2010-04-14 11:39:32

Österreich: Regierung will Schutz gegen Kindesmissbrauch verstärken


RealAudioMP3 Die Regierung will die Schutzmaßnahmen gegen Kindesmissbrauch in der österreichischen Gesellschaft verbessern und Kinder wie Erwachsene stärker für das Tabu-Thema Missbrauch sensibilisieren. Das haben Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und Familien-Staatssekretärin Christine Marek nach dem Runden Tisch zum Thema Kindesmissbrauch am Dienstagnachmittag in Wien betont. Sie habe großen Respekt für den Mut der Betroffenen, die jetzt über das Erlebte sprechen, sagte Marek nach dem Expertendialog. Erst dies habe die Chance zu einer breiten gesellschaftlichen Aufarbeitung des Themas ermöglicht. Ziel sei nun ein „breiter gesellschaftlicher Schulterschluss“ für die gewaltfreie Zukunft von Kindern im Land. „Das Tabu darf nicht länger bestehen“, unterstrich auch Ministerin Bandion-Ortner.

Die Ministerinnen kündigten Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Sensibilisierung und für eine bessere Reaktion auf Missbrauchsfälle an. „Wir brauchen das Rad nicht neu erfinden“, auf bestehende Standards und Einrichtung könne aufgebaut werden, sagte Staatssekretärin Marek. Den Runden Tisch sieht sie als „Startschuss“ für einen „breiten und nachhaltigen Prozess“ zum verstärkten Kinderschutz. „Wir müssen das Bewusstsein für das Problem Missbrauch in die Köpfe bringen.“

Konkret wird das Familienministerium ein interdisziplinäres Expertengremium zur Verbesserung des Kinderschutzes zwischen Medizin und Jugendwohlfahrt einrichten, das die Kommunikation und den Informationsaustausch verbessern soll. Eine zweite Expertengruppe wird sich gesondert mit Möglichkeiten zur Eindämmung von sexuellem Missbrauch in „geschlossenen Institutionen“ wie Schulen oder Heimen auseinandersetzen. Ziel ist auch die verstärkte Aus- und Weiterbildung sowie die Sensibilisierung von Pädagogen für Kindesmissbrauch. Hier soll es zusätzliche Ausbildungsstunden sowohl für angehende Lehrer als auch bei schon tätigen Pädagogen geben.

In jeder Staatsanwaltschaft werde in Zukunft ein Staatsanwalt als Anlaufstelle für Missbrauchsfälle genannt, kündigte Justizministerin Bandion-Ortner an. Der Expertendialog habe auch gezeigt, dass die österreichische Gesetzeslage zur Verjährungsfrist und der Anzeigepflicht bei Verdachtsfällen „ausreichend“ sei, sagte die Justizministerin. Österreich nehme hier im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle ein.

Auch der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich wandte sich gegen eine generelle Anzeigepflicht; diese würde laufe dem Kindeswohl zuwider laufen, so Friedrich. Der Jugendpsychiater forderte mehr finanzielle Mittel für den Ausbau der Kinderschutzeinrichtungen in Österreich. „Wir leben zwar in einem reichen Land. Für den Schutz von Kindern brauchen wir aber Geld, Geld und noch mal Geld.“

Am Runden Tisch im Familienministerium beteiligten sich rund 30 Fachleute aus Familienorganisationen, der Jugendwohlfahrt, der Kinder- und Jugendanwaltschaft, dem Kindergarten- und Schulbereich, der Justiz sowie Hilfseinrichtungen für Missbrauchsopfer. Als Experten aus dem kirchlichen Umfeld waren u.a. der Psychiater und Leiter der Wiener Ombudsstelle für Missbrauchsopfer in der Kirche, Johannes Wancata, und die Direktorin des katholischen Schulzentrums der Schulschwestern in der Friesgasse in Wien-Fünfhaus, Schwester Beatrix Mayerhofer, dabei.

Das Thema Missbrauch müsse als bereits gesellschaftliches Problem gesehen werden, betonte Staatssekretärin Marek. „Es ist bei weitem nicht ausschließlich der Kirche zuzuordnen, auch wenn die öffentliche Diskussion auf die Fälle in der Kirche zurückzuführen ist.“ Missbrauch passiere überwiegend im familiären und sozialen Umfeld von Kindern. Ziel des Runden Tisches sei nicht die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche oder die Diskussion von Entschädigungszahlungen gewesen, so Marek. Dies sei Aufgabe der Unabhängige Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic, die eine „sehr engagierte und professionelle Arbeit“ aufgenommen habe, so Marek.

Derweil wurde aus Linz bekannt, dass die Kommission gegen Missbrauch und Gewalt des Bistums in den kommenden Tagen rund 30 erste konkrete Verdachtsfälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter den zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben wird. Das bestätigte Kommissionsleiter Josef Gruber am Dienstag. Insgesamt sind bei der diözesanen Kommission seit Januar rund 100 Hinweise auf Gewalt und sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche eingegangen. Gruber vermutet, dass der Grossteil der gemeldeten Fälle bereits verjährt ist. Es sei aber Teil der zwischen Diözese und Oberstaatsanwaltschaft vereinbarten Vorgangsweise, dass nicht die Kirche, sondern die Staatsanwaltschaft beurteile, ob jetzt gemeldete Missbrauchsfälle strafrechtlich relevant sind. Bei Fällen, die nun der Staatsanwaltschaft übergeben werden, handle es sich fast zur Gänze um Gewalt und Missbrauch durch Priester und Ordensleute. Noch nicht alle rund einhundert seit Januar eingegangenen Hinweise sind im Detail geklärt.

(kap/kipa 14.04.2010 sk)







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