Europa und das Christentum: Eine Kolumne von Botschafter Hans Henning Horstmann
Jeden Monat kommentiert der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. Hans Henning
Horstmann, für uns herausragende Ereignisse. In diesem März beschäftigt sich die Kolumne
des Diplomaten mit dem heiligen Benedikt.
„Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte
Hörer, der Abt des Benediktinerklosters von Montecassino hat für den 21. März zum
traditionellen Feiertag des Heiligen Benedikt, Schutzpatron von Europa, die europäischen
Botschafterinnen und Botschafter beim Heiligen Stuhl zu einer Festmesse eingeladen,
die von dem Kardinalstaatssekretär zelebriert werden wird. Dieser Festgottesdienst
zu Ehren des Schutzpatrons von Europa hat Tradition. Die Teilnahme des italienischen
Außenministers, insbesondere aber auch des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission
Antonio Tajani und einer Vielzahl europäischer Vertreter beim Vatikan sind sichtbares
Zeichen für die enge Verbundenheit von Kirche und Europa. Ich selbst werde zusätzlich
am traditionellen Benedikt-Fest des Benediktiner-Kollegs von Sant'Anselmo in Rom teilnehmen.
Also: zwei Ehrentage für Benedikt und Europa in meinem Terminkalender!
Die
Geschichte Europas ist vor allem auch die Geschichte der Christianisierung unseres
Kontinents. Gemeinden, Regionen und die überwiegende Zahl der europäischen Nationen
haben ihre Schutzheiligen (so z.B. Bonifatius für uns Deutsche). Sie sind heute vielfach
in Vergessenheit geraten. Die Trennung von Staat und Kirche, die zunehmende Säkularisierung
unseres Kontinentes und das Wirken anderer Religionsgemeinschaften haben zu dem Vergessen
beigetragen. Dennoch: die christlichen Schutzpatrone wirken für eine Vielzahl von
Christen in Europa weiter.
Der Vertrag von Lissabon hält in der Präambel fest:
"Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas". In Artikel
16 c bei insgesamt 358 Artikeln des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union heißt es: "Die Union pflegt mit diesen Kirchen in Anerkennung ihrer Identität
und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog."
Eine Vielzahl von Kirchen in Europa hat sich in der Konferenz Europäischer Kirchen
(KEK) organisiert: es ist eine Gemeinschaft von 126 orthodoxen, protestantischen und
anglikanischen Kirchen aus allen Teilen Europas. Die COMECE (Commissio Episcopatuum
Communitatis Europensis) setzt sich aus den delegierten Bischöfen der 24 katholischen
Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der Europäischen Union zusammen. Sie treffen sich
zwei Mal pro Jahr zu einer Vollversammlung und haben wie die KEK ein Sekretariat in
Brüssel. Beide Kommissionen, KEK und COMECE, arbeiten in vorbildlicher Ökumene zusammen
und richten zu essentiellen Fragen öffentliche Schreiben an die Verantwortlichen in
und für europäische Politik.
In dem gemeinsamen öffentlichen Brief "Für ein
Europa mit gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Hoffnung" haben sie eindringlich
gefordert: die europäische Integration darf sich nicht auf die wirtschaftliche und
politische Dimension reduzieren lassen. Die europäischen Kirchen betonen in diesem
Schreiben die große Bedeutung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs, da
Europa Heimat vieler Nationen, Kulturen und Religionen ist.
Die beiden europäischen
kirchlichen Kommissionen sind wie der Heilige Stuhl nicht nur mit der Europäischen
Union sondern insbesondere mit dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, kurz: OSZE, eng verbunden. Der Heilige Stuhl hat einen Ständigen
Vertreter bei dem Europarat in Straßburg und bei der Europäischen Union, er ist Vollmitglied
der OSZE. Die Europäische Kommission ist durch einen Botschafter beim Heiligen Stuhl
präsent.
Die Zusammenarbeit von Kirche, Heiligem Stuhl und den staatlichen
Autoritäten in Europa reflektiert die Vielfalt europäischer Zusammenarbeit. Die nationalen
Bischofskonferenzen, z.B. die Deutsche Bischofskonferenz, arbeitet in wichtigen Fragen
eng mit der Bundesregierung zusammen. Ein Beispiel ist das nunmehr vereinbarte Forum
von Deutscher Bischofskonferenz, drei Bundesministerien (Bildung, Familie und Justiz)
sowie anderen staatlichen, kirchlichen und Nicht-Regierungs-Organisationen zur Aufklärung
der uns alle erschütternden sexuellen Missbrauchsfälle von Minderjährigen in unserer
Gesellschaft. Auf karitativem Gebiet hat sich eine Jahrhunderte alte Tradition bewährt
und sie wird stetig für die Armen und Schwachen zu Hause und in aller Welt fortentwickelt.
Der Heilige Stuhl ist hier mit dem Päpstlichen Rat "Cor Unum" ein kräftiger, globaler
Impulsgeber und Helfer. Ich selbst weiß aus meiner Zeit in Afrika, dass Kirche oft
weitaus effizienter helfen kann als staatliche Bürokratie. Die europäische Zusammenarbeit
zwischen den europäischen weltlichen Institutionen, den Bischofskonferenzen und dem
Heiligen Stuhl ist von eminenter Bedeutung für den Kampf gegen Rassismus und für
die Integration der Migranten. Da die Bereiche Einwanderung und Asyl für alle Mitgliedstaaten
der Europäischen Union eine nunmehr mindestens über zwanzig Jahre alte Herausforderung
ist, die täglich dringlicher wird, ist das Zusammenwirken auf diesen Gebieten besonders
wichtig. Diese Zusammenarbeit ist umso wichtiger, weil die europäischen Nationen aufgrund
ihrer historischen, vielfältigen und vielschichtigen Erfahrungen die Fragen von Migration
unterschiedlich perzipieren. Kirche kann auf diesem Gebiet solidarisch wirken.
Die
europäische Geschichte ist ohne das Christentum nicht denkbar, die Gegenwart lässt
sich mit gelebter Ökumene und interreligiöser Kooperation besser gestalten. Die Zukunft
stellt uns lokal, regional, vor allem aber global vor Herausforderungen, bei der wir
auf die Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Weltkirche angewiesen sind.“