Dass die christliche
Minderheit in Marokko Anfeindungen ausgesetzt ist, ist nicht neu. Doch die Aggressivität,
mit der zuletzt gegen die Teilnehmer einer Bibelstunde vorgegangen wurde, hat eine
bisher unbekannte Stärke. Das meint die Nordafrika-Fachfrau von misereor, Maria Harmann,
im Gespräch mit Radio Vatikan. Am letzten Sonntag wurden in der Kleinstadt Amizmiz
50 Kilometer südlich von Marrakesch ein US-Amerikaner und 18 Marokkaner, darunter
fünf Kleinkinder, von Sicherheitskräften aufgegriffen und 14 Stunden lang verhört.
Harmann dazu:
„Marokko sieht sich selbst als ein Land, das Religionsfreiheit
gewährt. Diese Religionsfreiheit folgt aber dem Verständnis, das im Nahen Osten davon
herrscht, nämlich: Die Religion, in die ich hineingeboren wurde, die soll ich ausüben
und nach deren Regeln soll ich leben dürfen. Nicht nur, was die religiöse Praxis,
sondern beispielsweise auch, was das Familienleben oder Ehegesetz angeht. Darüber
hinaus aber zu versuchen, andere Menschen dem eigenen Glauben zuzuführen, das wird
eher als Störung des sozialen Friedens empfunden.“
Es gebe einen eigenen
Paragraphen im marokkanischen Strafgesetzbuch, der die Anstiftung von Marokkanern
zur Konversion verbiete.
„Das richtet sich übrigens nicht nur gegen Christen.
Ich erinnere mich, dass Marokko im Jahr 2005 die diplomatischen Beziehungen mit dem
Iran abgebrochen hat, weil es ihm unterstellt hat, schiitische Missionsbestrebungen
in Marokko zu unterstützen.“
Justizminister Mohammed Naciri selbst soll
die Razzia gegen die Bibelstunde angeordnet haben. Das wohl, so Harmann, vor dem Hintergrund...
„...
dass die Behörden im Land Angst haben, dass sie in den Augen der Bevölkerung als zu
lasch erscheinen. Man darf ja nicht vergessen, dass die größte Oppositionspartei in
Marokko eine islamische mit islamistischen Tendenzen ist. So dass sich die Behörden
im Zugzwang sehen, jetzt durchzugreifen, oder zumindest Durchgreifen zu demonstrieren.“
Der
US-amerikanische Missionar habe „den evangelischen Glauben“ in der überwiegend muslimischen
Bevölkerung „ausbreiten wollen“, so der Vorwurf seitens der Behörden. Nur wenige der
circa 30.000 Christen in Marokko sind Einheimische. Besonders die offensive Missionspraxis
einiger evangelikaler Gruppen heize die vorherrschenden Spannungen weiter an, meint
Länderexpertin Harmann:
„Dazu muss man natürlich auch
sagen, dass diese Missionsbestrebungen mit sehr viel Geld unterstützt werden, gerade
von der christlichen Rechten in den USA. Aber allein zu sagen, die Menschen werden
mit Geld und der Aussicht auf ein besseres Leben gelockt, das wäre zu kurz gegriffen.
Die gewisse Nähe zur angelsächsischen Welt und zu Amerika, das ja immer noch ein Symbol
des Fortschritts für viele Menschen in Nordafrika ist, macht die Mission zwar sehr
attraktiv. Aber die Art der Verkündigung, die sich von dem unterscheidet, was die
Menschen sowohl aus dem islamischen Kontext, als auch von der herkömmlichen Kirche
kennen, ist der eigentliche Anziehungspunkt.“
Die marokkanische
Regierung sehe nun gesteigerten Bedarf, gegen die christliche Mission vorzugehen,
weil diese in der letzten Zeit aus folgender Richtung Auftrieb erfahre:
„Man
darf die Rolle der modernen Medien nicht vergessen. Es gibt mehrere Internetseiten,
mit denen sich marokkanische Christen an ihre Landsleute wenden. Weiter gibt es einen
Fernsehsender, der das Gleiche tut. Anders als früher gibt es diese Möglichkeiten,
sich im breiten Rahmen zu informieren.“