2010-04-01 11:21:45

D: „Kirche der Sünder, Kirche der Heiligen“


Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann sieht die katholische Kirche wegen der Missbrauchsfälle in einer tiefen Krise. In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom Donnerstag schreibt Lehmann, die Kirche dürfe sich nicht wundern, wenn sie jetzt an jenen Kriterien gemessen werde, mit denen sie selbst sonst ihre sittlichen Überzeugungen vertrete. Es habe „keinen Sinn, mit dem Finger zuerst auf andere zu zeigen“, so der Kardinal wörtlich. Die Kirche werde „auch als Institution ins Mark getroffen, wenn wir das gelebte Zeugnis des Evangeliums Jesu Christi verweigern“. Zugleich zeigt er sich aber auch erleichtert darüber, „dass nun vieles an den Tag kommt“.

Lehmann gesteht ein, dass die Kirche, ebenso wie die Wissenschaft, Pädophilie und damit auch die Fähigkeit von Tätern zur Umkehr und zur Heilung lange Zeit überschätzt habe. „Im guten Glauben haben wir uns oft auf den erklärten guten Willen verlassen“, schreibt der Kardinal. „Deshalb kam es auch zu den falschen und schon seit längerer Zeit gewiss unverzeihlichen Praktiken, einen überführten und manchmal auch rechtskräftig verurteilten Täter einfach an eine andere Stelle zu versetzen.“ Lehmann nennt es tragisch, dass die Lehre der Kirche zwar nie einen Zweifel daran geduldet habe, dass jede Form von sexuellem Missbrauch verwerflich sei, „die Verantwortlichen in der Kirche im eigenen Umfeld in manchen Fällen aber doch nicht mit der letzten Akribie und Unabhängigkeit lückenlose und unbestechliche Aufklärung betrieben haben“.

Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz führt diesen Umstand auf mehrere Ursachen zurück: Die Einstellung, „sich mehr um die Täter kümmern zu müssen als um die Opfer“, den Versuch, „durch schnelles Abwehren und Verdecken eines Verdachts oder gar einer Verfehlung die Institution Kirche und gerade auch Amtspersonen unter allen Umständen vor einem Makel zu bewahren“ sowie hier und da „Kumpanei, wie sie in manchen geschlossenen Systemen" möglich sei. Zugleich nimmt Lehmann die Bischöfe gegen den Vorwurf der Untätigkeit in Schutz. Die seit 2002 geltenden Leitlinien der Bischofskonferenz hätten sich im Grundsatz bewährt. Zu bedenken sei bei einer Revision, ob die kircheninternen Ermittlungen in neutrale Hände gelegt und ob die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden in jedem Einzelfall zur Pflicht gemacht werden sollte. Bedacht werden muss nach den Worten des Kardinals auch, „inwieweit die priesterliche Lebensform in höherem Maß pädophil veranlagte Männer anziehen kann, zumal im Blick auf ein Engagement in kirchlichen Einrichtungen“.

(kna/faz 01.04.2010 sk)









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