Palmsonntag in Jerusalem
ist für Pilger ein besonders eindrückliches Erlebnis. In den diversen Kirchen der
Stadt wird die klassische Tages-Liturgie gefeiert – und danach sammelt sich alles
für die traditionelle Prozession auf den Spuren Jesu über den Ölberg. Gabi Fröhlich
berichtet vom Auftakt der großen Feiern in der Heiligen Stadt, wo dieses Jahr Ost-
und Westkirchen in einer Art liturgischem Tohuwabohu gleichzeitig die Kartage und
Ostern feiern. Sonne, Jubel und Ausgelassenheit bestimmen das Bild auf dem Ölberg:
Eine geradezu anarchische Prozession schlängelt sich vom biblischen Bethfage über
den Berg durch das Kidrontal bis zur Sankt Anna-Kirche in der Altstadt. Allen voran
die arabischen Pfadfinder. Ihnen folgen in sponter Abfolge Gruppen aus dem In-
und Ausland, jede mit ihren Instrumenten und Liedern, manche tanzend. Jeder schließt
sich dort an, wo es ihm am besten gefällt. Muslimische Kinder versuchen, für einige
Dollar Palmwedel oder Olivenbaumzweige an den Mann zu bringen – für jene, die sich
nicht schon vorher eingedeckt haben. Die bunte Ölberg-Prozession bildet einen
starken Kontrast zu der würdigen Feier am frühen Morgen in der Grabeskirche, bei der
Priester und Gläubige mit rauschenden Palmwedeln um die Kapelle mit dem Grab Christi
geschritten sind. Durcheinander gab es allerdings auch dort: Kopten, Armenier und
Griechen feierten gleichzeitig ihre Liturgien in anderen Ecken der Kirche. Vor allem
der koptische Vorsänger hatte manche Mühe, gegen die katholische Orgel und die Unterhaltungen
seiner auf Campingstühlen lagernden Gläubigen anzusingen. Dennoch blieb die Stimmung
freundlich, man grüßte sich von Prozession zu Prozession und wünschte sich ein frohes
Fest. Die Orthodoxen hatten übrigens ihre Ölberg-Prozession bereits am Samstag gehalten. Für
die Christen bedeuten die kommenden Tage etwas Ruhe vor dem eigentlichen Sturm, der
am Gründonnerstag beginnt. Dafür feiern die Juden am Dienstag ihr Pessachfest, für
das am Montag das große Reinemachen stattfand: Kein ungesäuertes Brot darf mehr im
Haus sein, verdächtige Lebensmittel werden verbrannt, Töpfe und Besteck rituell gereinigt
– so wie im ultraortodoxen Viertel Mea Shearim. Wegen des Pessachfestes sind übrigens
alle Checkpoints zwischen Westjordanland und Jerusalem für eine Woche geschlossen
– ein Umstand, auf den der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Fouad Twal, in seiner
Ansprache zum Abschluss der großen Palmsonntagsprozession anspielte. Jesus sei ohne
Mauer und Checkpoints in seine Stadt gezogen, sagte er. Die Liebe jedoch werde den
letzten Sieg über alles Übel herbeiführen. Doch nach seinem Segen – verschlang das
ausgelassene Fest für einige Zeit wieder alle Schatten. (rv 29.03.2010 gf)