Schweiz: „Voraussetzungen für Heiligen Krieg nicht erfüllt“
Die Schweiz wird das
Thema des Umgangs mit den Muslimen wohl so schnell nicht los. Das zeigt nicht zuletzt
der Angriff des libyschen Staatspräsidenten Muhammar Gaddafi gegen das Land in der
letzten Woche. Er erklärte der Eidgenossenschaft bei einer Rede in der Stadt Benghasi
kurzerhand den Heiligen Krieg. Begründung: Die Schweiz sei wegen des Minarettverbots
„ungläubig“ und „abtrünnig“. Da bestehe allerdings eine Differenz in der Bewertung,
sagt uns Erwin Tanner, Sekretär der Islamkommission der Schweizer Bischofskonferenz.
Die in der Schweiz lebenden Muslime würden die Situation nämlich völlig anders einschätzen.
„In
den Augen Gaddafis gelten die Schweizer Muslime als abtrünnige Muslime. Das können
die hier in der Schweiz lebenden Muslime selbstverständlich nicht annehmen. Sie versuchen,
in Übereinstimmung mit dem islamischen Glauben zu leben. Sie versuchen, mit bestem
Wissen und Gewissen ihren Glauben hier zu praktizieren. Sie können den Aufruf zum
Heiligen Krieg auch nicht ernst nehmen. Erstens deshalb, weil Gaddafi überhaupt keine
Befugnis hat, zum Heiligen Krieg aufzurufen. Das können allein die religiösen Führer.
Diese Rolle kommt ihm in seinem Kontext nicht zu. Weder von der Verfassung Lybiens
noch von der islamischen Religion her.“ Auch nach objektiven Maßstäben des
islamischen Rechts verfehle der Aufruf Gaddafis die faktische Situation in der Schweiz.
Keine der durch die Scharia festgelegten Indikationen treffe auf das Land zu.
„Die
Muslime in der Schweiz finden sich nicht in einer Lage der Bedrängnis. Sie können
ihren Glauben nach wie vor völlig unbedrängt ausleben und sie sind nicht gezwungen,
ihren Glauben aufzugeben. Die Muslime können das auch nicht annehmen, weil sie sich
nicht auf Abwegen befinden. Nach der islamischen Tradition kann der Heilige Krieg
ausgerufen werden, wenn es einerseits eine Spaltung innerhalb der Muslime gibt oder
wenn Muslime durch Nichtmuslime in Bedrängnis geraten sind und ihren Glauben aufgeben
müssen. Doch eben diese Voraussetzungen sind in der Schweiz nicht gegeben.“ Gleichzeitig,
so Erwin Tanner, habe Gaddafi seine eigene Position in den vergangenen Tagen auch
wieder etwas relativiert. Das islamische Recht kenne unterschiedliche Stufen des ‚djihad’,
des Heiligen Krieges. Auf unterer Stufe gebe es so etwas wie den ‚djihad des Herzens’
oder ‚des Wortes’. Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga habe der lybische Staatspräsident
nun darauf hingewiesen, dass er gegenüber der Schweiz lediglich einen ‚Heiligen Krieg
mit der Hand’ betont habe.
„Bei diesem ‚djihad der Hand’ versucht man, andere
Menschen – Nichtgläubige oder gläubige Menschen – zum Islam, zum richtigen Weg des
Handelns zu bewegen. Die Abgrenzung zwischen dem djihad der Hand’ und dem djihad des
Schwertes’ ist sehr schwierig. Und genau das hat sich Ghaddafi jetzt zunutze gemacht
und gesagt, man müsse diese Sache etwas relativieren. Man müsse jetzt also die Schweiz
mit wirtschaftlichen Sanktionen dazu bewegen, die Einreisesperren für lybische Staatsangehörige
zu lockern.“ Natürlich bleibt die Wahrnehmung der Situation der Muslime in
der Schweiz ambivalent. Umso wichtiger sei es, so Tanner, dass man sich auf verschiedenen
Ebenen für eine Verständigung einsetze. Seitens der Schweizer Bischofskonferenz gebe
es verschiedene Arbeits- und Dialogkommissionen. Auch würden regelmäßig Arbeitshilfen
für die pastorale Praxis des interreligiösen Gesprächs herausgegeben. Genauso wichtig
sei aber die konkrete Begegnung vor Ort. Tanner:
„Neben den Initiativen
auf Landesebene beteiligt sich die katholische Kirche auch an Dialogplattformen auf
lokaler Ebene, zum Beispiel an Runden Tischen. Hier versucht man, auf ganz niederschwelliger
Ebene miteinander ins Gespräch zu kommen und zu sehen, wo denn eigentlich die religiösen
und glaubensmäßigen Probleme liegen. Und man versucht, diejenigen der anderen Religionen
zu verstehen und den persönlichen Kontakt – der sehr wichtig ist – zu pflegen.“ Wichtig
seien solche persönlichen Kontakte vor allem auch deshalb, weil es dabei um ganz konkrete
Menschenbilder und Gesellschaftsbilder gehe. Das beschäftige die Menschen auch emotional.
Auf dieser Ebene sieht Erwin Tanner auch die Diskussion um ein mögliches Verbot von
Burkas in der Schweiz. Wie sich die Diskussion weiterentwickele, könne er wegen dieser
Aufladung nicht vorhersagen. In der vergangenen Woche hatte der Bundesrat sich gegen
ein solches Verbot ausgesprochen.
„Die Diskussion wird nicht allein nur
auf rationaler Ebene geführt, sondern auch auf gefühlsmäßiger Ebene. Nach meinem Wissensstand
sind sich die Poltiker nicht einig, was hier jetzt getan werden könnte. Sie versuchen
nun, sich dieses Thema anzueignen. Selbstverständlich geht es hier auch um Wähleranteile
und eine bessere Positionierung in der politischen Landschaft. Aber gerade weil das
Thema emotional geladen ist, ist die Zukunft dieser Diskussion unberechenbar.“ (rv
05.03.2010 ds)