Auch am Tag der Parlamentswahlen kommt der Irak nicht zur Ruhe: Bei mehreren Anschlägen
kamen an diesem Sonntag 24 Menschen ums Leben; etwa sechzig wurden verletzt. Etwa
20 Millionen Iraker können in diesen Stunden zum ersten Mal seit dem Abzug der US-Besatzer
aus den Städten und Dörfern ihre Stimme abgeben; es ist die zweite Parlamentswahl
im Irak seit dem Sturz von Saddam Hussein. Extremistengruppen haben mit Gewalt gedroht
und die Iraker aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Mit den Wahlergebnissen
wird frühestens in einer Woche gerechnet. In den letzten Tagen war die Anspannung
im Land deutlich gestiegen. Dabei geriet die christliche Minderheit immer weiter unter
Druck. „Wir Christen stehen im Kreuzfeuer“, sagte Faleh Francis Yousif: Der Sportmediziner
war bis zum vergangenen Jahr Vizepräsident des nationalen Olympischen Komitees und
gehört zur Gruppe der chaldäischen Christen. Besonders dramatisch sei die Lage rund
um die nordirakische Stadt Mossul, so Yousif. Dort kämpften arabische Sunniten und
Kurden „auf dem Rücken der Christen“ um die Vorherrschaft. „Mosul ist heute die schlimmste
Stadt im Irak“, so der 55-Jährige. Nach Angaben des syrisch-katholischen Erzbischofs
von Mossul, Georges Casmoussa, haben in den letzten zehn Tagen über 1.000 Familien
die Stadt verlassen. Besonders die Ermordung von drei nahen Verwandten eines Priesters
habe spricht und Verunsicherung unter den Gläubigen verbreitet. Casmoussa sprach von
einer „düsteren Zeit“ für Angehörige der christlichen Minderheit. Es sei nicht hinnehmbar,
dass Christen jedes Mal vor Wahlen Drohungen ausgesetzt seien und ihre Häuser verlassen
müssten. Der Erzbischof verlangt bessere Schutzmassnahmen durch den Staat. Laut Kirchenangaben
sind im Irak seit dem Sturz des Saddam-Regimes 2003 rund 2.000 Christen bei Attentaten
ums Leben gekommen. Im gleichen Zeitraum verliess demnach die Hälfte der damals 1,2
Millionen Menschen zählenden christlichen Bevölkerung das Land. Von den verbliebenen
600.000 leben viele als Binnenflüchtlinge. Zu den Erwartungen an die Wahl sagt
Erzbischof Casmoussa: „Wir hoffen, dass es nach der Wahl eine neue Ära für das Land
geben wird: dass es eine Regierung gibt, die eine andere Mentalität vertritt und weitsichtig
ist, dass man mit einem Geist der Einheit regiert und nicht die Interessen einzelner
Fraktionen vertritt. Wir wünschen uns eine Regierung, die dafür sorgt, dass die Verfassung
geachtet und umgesetzt wird, dass das Gesetz respektiert wird und die rechtsstaatlichen
Prinzipien für alle gelten." Die Christen wollten „Bürger mit allen Rechten und Pflichten
sein“ und bäten „um den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte sowie der sozialen,
wirtschaftlichen und politischen Rechte für alle!“