In der Debatte um
Missbrauch wurde in den vergangenen Monaten auch viel über den Zölibat diskutiert.
Für eine Überprüfung der Zölibatspflicht hat sich jetzt die Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Moraltheologen ausgesprochen. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Zölibat und den
Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche lasse sich zwar nicht herstellen, schreiben
die Moraltheologen in einer am Dienstag veröffentlichten Presseerklärung, die auch
an die Deutsche Bischofskonferenz ging. Die Pflicht zur Ehelosigkeit ziehe aber möglicherweise
Kandidaten mit einem unreifen Verhältnis zur eigenen Sexualität an. Im Interview mit
Radio Vatikan erklärt Vorstandvorsitzender Prof. Konrad Hilpert die Details. „Ich
meine damit, dass es einen möglichen oder wahrscheinlichen Zusammenhang gibt zwischen
dem psychisch unreifen Bedürfnis nach Nähe, Bestätigung, sexueller Erfüllung einzelner
Personen gegenüber Kindern und Jugendlichen und ermöglichenden, begünstigenden oder
sogar absichernden Strukturen, die etwas mit Abhängigkeit, Macht, Sakralisierung und
Idealisierung von Personen und Funktionen zu tun haben. Ich vermute, dass es diesen
Zusammenhang gibt.“ Natürlich dürfe man jetzt nicht alle Priester pauschal
verurteilen oder kollektiv haftbar machen, betont Hilpert. Die Missbrauchsfälle in
der Kirche zeigten eher ein anderes Grundproblem auf.
„Die jetzigen des
sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Kindern sind auch so eine Bruchstelle
oder Indikator für eine Problemstelle, die bisher zu wenig wahrgenommen wurde und
die auch in der traditionellen kirchlichen Moral eigentlich gar keinen richtigen systematischen
Ort hat, nämlich die Ausnutzung von Machtgefälle und die Überschreitung von Grenzen.
Dort, wo die umgebenden Verhältnisse sehr nah und intensiv sind. Ich glaube, sexueller
Missbrauch hat nicht selten eben mit Distanzlosigkeit zu tun zwischen Menschen, die
in einem besonderen Vertrauensverhältnis zueinander stehen oder in dieses hineingewachsen
sind.“ Nicht der Zölibat an sich sei zu hinterfragen, stellt der Moraltheologe
klar, sondern die Verpflichtung zu ihm: „Zu hinterfragen ist die kirchenrechtliche
Koppelung, dass nur Menschen, die sich zum Zölibat verpflichten, zum Weiheamt zugelassen
werden. Man muss doch berücksichtigen, dass diese Koppelung historisch entstanden
ist, möglicherweise unter ganz anderen Bedingungen der Sozialisation und des biographischen
Personwerdens und dass sie sich entsprechend der gesellschaftlichen Verhältnisse gewandelt
hat.“ Kirchenvertreter hatten in den letzten Wochen für eine bessere Auswahl
von Priesteramtskandidaten plädiert. Dem Moraltheologen Prof. Hilpert geht dies nicht
weit genug. Er meint, dass die Frage nach der sexuellen Identität der angehenden Seelsorger
immer wieder aufs Neue gestellt werden muss. Hilpert:
„Ich meine sogar,
dass diese Fragen weit über die Phase des Studiums und der Hinführung zu diesem Beruf
eine Rolle hinausreichen, weil nämlich erst im Nachhinein - wenn die Leute in der
Praxis stehen - die eigentlich strapazierenden Anforderungen dieses Berufes kommen,
des Alleinseins, der Überlastung, der Arbeit, der Routine, der stets neuen Suche nach
den Wurzeln, aus denen man seine Anforderungen mit Blick auf die Menschen und Anforderungen
des Evangeliums auch leben kann.“
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Moraltheologen
ist ein Zusammenschluss von Professoren der Moraltheologie, die an deutschen Universitäten
und Hochschulen lehren oder lehrten.