2010-03-20 15:55:19

Türkei: „Europa muss offen bleiben!“


RealAudioMP3 Die Türkei und Europa – das scheint eine endlose Geschichte zu sein. An der Frage des EU-Beitritt des Landes scheiden sich politisch die Geister, andere sehen die kulturelle Identität Europas bedroht. Das muss doch auch irgendwie anders gehen! Dominik Skala im Gespräch mit einem deutschen Diplomaten.

Die Identität Europas darf man nicht auf dem Status quo einfrieren. Das ist die zentrale Forderung von Rudolf Schmidt, langjähriger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei. An der römischen Jesuitenuniversität Gregoriana warb er in der vergangenen Woche für einen dynamischen Identitätsbegriff, der auch in der Zukunft noch neue Beziehungen Europas zu anderen Ländern, insbesondere der Türkei, möglich mache.

„Das Problem ist, dass der Begriff ‚Identität’ die Gefahr in sich birgt, sich selbst abzuschließen in dem gegenwärtigen Zustand, in dem man ist. Ungefähr so: ‚Das ist unsere Identität, wir müssen sie bewahren und verteidigen.’ Ich würde sagen: Unsere Identität als Europa sollte gerade darin bestehen, dass wir – so wie wir uns in den vergangenen Jahren institutionell und kulturell weiter entwickelt haben – auch in Zukunft offen bleiben für weitere Entwicklungen.“

Schmidts großes Thema sind die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Die Türkei habe, so Schmidt, eigentlich seit dem 19. Jahrhundert eine Europäisierungsgeschichte durchlaufen, inklusive weitgehender Säkularisierung und Beitritt zum Europäischen Rat und zur NATO. Im Bezug auf den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, die sich über ein gemeinsames „kulturelles, religiöses und humanistisches Erbe“ definiere, stockten die Verhandlungen aber vordergründig aus politischen Gründen.

„Es stockt aus zwei Gründen. Der erste ist, dass einige Mitgliedsstaaten sich in den Verhandlungen so verhalten, dass die Verhandlungen langsamer vorangehen. Technisch gesagt: Sie widersetzen sich der Öffnung neuer Verhandlungskapitel. Aber das wirklich große Problem ist die Frage nach Zypern. Zypern unter seiner zyprisch-griechischen Regierung ist Mitglied der Union und Zypern ist nach wie vor geteilt. Offenbar hat die Türkei einen anderes Verständnis über die Einigung Zyperns als die zyprisch-griechische Regierung und das ist ein schwieriges Problem.“

 
Ein Miteinander von Türkei und Europäischer Union setze auch einen Wandel auf beiden Seiten voraus. Ein wichtiger Punkt sei dabei, die Multireligiosität sowohl in Europa als auch in der Türkei endlich ernst zu nehmen. In Europa tue man sich da mit Blick auf den Islam oft noch schwer. Aber, so Schmidt, vor allem die Türkei habe sich da weiterzuentwickeln:

„Für die Türkei gilt auch, dass sie eine multireligiöse Gesellschaft ist, wenn auch mit einer riesigen Mehrheit an sunnitischen Muslimen. Es gibt aber auch christliche Gemeinden in der Türkei und es gibt die große Gruppe der Alleviten, einer Sonderform des Islam. Das muss die Türkei anerkennen und sie sollte den Christen nicht nur das individuelle Recht auf Religionsfreiheit zugestehen, sondern auch den christlichen Gemeinden einen sicheren Status geben.“

Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit Europas mit der Türkei speise sich aber auch aus anderen Motiven, so Schmidt. Europas Funktion im Mittleren Osten werde immer wichtiger, weshalb es entscheidend sei, die Türkei als langfristigen und zuverlässigen Partner nicht zu vergraulen.

„Ansonsten glaube ich, dass Europa mehr und mehr eine außenpolitische Rolle wird spielen müssen, gerade auch in der Region des Mittleren Ostens. Da müssen wir lernen, dass wir die Beziehungen zur Türkei dazu nutzen können. Für die Türkei selbst: Sie wird vielleicht irgendwann die Lust verlieren und sagen: ‚Wir haben jetzt so lange gewartet, wir wollen selbstständig bleiben und uns nicht mehr in die EU integrieren.’ Das birgt natürlich gewisse Risiken.“

Positiv gewendet kann sich Rudolf Schmidt das Miteinander von Türkei und Europa durchaus als Modell für das Miteinander in der Welt vorstellen. Das erfordere aber neue Formen des Miteinanders und einen Mentalitätswandel, etwa ganz im Sinne Johannes Paul II., der sich immer wieder ein geeintes Europa in aller erforderlichen Vielfalt gewünscht habe.

„Tatsache ist, dass wir als Folge einer Globalisierung, die ja weit über das Wirtschaftliche hinausgeht, immer enger in Verbindung sind mit Menschen anderer Nationen, Kulturen und Religionen. Das wir für diese Nähe, für dieses Angewiesensein und diese Abhängigkeiten neue Formen finden müssen, ist die wesentlich Aufgabe, vor der wir stehen. Die wesentliche Voraussetzung dafür ist aber, dass wir alle dazu bereit sind.“

(rv 20.03.2010 ds)







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