Die Berliner Anwältin
Ursula Raue, vom deutschen Jesuitenorden mit Aufklärung der Missbrauchsfälle betraut,
kritisiert das Dokument der deutschen Bischöfe zum Thema in drei Punkten. Es wurde
am Donnerstag zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe in
Freiburg vorgestellt. Im Gespräch mit Anne Preckel erläutert Raue ihre Kritik.
Frau
Raue, Sie kritisieren das Abschlussdokument der deutschen Bischofskonferenz zum Thema
Missbrauch. Was genau bemängeln Sie?
„Erst einmal habe ich begrüßt, was
da gemacht worden ist, denn die Tendenz ist richtig. Ich bin aber – so mein erster
Kritikpunkt – gestolpert über den Satz: Wir wollen ehrliche Aufklärung
– da wäre schöner gewesen, zu sagen: Wir klären jetzt auf. Dann ist das eine klare
Entscheidung und nicht nur eine Absichtserklärung. Der zweite Kritikpunkt
bezieht sich auf die Ansprechpartner. Ich finde es aus meiner eigenen Erfahrung einfach
besser, wenn ganz klar gestellt ist, dass die vorgesehenen Ansprechpartner, die in
den einzelnen Bistümern vorgesehen sind, nicht Teil der Hierarchie, sondern unabhängige
Personen sind. Das macht den Blick von außen besser und sorgt für eine gute Aufklärung.
An dieser Stelle möchte ich noch eines klarstellen: Die Presse sagt teilweise, ich
würde in diesem Zusammenhang Bischof Ackermann kritisieren – das ist falsch verstanden
worden. Ich finde das sehr gut, denn natürlich muss nach außen hin jemand, der zur
Organisation gehört, verantwortlich sein. Was ich aber gemeint habe: Dass in den einzelnen
Bistümern die Ansprechpartner außerhalb der Hierarchie stehen sollten. Mein dritter
Kritikpunkt bezieht sich auf Absatz drei, erster Satz. Da hätte ich gerne
eine Formulierung gehabt, die ganz klar sagt, dass wenn ein begründeter Verdacht gegen
eine Person wegen Missbrauch besteht, diese Person ab sofort nicht mehr mit Kindern
und Jugendlichen arbeiten darf. Das ist mir da nicht klar genug formuliert. Es heißt
im Text: Die Vergangenheit verlangt Aufklärung und den Schutz gegen den Rückfall von
Tätern. Das ist sicher so gemeint, aber man würde besser verstehen, wenn da stünde:
Die Person darf – bis alles geklärt ist – nicht mehr in Einrichtungen mit Kindern
und Jugendlichen eingesetzt werden.“
Die Bischofskonferenz will die Richtlinien
von 2002 in den nächsten Monaten mithilfe von externen Beratern prüfen und überarbeiten.
Was sollte dort genau geändert werden? „Was ja schon drin steht ist die frühere
Einbindung der Staatsanwaltschaft, das ist gut so. Ansonsten finde ich, dass die zuvor
genannten drei Punkt eben klargestellt werden müssten: Die Frage der Aufklärung, die
Unabhängigkeit der Untersuchung und eben der Ausschluss von begründet Verdächtigten
vom Kontakt mit Kindern und Jugendlichen.“
Bisher ist vorgesehen, dass
sich die Täter im besten Fall selber anzeigen. In begründeten Fällen werde die Kirche
auf die Staatsanwaltschaft zugehen, so Zollitsch am Donnerstag im Pressegespräch in
Freiburg. Was sagen Sie dazu?
„Es handelt sich um Offizialdelikte. Ein Bistum
ist ja eine Organisation, die Arbeitgeber ist und auch bestimmte Fürsorgepflichten
hat. Ich denke, es ist schon richtig, dass man einem Verdacht soweit nachgehen muss,
dass man sagt: So, das ist jetzt ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Ich glaube nicht,
dass man bei jedem Hinweis und Verdacht, dem man noch nicht nachgegangen ist, sofort
zur Staatsanwaltschaft gehen sollte. Wenn man aber sagen kann, da ist was, sollte
es allerdings geschehen – und zwar zügig.“
Und wenn sich dann die Entscheidung
stellt: Ich zeige an oder ich versetze – sollte man sagen: Ich zeige an? „Ja!
Versetzen ist sicher auch eine geeignete Massnahme, aber eben nur mit der Einschränkung,
dass es nicht wieder in eine Anstalt mit Kindern und Jugendlichen gehen darf.“
Würden
Sie die Einrichtung eines nationalen Fonds vor Hintergrund Ihrer Gespräche mit Missbrauchsopfern
begrüßen?
„Für mich ist das noch nicht wirklich zuende gedacht. Von den
Betroffenen, die mich anrufen, will der ganz überwiegende Teil keine Kompensation
in Form von Geld. Ich weiß aber auch, dass es viele Fälle gibt, wo ein Leben nachhaltig
zerstört und verstört wurde. Da kann ich mir vorstellen, dass es sehr gut und notwendig
ist, da auch mit einer Kompensation zu arbeiten.“
Sie haben ja vor Kurzem
schon einen ersten Zwischenbericht vorgelegt zu den Missbrauchsfällen in Einrichtungen
des deutschen Jesuitenordens. Wie geht Ihre Arbeit am Bericht jetzt voran?
„Es
hat sich nach meinem Zwischenbericht, der ja auch in den Medien große Beachtung gefunden
hat, herausgestellt, dass die Anzahl der Anrufe in unglaublichem Maße zugenommen hat
– und zwar nicht nur jesuitische Einrichtungen betreffend, sondern die katholische
Kirche insgesamt. Da bin ich im Moment dabei, das abzuarbeiten. An sich wäre der nächste
Akt meiner Arbeit, die Sachen, die im Zwischenbericht nicht erwähnt wurden, aufzuarbeiten
und die Personalakten anzuschauen und genau zu gucken, was da und da passiert ist...
Doch dazu war bisher keine Zeit.“
Das ist sicher auch ein Prozess, der
sich noch über Jahre hinwegziehen kann...
„Also ich denke auch, dass sich
diese Geschichte noch lang hinziehen wird und es noch viele Opfer gibt. Ich bin sehr
daran interessiert, dass diese Hotline, von der die Bischofskonferenz sprach, schnell
eingerichtet wird. Wir haben ja schon eine, die heißt NINA. Die Leute, die dort sitzen,
sagen mir: Wir sind zu dritt jetzt schon Frau Raue! Die Kapazitäten sind im Moment
angesichts des Problems nicht ausreichend. Ich fände es wichtig, dass sich da bald
was tut. Ich bin gerade dabei, eine Gruppe von Fachleuten zusammenzustellen, mit denen
ich dann auch in die verschiedenen Institute und Kollegs gehe – das ist im Aufbau.“