2010-04-08 13:27:37

Kirgisistan: Aufstand in Russlands Hinterhof


Nach einem blutigen Aufstand im zentralasiatischen Kirgisistan hat die Opposition die Machtübernahme verkündigt. In einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters forderte sie jetzt Präsident Kurmanbek Bakijew zum Rücktritt auf. Sie wolle für ein halbes Jahr einer Interims-Regierung leiten, um eine neue Verfassung für Kirgisistan zu entwerfen. Danach sollten freie und faire Präsidentenwahlen stattfinden, hieß es weiter. In Bischkek sind Chaos und Gewalt immer noch an der Tagesordnung. Das sagte uns Bischof Nikolaus Messmer im Interview. Der apostolische Administrator Kirgisistans war heute Morgen selbst noch in den Straßen der Hauptstadt unterwegs.

„Draußen auf der Straße und in der Stadt sieht man keine Polizisten! Das heißt, es wird auch heute Nacht wieder Randale und Diebstähle geben. Gruppen laufen durch die Stadt, machen alles kaputt. Gebäude sind komplett zerschlagen und angezündet worden… Die Regierung weiß offenbar nicht, wie er reagieren soll.“

Die Unruhen begannen am Dienstag in der nordwestlichen Stadt Talas. Am Mittwoch kam es dann in der Hauptstadt rund um das Regierungsgebäude zu Straßenschlachten, bei denen dutzende Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. Die Oppositionsbewegung speist sich vor allem aus der armen Bevölkerung des Landes. Warum der seit Monaten gärende Unmut gegen den Präsidenten Bakijew am Dienstag eskalierte, erklärt sich der Bischof so:
„Im Land klafft eine Schere zwischen Armen und Reichen. Die Armen sind belogen worden, es wurde immer versprochen: Es wird besser. Aber auf einmal stiegen die Strompreise, die Menschen hatten keine Arbeit, bekamen wenig Lohn… Wie sollen sie da leben? Das arme kirgisische Volk ist wirklich zu bedauern! Die Aufständischen sind junge Männer aus der Region, die Stadteinwohner sitzen dagegen zu Hause und trauen sich kaum auf die Straße.“

Verstärkt wurde die Gewaltbereitschaft offenbar durch den fünften Jahrestag der so genannten „Tulpenrevolution“: Bereits vor fünf Jahren hatte die Oppositionsbewegung der zentralasiatischen Exsowjetrepublik versucht, gegen das damalige Regime anzugehen. Der jetzige Präsident Kurmanbek Bakijew hatte die Revolution zur Machtergreifung genutzt. Unter seiner Führung wurden demokratische Ansätze wieder zurückgefahren. Medienberichten zufolge hat er sich jetzt in die Nachbarrepublik Kasachstan abgesetzt, so dass das Land zurzeit ohne offizielle Führung ist. Moskau und Washington haben unterdessen alle Beteiligten zur Zurückhaltung aufgerufen. Das Land ist für Russland und die USA von strategischem Interesse, da beide dort Militärstützpunkte unterhalten. Die USA versorgen auf diesem Wege auch ihre Truppen in Afghanistan. - Kirgisistan grenzt im Norden an Kasachstan, im Südosten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan. Das Land ist seit der Islamisierung im 8. Jahrhundert vorwiegend muslimisch geprägt. Zweitstärkste Religionsgruppe ist das Christentum, 20 Prozent der Bevölkerung sind russisch-orthodox, während ein anderer Teil auf die Nestorianer zurück geht. Seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991 ist die Kirgisische Republik ein säkularer Staat.



(rv/diverse 08.04.2010 pr)
 







All the contents on this site are copyrighted ©.