„Die Anfänge sind wesentlich für das, was sich daraus entwickelt"
Die Kirche muss sich
immer wieder von ihren Anfängen her befragen lassen. Das hat der Theologe Gerhard
Lohfink an diesem Dienstag bei einem Gastvortrag an der Lateranuniversität in Rom
unterstrichen. Den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen bildete dabei die Apostelgeschichte
des Evangelisten Lukas. Genau dort würde der Beginn der Kirche und ihre bleibenden
Momente geschildert. Bei den Erzählungen vom Zusammensein der Apostel handele es sich
keinesfalls um eine verklärte Darstellung der frühen Kirche, wie Lohfink betont: Vielmehr
gelte es, am Werk des Evangelisten eine Richtschnur für heutiges Kirche-Sein selbst
zu finden.
„Die Anfänge sind wesentlich für das, was sich nachher daraus
entwickelt. Und Lukas schildert die Anfänge der Kirche. Aber in dieser Schilderung
steckt schon sehr sehr viel erfahrung. In dem Augenblick, wo er sein Doppelwerk, also
das Evangelium und die Apostelgeschichte schreibt, ist die Kirche bereits 40 jahre
lang unterwegs und man hat schon wesentliche Erfahurngen gemacht. Und all diese Erfahrungen
hat Lukas zusammen mit den Erfahrungen, die von Jesus her kommen, in seinem Doppelwerk
verdichtet. Und deshalb ist das für uns wesentlich. Und wir müssen immer wieder darauf
zurückgreifen. Das ist keine Urkirchenromantik, sondern es ist in Bildern und Erzählungen
dargestellt, was das Wesen der Kirche ausmacht.“
Die Apostelgeschichte
berichtet vom Miteinander der Jünger Jesu, von ihrem Zusammensein in Freuden und Ängsten
– von ihrem ganz konkreten Versuch also, christliche Gemeinde zu sein und zu leben.
Genau diese Erfahrungen von christlicher Gemeinschaft auch im heutigen Leben zu reflektieren,
hat sich der Lehrstuhl zur Aufgabe gemacht, der die Veranstaltung mit Gerhard Lohfink
organisiert hat. „Lehrstuhl für die Theologie des Volkes Gottes“ lautet der etwas
sperrige Titel. Dahinter steckt aber eine ganz konkrete Beobachtung, sagt uns Ludwig
Weimer, Theologieprofessor und Leiter des Lehrstuhls. Oftmals sei den Theologen heute
die persönliche Erfahrung abhanden gekommen, was es eigentlich heißen kann, aus der
Mitte einer christlichen Gemeinde heraus zu leben.
„Was der Theologie oft
fehlt, ist die heutige Erfahrung, die qualitativ dem entspricht, was die Theologie
leisten will. Wir haben da nur die Möglichkeit, in die Bibel zurückzublicken, aber
wir haben kaum aktuelle Erfahrung, die auf dem gleichen Nibeau ist. Das liegt auch
einfach daran, dass die Basis für die Theoloie sich verändert hat. In der Bibel gibt
es ein Volk, das ausgezogen ist, gibt es Gemeinden, die sich als messianische Synagogen
durchsetzen mussten im Neuen Testament. Aber seit wir eine flächendeckende Seelsorge
haben, haben wir viel zu wenige Erfahrungen – auch die Theologen haben relativ wenige
Erfahrungen. Sie müssen fast nur aus Büchern leben. Sie können die Mystik im Mittelalter
studieren, werden dann Spezialisten – aber echte Kirchenerfahrung ist wirklich schwer.“
Einen Versuch, diese Erfahrungen von Kirche einzuholen, stellen beispielsweise
seit den 50er Jahren die sogenannten Basisgemeinden dar. In Deutschland ist eine von
ihnen die „Integrierte Gemeinde“ mit Hauptsitz in München. Sie betreibt auch den Lehrstuhl
an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom. Warum aber muss man besondere Lehrveranstaltungen
über das christliche Gemeindeleben gerade in Rom betreiben? Zwei Punkte sind bezeichnend,
so der Verantwortliche des Lehrstuhls. Zum einen biete Rom eine internationale Austauschfläche,
die es im christlichen Bereich auf der Welt so nicht noch einmal gebe. Sowohl in Seminaren
als auch in Vorlesungen haben Studierende verschiedenster Nationen die Möglichkeit,
über ihre konkreten Erfahrungen in den jeweilgen Heimatländern ins Gespräch zu kommen
und Perspektiven zu entwickeln. Andererseits könne auch ein kleines Institut wie der
„Lehrstuhl für die Theologie des Volkes Gottes“ seine ganz spezifische fachliche Perspektive
einbringen:
„Wir müssen uns gar nicht absetzen von Leuten, die zum Beispiel
aus einem Orden kommen und die ganze spirituelle Erfahrung mitbringen – sei es als
Franziskaner oder als Dominikaner oder Salvatorianer. Wir können aber etwas Spezifisches
beitragen. Einfach nämlich die Auseinandersetzung mit der Frage: Wie kann eine Familie
heute apostolisch tätig sein. Wie können die Laien, wie können die Frauen in der Kirche
tätig sein?“
Durchaus brennende Fragen also, die nicht nur in den internationalen
Lehrveranstaltungen vermittelt werden sollen. Vielmehr seien es genau die Erfahrungen
aus einem Miteinander von wissenschaftlicher Theolgie und gelebter Gemeinde, die reflektiert
werden und im besten Falle ausstrahlen sollen. Mission durch Faszination gewissermaßen,
sagt Ludwig Weimer.
„Unser Spezielles ist der Begriff einer Gemeinde, in
der man als Laie zusammen mit Priestern durch das Leben der Gemeinde missionarisch
tätig sein kann – also durch Faszination. Nicht indem man auf die Straße geht und
predigt, sondern einfach, indem man präsent ist. In München zum Beispiel haben wir
drei Schulen, wo wir zum größten Teil mit Menschen zu tun haben, die die Kirche von
innen nicht kennen. Da hilft es nur, dass die Menschen in der Großstadt wahrnehmen:
Da leben mitten in München Christen in einer Gemeinde. Denen vertraue ich mein Kind
an – und die helfen mir. Und dieses Vertrauen zu unserem Schulwerk zu unserem Schulwerk
kommen dann Eltern in Kontakt und fragen: Was steckt dahinter, was sind die biblischen
Werte? Auf diesem Weg sind wir missionarisch – durch Faszination, durch unser Tun.“