Dialogexperte: „Jeder Religion ihre eigene christliche Theologie“
Die verschiedenen
Religionen auf der Welt verlangen als Antwort verschiedene christliche Theologien.
Das ist die zentrale Forderung von Francis Tiso, lange Jahre Beauftragter für den
interreligiösen Dialog der US-amerikanischen Bischofskonferenz. Am Rande einer Veranstaltung
an der Päpstlichen Hochschule Gregoriana in Rom erklärte er gegenüber Radio Vatikan,
warum jede Religion mit einer spezifischen Antwort seitens des Christentums bedacht
werden sollte:
„Wenn wir den Islam, den Buddhismus, das Judentum, alle unter
‚die anderen’ subsumieren, nehmen wir nicht nur uns selbst nicht ernst, sondern auch
unsere Dialogpartner. Jeder einzelne verdient die besondere Aufmerksamkeit durch die
katholische Theologie im Bezug auf ihre spezifischen Anliegen. Das betrifft das Judentum
genauso wie den Islam. Das Schöne an der Zeit, in der wir leben, ist ja, dass wir
zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit haben, die jeweiligen Schriften in
Übersetzung zu lesen und diese Leute auch wirklich zu treffen – manchmal nebenan.
Da kann man den Anderen einfach nicht verfehlen, wenn man ihm zuhört. Deshalb ist
es auch so wichtig, dass wir eine christliche Antwort darauf formulieren.“
Davon
könne auch die christliche Theologie profitieren. Am Beispiel des Buddhismus macht
Tiso das deutlich. Hier seien die Beziehungen unbelastet, weil Buddhisten nicht an
einen Mensch gewordenen Gott oder an einen Schöpfergott glaubten. Das könne im Gegenzug
dazu führen, dass auch das christliche Sprechen über Jesus durch diese Auseinandersetzung
eine neue Qualität erfahre:
„Die schöne Sache an unserem Dialog mit den
Buddhisten ist, dass sie nicht an Gott als Schöpfer glauben. Aber sie gehen davon
aus, dass der Mensch in sich die Anlagen trägt, die ihn eine geistliche Freiheit erreichen
lassen können. Das ist genau das, was wir ja auch für das Christentum sehen: Durch
den Glauben an Christus und durch Christus selbst erreichen wir geistliche Freiheit.
Das ist Erlösung, das ist Rettung. Wenn wir mit den Buddhisten reden, erleben wir,
wie diese den ganzen Komplex von Leib und Seele erklärt haben. Und wie sie so etwas
wie ‚Reinigung’ und moralische Erbauung verstehen. Über diese Überlegungen, nämlich,
wer wir sind und was wir sind, bekommen wir auch bemerkenswerte Hinweise darauf, wer
Jesus war.“
Drängender scheint in diesen Tagen der Dialog mit dem Islam.
Hier sei es wichtig, dass man sich über die klaren Begrenzungen auf beiden Seiten
des Dialogs bewusst sei, so Tiso. Manche Auslegungen, etwa die Göttlichkeit Jesu und
seine Sohnschaft, seien für die Muslime unter keinen Umständen hinnehmbar. Ebenso
unmöglich wäre aber auch deren Leugnung für Christen. Habe man das klar vor Augen,
könne man über die vielen Bibelzitate des Koran, aber auch über die sufistische Tradition
ins Gespräch einsteigen.
„Es ist wichtig, dass wir wissen, wozu wir ‚Ja’
und die Muslime ‚Nein’ sagen. Gleichzeitig ist es interessant zu sehen, dass der Koran
dezidiert zu einem Dialog mit den anderen Buchreligionen auffordert. Wir müssen vor
allem die frühen Suren lesen. Wir müssen über die bemerkenswerten Einsichten des Islams
über die Geschichten der Bibel nachdenken – etwa die Josefgeschichte oder die Geburt
Jesu. Viele Traditionen der ostchristlichen Theologie finden sich da wieder. Und dann
gibt es auch bei den Sufis viele Anlehnungen an Jesus, der in dieser Tradition als
ein großer mystischer Lehrer gilt.“
Interreligiöser Dialog heißt für Francis
Tiso konkret: Gespräche auf allen Ebenen. Auf nationaler Ebene, aber auch in den Gemeinden
und Pfarreien. In den Vereinigten Staaten beispielsweise sei durch die Wirtschaftskrise
der Dialog auf offizieller Ebene in weiten Teilen eingefroren worden. Da sei die regionale
Ebene umso wichtiger. Gleichzeitig müssten aber auch dort gewisse Standards erfüllt
sein:
„Dafür müssen allerdings auch die vor Ort Verantwortlichen die Zeit
aufwenden, verfügbar sein und Gesprächsgruppen anleiten. Wenn das nicht gelingt,
besteht das Risiko, dass der Dialog in den Pfarreien übernommen wird von Leuten, die
zwar engagiert sind, aber von der eigenen und anderen Religionen nicht wirklich eine
Ahnung haben. Das hilft dem Dialog nicht, sondern verwirrt ihn eher. Die andere Gefahr
ist, den gesamten Dialog zu akademisieren, d.h. an die Uni zu bringen. Das mag dann
zwar fachlich brillant sein, aber es ist eben nicht das tägliche Leben, in dem die
Begegnung normalerweise stattfindet.“
Damit das gelingt, gehöre natürlich
eine entsprechende Ausbildung für die Verantwortlichen dazu. Diese müsse breit angelegt
sein. Der gesamte kulturelle Dialog solle mit einfließen und so eine ganzheitliche
und weltweite Vision vom Frieden entstehen. Tiso:
„Ich würde mir wünschen,
dass, wenn es um die Befähigung auf dem Gebiet des interreligiösen Dialog geht, Menschen
nicht nur auf akademischem Gebiet fit gemacht werden, sondern auch durch gegenseitige
Praktika etc. Die interreligiösen Netzwerke entstehen heute ganz von selbst. Aufgabe
akademischer Institutionen muss es nun sein, hier einen Prozess der Reflexion zu initiieren
und diesen zu begleiten. Das kann einen ‚Dialog der Zivilisationen’ befördern, der
Menschen dazu anhält, Frieden zu schaffen. Frieden über die großen Gräben der Geschichte
hinweg. Denn das ist unsere Aufgabe.“