Mitte Januar kam es
rund um die Stadt Jos im Norden Nigerias zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen
ethnischen Gruppen, in die Christen und Muslime verwickelt waren. Mehrere hundert
Tote, darunter viele Frauen und Kinder, und tausende von Flüchtlingen, so die traurige
Bilanz. Christliche Organisationen des Landes haben am Sonntag erneut zu Hilfe für
die Region aufgerufen. Über die Hintergründe der Gewalt hat Radio Vatikan mit dem
Ethnologen Germain Sagbo gesprochen. Der Religionswissenschaftler kommt aus
Nigerias Nachbarland Benin und ist für Feldforschungen regelmäßig in der Region unterwegs.
Probleme mit Migration Der Konflikt in Jos ist kein Religionskrieg,
stellt Sagbo klar. Vielmehr seien die Ursachen der Gewalt in wirtschaftlichen Problemen
und misslungenen Migrations- und Integrationsprozessen zu suchen.
„Diese
Region im Bundesland Plateau war zuerst von Populationen wie den Gemai bewohnt, die
teilweise Christen, teilweise Anhänger der Naturreligion, also Animisten, sind. Anfang
des 20. Jahrhunderts sind dann viele Furlanis und Hausa aus dem Norden zugewandert,
die im Land Handel betrieben haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich die soziale
und wirtschaftliche Situation in Jos und im ganzen Bundesland allgemein sehr verschlechtert.
Die ersten Bewohner wollten die Migranten nicht mehr, weil Arbeit knapp wurde. Und
da entstand Diskriminierung, weil die Christen – die Gemai und andere – sagten: Wir
haben immer hier gewohnt und ihr seid als Händler gekommen. Es gab dann ein Identitätsproblem,
denn sie haben die Furlanis und Hausa, die Moslems sind und doch dort geboren und
aufgewachsen sind, plötzlich als Fremde betrachtet. Das hat zu Frustration geführt
und in der letzten Zeit zur Eskalation.“
Staatskrise und Konfliktherde
im ganzen Land Nigerias kranker Präsident Umaru Yar’Adua wird seit zwei Wochen
vertreten, und zwar vom Vizepräsidenten Goodluck Jonathan, der aus dem Süden des Landes
kommt. Er wurde inzwischen vom Senat als Staatsoberhaupt bestätigt. Da ihn der Präsident
nicht nach dem verfassungsmäßigen Verfahren bevollmächtigt hatte, wird Jonathan jedoch
von vielen nicht akzeptiert – das schafft einen gefährlichen Nährboden für revolutionäre
Kräfte.
„Goodluck Jonathan, der seit zwei Wochen die Vertretung des Präsidenten
übernommen hat, befindet sich in einer ganz unkomfortablen Position, weil ein großer
Teil der Moslems mit seiner Macht nicht einverstanden ist. Deswegen muss er sich sehr
vorsichtig benehmen, um die Situation nicht zu verschlimmern.“
Jonathan
bemühe sich in Jos umeinen Dialog mit den Konfliktparteien und habe dort wieder eine
gewisse Sicherheit geschaffen, so der Ethnologe, der ihn als "ruhigen Mann" beschreibt.
Dennoch seien Spannungen zwischen Moslems und Christen zurzeit im ganzen Land zu spüren,
erzählt Sagbo, der viele Freunde in Nigeria hat. Konflikte könnten auch in anderen
Landesteilen aufbrechen und zu religiösem Fanatismus werden, so der Ethnologe.
„Das
ist nicht auf Jos beschränkt, es gibt solche Probleme in allen Bundesländern, besonders
in der Region, wo der Norden und Süden in Kontakt kommen. Aber in Jos ist es immer
noch etwas schwieriger. Ein weiteres aktuelles Problem ist jetzt El Kaida in der Maghreb-Region.
Das Terrornetzwerk trainiert dort Moslems und bewaffnet sie, damit sie sich verteidigen
können. Da könnte so ein Konflikt zu einem religiösen Konflikt werden. Der neue Diskurs
von El Kaida im Maghreb kann zu einer Situation führen, wo unkontrollierte Gruppen
sich wehren und das kann zu Terrorismus werden. Ansonsten geht es lokal aber um Integrationsprobleme,
die etwas mit der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation zu tun haben.“
Christen
und Muslime gemeinsam für Frieden Auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften
in Nigeria, wo es etwa gleich viele Christen und Moslems gibt, bemühen sich um Aufklärung
und Stabilität für das Land. Er habe noch von keinem Pfarrer oder Imam gehört, der
in der letzten Zeit nicht zu Versöhnung und Zurückhaltung aufgerufen habe, so Sagbo.
Das bestätigt auch der nigerianische Prälat Obiora Ike. Im Gespräch mit uns
sagte er: „Der Präsident der Christlichen Vereinigung Nigerias, und der Führer
der islamischen Kräfte des Landes haben mehrmals öffentlich Einheit und Solidarität
gezeigt. Auch der Erzbischof von Jos hat in der Öffentlichkeit gesagt, dass der Konflikt
nichts mit Religion zu tun habe. Er hat ihn als ethnische Rivalität zwischen Bauern
und Nomaden beschrieben, die eben zufällig Christen und Moslems sind. Damit wurde
eine Trennung der Fronten gemacht. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass auch
das katholische Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden ständig in der
Presse zu Solidarität und Toleranz aufgerufen hat, auch im Radio. So konnten wir erreichen,
dass Christen und Moslems in anderen Bundesländern nicht aufeinander losgingen.“
Um
weitere Eskalationen zu verhindern, müsse man die Lebensverhältnisse lokal verbessern,
so Ethnologe Sagbo. Und: Politiker müssten sich schützend vor das ganze Volk
des Landes stellen, jenseits von ethnischen und religiösen Präferenzen.