Österreich: Regierung will Schutz gegen Kindesmissbrauch verstärken
Die Regierung will
die Schutzmaßnahmen gegen Kindesmissbrauch in der österreichischen Gesellschaft verbessern
und Kinder wie Erwachsene stärker für das Tabu-Thema Missbrauch sensibilisieren. Das
haben Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und Familien-Staatssekretärin
Christine Marek nach dem Runden Tisch zum Thema Kindesmissbrauch am Dienstagnachmittag
in Wien betont. Sie habe großen Respekt für den Mut der Betroffenen, die jetzt über
das Erlebte sprechen, sagte Marek nach dem Expertendialog. Erst dies habe die Chance
zu einer breiten gesellschaftlichen Aufarbeitung des Themas ermöglicht. Ziel sei nun
ein „breiter gesellschaftlicher Schulterschluss“ für die gewaltfreie Zukunft von Kindern
im Land. „Das Tabu darf nicht länger bestehen“, unterstrich auch Ministerin Bandion-Ortner.
Die Ministerinnen kündigten Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Sensibilisierung
und für eine bessere Reaktion auf Missbrauchsfälle an. „Wir brauchen das Rad nicht
neu erfinden“, auf bestehende Standards und Einrichtung könne aufgebaut werden, sagte
Staatssekretärin Marek. Den Runden Tisch sieht sie als „Startschuss“ für einen „breiten
und nachhaltigen Prozess“ zum verstärkten Kinderschutz. „Wir müssen das Bewusstsein
für das Problem Missbrauch in die Köpfe bringen.“
Konkret wird das Familienministerium
ein interdisziplinäres Expertengremium zur Verbesserung des Kinderschutzes zwischen
Medizin und Jugendwohlfahrt einrichten, das die Kommunikation und den Informationsaustausch
verbessern soll. Eine zweite Expertengruppe wird sich gesondert mit Möglichkeiten
zur Eindämmung von sexuellem Missbrauch in „geschlossenen Institutionen“ wie Schulen
oder Heimen auseinandersetzen. Ziel ist auch die verstärkte Aus- und Weiterbildung
sowie die Sensibilisierung von Pädagogen für Kindesmissbrauch. Hier soll es zusätzliche
Ausbildungsstunden sowohl für angehende Lehrer als auch bei schon tätigen Pädagogen
geben.
In jeder Staatsanwaltschaft werde in Zukunft ein Staatsanwalt als Anlaufstelle
für Missbrauchsfälle genannt, kündigte Justizministerin Bandion-Ortner an. Der Expertendialog
habe auch gezeigt, dass die österreichische Gesetzeslage zur Verjährungsfrist und
der Anzeigepflicht bei Verdachtsfällen „ausreichend“ sei, sagte die Justizministerin.
Österreich nehme hier im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle ein.
Auch
der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich wandte sich gegen eine
generelle Anzeigepflicht; diese würde laufe dem Kindeswohl zuwider laufen, so Friedrich.
Der Jugendpsychiater forderte mehr finanzielle Mittel für den Ausbau der Kinderschutzeinrichtungen
in Österreich. „Wir leben zwar in einem reichen Land. Für den Schutz von Kindern brauchen
wir aber Geld, Geld und noch mal Geld.“
Am Runden Tisch im Familienministerium
beteiligten sich rund 30 Fachleute aus Familienorganisationen, der Jugendwohlfahrt,
der Kinder- und Jugendanwaltschaft, dem Kindergarten- und Schulbereich, der Justiz
sowie Hilfseinrichtungen für Missbrauchsopfer. Als Experten aus dem kirchlichen Umfeld
waren u.a. der Psychiater und Leiter der Wiener Ombudsstelle für Missbrauchsopfer
in der Kirche, Johannes Wancata, und die Direktorin des katholischen Schulzentrums
der Schulschwestern in der Friesgasse in Wien-Fünfhaus, Schwester Beatrix Mayerhofer,
dabei.
Das Thema Missbrauch müsse als bereits gesellschaftliches Problem gesehen
werden, betonte Staatssekretärin Marek. „Es ist bei weitem nicht ausschließlich der
Kirche zuzuordnen, auch wenn die öffentliche Diskussion auf die Fälle in der Kirche
zurückzuführen ist.“ Missbrauch passiere überwiegend im familiären und sozialen Umfeld
von Kindern. Ziel des Runden Tisches sei nicht die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen
in der Kirche oder die Diskussion von Entschädigungszahlungen gewesen, so Marek. Dies
sei Aufgabe der Unabhängige Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic, die eine „sehr engagierte
und professionelle Arbeit“ aufgenommen habe, so Marek.
Derweil wurde aus Linz
bekannt, dass die Kommission gegen Missbrauch und Gewalt des Bistums in den kommenden
Tagen rund 30 erste konkrete Verdachtsfälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch
Kirchenmitarbeiter den zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben wird. Das bestätigte
Kommissionsleiter Josef Gruber am Dienstag. Insgesamt sind bei der diözesanen
Kommission seit Januar rund 100 Hinweise auf Gewalt und sexuellen Missbrauch in der
katholischen Kirche eingegangen. Gruber vermutet, dass der Grossteil der gemeldeten
Fälle bereits verjährt ist. Es sei aber Teil der zwischen Diözese und Oberstaatsanwaltschaft
vereinbarten Vorgangsweise, dass nicht die Kirche, sondern die Staatsanwaltschaft
beurteile, ob jetzt gemeldete Missbrauchsfälle strafrechtlich relevant sind. Bei Fällen,
die nun der Staatsanwaltschaft übergeben werden, handle es sich fast zur Gänze um
Gewalt und Missbrauch durch Priester und Ordensleute. Noch nicht alle rund einhundert
seit Januar eingegangenen Hinweise sind im Detail geklärt.