Wochenkommentar von Gundula Gause: Wie Polen in die Zukunft geht
„Noch ist Polen nicht
verloren, solange wir leben.“ Dieser Beginn der polnischen Nationalhymne geht einem
nicht aus dem Sinn in dieser Woche, die vom Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczinsky
beherrscht war.
Am Samstag: die Trauerfeierlichkeiten in Warschau im Beisein
der internationalen Elite von US-Präsident Obama über Frankreichs Präsident Sarkozy
und Kanzlerin Merkel bis zu Russlands Präsident Medwedew. Am Sonntag: das Staatsbegräbnis
in Krakau auf dem Wawel, neben den polnischen Königen. Der Vatikan wird durch Kardinaldekan
Angelo Sodano vertreten. Eine halbe Million Trauergäste werden in Warschau erwartet.
Polen trauert – und mit dem Land die Welt, die auch Todesopfer im Krieg in Afghanistan,
ein schweres Erdbeben in China und einen Asche speienden Vulkan auf Island zu verkraften
hat.
Die Symbolik, die von dem Flugzeugunglück in Smolensk ausgeht, ist fast
unerträglich. Präsident Kaczinsky war mit seiner Frau und führenden Vertretern aus
Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche auf dem Weg nach Katyn. Dort wollte er
– unabhängig von seinem Premier Tusk und dem russischen Premier Wladimir Putin – der
im Jahr 1940 vom sowjetischen Geheimdienst ermordeten polnischen Offiziere gedenken.
Nun kamen Kaczynski und mit ihm 95 hochrangige Repräsentanten Polens fast genau dort
ums Leben.
Katyn – zuvor schon Symbol der polnischen Opfergeschichte – steht
nun für eine zweite unfassbare Katastrophe für dieses Land, das zwischen Hitler und
Stalin, zwischen Nazi-Deutschland und Russland verbrecherisch aufgeteilt werden sollte.
Wie gehen die Polen nun in die Zukunft? Lech Kaczynski war zu Lebzeiten durchaus
umstritten: er gab den extrem konservativen Polen und der nationalen Rechten eine
Stimme, er kämpfte um Polens Bedeutung in der Europäischen Union, als strenggläubiger
Katholik hat er Grundsätze, die vielen zu weit gingen. Er verurteilte Homosexualität
und forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe. Mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw,
auf den Polen nun einmal mehr schauen wird, gründete er 2001 die Partei für Recht
und Gerechtigkeit, eine nationalkonservative Gruppierung, deren erklärtes Ziel die
Integration der populistischen Rechten ins bürgerliche Lager ist. Lech Kaczynski wurde
60 Jahre alt.
Nach dieser Woche der Trauer wird Polen noch lange Zeit im Schockzustand
sein. Die Aufklärung des Flugzeugabsturzes und die Neuwahl eines Präsidenten am 20.
Juni werden aber weitere Schritte sein, die aus der Trauer und in eine wieder NEUE
Zukunft führen.
Noch ist Polen wie gelähmt, aber Polen wird leben! „Noch ist
Polen nicht verloren“ - der Beginn der polnischen Nationalhymne steht auch für die
weltweit geltende Form der Ermunterung: Unmögliches möglich machen, neuen Mut fassen
und nach Vorne schauen!