Nach einem blutigen Aufstand im zentralasiatischen Kirgisistan hat die Opposition
die Machtübernahme verkündigt. In einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur
Reuters forderte sie jetzt Präsident Kurmanbek Bakijew zum Rücktritt auf. Sie wolle
für ein halbes Jahr einer Interims-Regierung leiten, um eine neue Verfassung für Kirgisistan
zu entwerfen. Danach sollten freie und faire Präsidentenwahlen stattfinden, hieß es
weiter. In Bischkek sind Chaos und Gewalt immer noch an der Tagesordnung. Das sagte
uns Bischof Nikolaus Messmer im Interview. Der apostolische Administrator Kirgisistans
war heute Morgen selbst noch in den Straßen der Hauptstadt unterwegs.
„Draußen
auf der Straße und in der Stadt sieht man keine Polizisten! Das heißt, es wird auch
heute Nacht wieder Randale und Diebstähle geben. Gruppen laufen durch die Stadt, machen
alles kaputt. Gebäude sind komplett zerschlagen und angezündet worden… Die Regierung
weiß offenbar nicht, wie er reagieren soll.“
Die Unruhen begannen am Dienstag
in der nordwestlichen Stadt Talas. Am Mittwoch kam es dann in der Hauptstadt rund
um das Regierungsgebäude zu Straßenschlachten, bei denen dutzende Menschen getötet
und hunderte verletzt wurden. Die Oppositionsbewegung speist sich vor allem aus der
armen Bevölkerung des Landes. Warum der seit Monaten gärende Unmut gegen den Präsidenten
Bakijew am Dienstag eskalierte, erklärt sich der Bischof so: „Im Land klafft
eine Schere zwischen Armen und Reichen. Die Armen sind belogen worden, es wurde immer
versprochen: Es wird besser. Aber auf einmal stiegen die Strompreise, die Menschen
hatten keine Arbeit, bekamen wenig Lohn… Wie sollen sie da leben? Das arme kirgisische
Volk ist wirklich zu bedauern! Die Aufständischen sind junge Männer aus der Region,
die Stadteinwohner sitzen dagegen zu Hause und trauen sich kaum auf die Straße.“
Verstärkt
wurde die Gewaltbereitschaft offenbar durch den fünften Jahrestag der so genannten
„Tulpenrevolution“: Bereits vor fünf Jahren hatte die Oppositionsbewegung der zentralasiatischen
Exsowjetrepublik versucht, gegen das damalige Regime anzugehen. Der jetzige Präsident
Kurmanbek Bakijew hatte die Revolution zur Machtergreifung genutzt. Unter seiner Führung
wurden demokratische Ansätze wieder zurückgefahren. Medienberichten zufolge hat er
sich jetzt in die Nachbarrepublik Kasachstan abgesetzt, so dass das Land zurzeit ohne
offizielle Führung ist. Moskau und Washington haben unterdessen alle Beteiligten zur
Zurückhaltung aufgerufen. Das Land ist für Russland und die USA von strategischem
Interesse, da beide dort Militärstützpunkte unterhalten. Die USA versorgen auf diesem
Wege auch ihre Truppen in Afghanistan. - Kirgisistan grenzt im Norden an Kasachstan,
im Südosten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan. Das Land
ist seit der Islamisierung im 8. Jahrhundert vorwiegend muslimisch geprägt. Zweitstärkste
Religionsgruppe ist das Christentum, 20 Prozent der Bevölkerung sind russisch-orthodox,
während ein anderer Teil auf die Nestorianer zurück geht. Seit ihrer Unabhängigkeit
im Jahr 1991 ist die Kirgisische Republik ein säkularer Staat.