetzt werden, wo sie die Aussage des
Bildes praktisch in ihr Gegenteil verkehren. Und das ist in diesem Buch jetzt erstmals
dokumentiert und wir hoffen, dass daraus eine gewisse Wirkung für die zukünftigen
Debatten ausgeht.'