2010-02-22 14:38:10

Nigeria: Was war los in Jos?


RealAudioMP3 Mitte Januar kam es rund um die Stadt Jos im Norden Nigerias zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen, in die Christen und Muslime verwickelt waren. Mehrere hundert Tote, darunter viele Frauen und Kinder, und tausende von Flüchtlingen, so die traurige Bilanz. Christliche Organisationen des Landes haben am Sonntag erneut zu Hilfe für die Region aufgerufen. Über die Hintergründe der Gewalt hat Radio Vatikan mit dem Ethnologen Germain Sagbo gesprochen. Der Religionswissenschaftler kommt aus Nigerias Nachbarland Benin und ist für Feldforschungen regelmäßig in der Region unterwegs.

Probleme mit Migration
Der Konflikt in Jos ist kein Religionskrieg, stellt Sagbo klar. Vielmehr seien die Ursachen der Gewalt in wirtschaftlichen Problemen und misslungenen Migrations- und Integrationsprozessen zu suchen.

„Diese Region im Bundesland Plateau war zuerst von Populationen wie den Gemai bewohnt, die teilweise Christen, teilweise Anhänger der Naturreligion, also Animisten, sind. Anfang des 20. Jahrhunderts sind dann viele Furlanis und Hausa aus dem Norden zugewandert, die im Land Handel betrieben haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich die soziale und wirtschaftliche Situation in Jos und im ganzen Bundesland allgemein sehr verschlechtert. Die ersten Bewohner wollten die Migranten nicht mehr, weil Arbeit knapp wurde. Und da entstand Diskriminierung, weil die Christen – die Gemai und andere – sagten: Wir haben immer hier gewohnt und ihr seid als Händler gekommen. Es gab dann ein Identitätsproblem, denn sie haben die Furlanis und Hausa, die Moslems sind und doch dort geboren und aufgewachsen sind, plötzlich als Fremde betrachtet. Das hat zu Frustration geführt und in der letzten Zeit zur Eskalation.“

Staatskrise und Konfliktherde im ganzen Land
Nigerias kranker Präsident Umaru Yar’Adua wird seit zwei Wochen vertreten, und zwar vom Vizepräsidenten Goodluck Jonathan, der aus dem Süden des Landes kommt. Er wurde inzwischen vom Senat als Staatsoberhaupt bestätigt. Da ihn der Präsident nicht nach dem verfassungsmäßigen Verfahren bevollmächtigt hatte, wird Jonathan jedoch von vielen nicht akzeptiert – das schafft einen gefährlichen Nährboden für revolutionäre Kräfte.

„Goodluck Jonathan, der seit zwei Wochen die Vertretung des Präsidenten übernommen hat, befindet sich in einer ganz unkomfortablen Position, weil ein großer Teil der Moslems mit seiner Macht nicht einverstanden ist. Deswegen muss er sich sehr vorsichtig benehmen, um die Situation nicht zu verschlimmern.“

Jonathan bemühe sich in Jos umeinen Dialog mit den Konfliktparteien und habe dort wieder eine gewisse Sicherheit geschaffen, so der Ethnologe, der ihn als "ruhigen Mann" beschreibt. Dennoch seien Spannungen zwischen Moslems und Christen zurzeit im ganzen Land zu spüren, erzählt Sagbo, der viele Freunde in Nigeria hat. Konflikte könnten auch in anderen Landesteilen aufbrechen und zu religiösem Fanatismus werden, so der Ethnologe.

„Das ist nicht auf Jos beschränkt, es gibt solche Probleme in allen Bundesländern, besonders in der Region, wo der Norden und Süden in Kontakt kommen. Aber in Jos ist es immer noch etwas schwieriger. Ein weiteres aktuelles Problem ist jetzt El Kaida in der Maghreb-Region. Das Terrornetzwerk trainiert dort Moslems und bewaffnet sie, damit sie sich verteidigen können. Da könnte so ein Konflikt zu einem religiösen Konflikt werden. Der neue Diskurs von El Kaida im Maghreb kann zu einer Situation führen, wo unkontrollierte Gruppen sich wehren und das kann zu Terrorismus werden. Ansonsten geht es lokal aber um Integrationsprobleme, die etwas mit der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation zu tun haben.“

Christen und Muslime gemeinsam für Frieden
Auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften in Nigeria, wo es etwa gleich viele Christen und Moslems gibt, bemühen sich um Aufklärung und Stabilität für das Land. Er habe noch von keinem Pfarrer oder Imam gehört, der in der letzten Zeit nicht zu Versöhnung und Zurückhaltung aufgerufen habe, so Sagbo. Das bestätigt auch der nigerianische Prälat Obiora Ike. Im Gespräch mit uns sagte er:
„Der Präsident der Christlichen Vereinigung Nigerias, und der Führer der islamischen Kräfte des Landes haben mehrmals öffentlich Einheit und Solidarität gezeigt. Auch der Erzbischof von Jos hat in der Öffentlichkeit gesagt, dass der Konflikt nichts mit Religion zu tun habe. Er hat ihn als ethnische Rivalität zwischen Bauern und Nomaden beschrieben, die eben zufällig Christen und Moslems sind. Damit wurde eine Trennung der Fronten gemacht. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass auch das katholische Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden ständig in der Presse zu Solidarität und Toleranz aufgerufen hat, auch im Radio. So konnten wir erreichen, dass Christen und Moslems in anderen Bundesländern nicht aufeinander losgingen.“

Um weitere Eskalationen zu verhindern, müsse man die Lebensverhältnisse lokal verbessern, so Ethnologe Sagbo. Und: Politiker müssten sich schützend vor das ganze Volk des Landes stellen, jenseits von ethnischen und religiösen Präferenzen.

(rv 22.02.2010 pr)







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