Papst: Priester sollen nicht traurig und isoliert sein
Priester sollen nicht traurig und isoliert wirken, sondern die Botschaft des Evangeliums
im eigenen Leben ausstrahlen – dann wird es auch schon wieder mehr Berufungen geben.
Das schreibt Papst Benedikt in seiner Botschaft zum Weltgebetstag um geistliche Berufungen;
er wird am kommenden 25. April gefeiert. Die Botschaft des Papstes wurde an diesem
Dienstag veröffentlicht; sie hat den Titel „Das Zeugnis weckt Berufungen“. Auf das
Thema Missbrauchsskandale geht Benedikt XVI. in dem Text nicht ein.
Wir
dokumentieren hier den offiziellen deutschen Text der Papstbotschaft. BOTSCHAFT
DES HEILIGEN VATERS BENEDIKT XVI. ZUM 47. WELTGEBETSTAG UM GEISTLICHE BERUFUNGEN 25.
APRIL 2010 – 4. SONNTAG DER OSTERZEIT
Thema: Das Zeugnis weckt Berufungen.
Verehrte
Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern!
Der
47. Weltgebetstag um geistliche Berufungen, der am 25. April 2010, dem 4. Sonntag
der Osterzeit – dem Sonntag des „Guten Hirten“ – gefeiert wird, gibt mir Gelegenheit,
ein Thema zum Nachdenken zu unterbreiten, das sich gut in das Priesterjahr einfügt:
Das Zeugnis weckt Berufungen. Ob Bemühungen in der Berufungspastoral Früchte zeitigen,
hängt in der Tat zuallererst von Gottes gnädigem Handeln ab. Die pastorale Erfahrung
zeigt jedoch, daß auch die Qualität und der Reichtum des persönlichen und des gemeinschaftlichen
Zeugnisses derer, die im Priesteramt und im geweihten Leben bereits auf den Ruf des
Herrn geantwortet haben, zur Fruchtbarkeit beitragen; denn ihr Zeugnis kann in anderen
den Wunsch wecken, ebenso großherzig dem Ruf Christi zu entsprechen. Es besteht also
ein enger Zusammenhang mit dem Leben und der Sendung der Priester und gottgeweihten
Männer und Frauen. Ich möchte daher alle einladen, die der Herr zur Arbeit in seinen
Weinberg gerufen hat, gerade jetzt im Priesterjahr, das ich anläßlich des 150. Todestages
des heiligen Johannes Maria Vianney ausgerufen habe, ihre Antwort in Treue zu erneuern.
Der Pfarrer von Ars ist ein stets zeitgemäßes Vorbild für alle Priester und Pfarrer. Schon
im Alten Testament waren sich die Propheten bewußt, daß sie dazu berufen sind, mit
ihrem Leben zu bezeugen, was sie verkündigen, und dafür auch Unverständnis, Ablehnung
und Verfolgung zu ertragen. Die ihnen von Gott anvertraute Aufgabe nahm ihre ganze
Existenz in Anspruch wie ein „brennendes Feuer“ im Herzen, das man nicht zu löschen
vermag (vgl. Jer 20,9). So waren sie bereit, dem Herrn nicht nur ihre Stimme zu schenken,
sondern alles, was zu ihrem Leben gehörte. In der Fülle der Zeit bezeugt Jesus,
der Gesandte des Vaters (vgl. Joh 5,36), durch seine Sendung die Liebe Gottes zu allen
Menschen, ohne Unterschied und mit besonderer Sorge um die Letzten, die Sünder, die
Ausgegrenzten, die Armen. Er ist der erhabenste Zeuge für Gott und seinen Willen,
alle Menschen zu retten. Beim Anbruch dieser neuen Zeit bezeugt Johannes der Täufer
durch ein Leben, das ganz darauf ausgerichtet ist, Christus den Weg zu bereiten, daß
sich im Sohn Marias von Nazaret Gottes Verheißung erfüllt. Als er ihn zum Jordan kommen
sieht, wo er taufte, verweist er seine Jünger auf ihn als „das Lamm Gottes, das die
Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29). Sein Zeugnis trägt reiche Frucht: Zwei seiner
Jünger „hörten, was er sagte, und folgten Jesus“ (Joh 1,37). Auch die Berufung
des Petrus nimmt gemäß der Schilderung des Evangelisten Johannes ihren Weg über das
Zeugnis seines Bruders Andreas. Nachdem dieser dem Meister begegnet und seiner Einladung,
bei ihm zu bleiben, gefolgt ist, verspürt er das Bedürfnis, sofort seinem Bruder mitzuteilen,
was er entdeckt hatte, als er beim Herrn „geblieben ist“: „Wir haben den Messias gefunden.
Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Und er führte ihn zu Jesus“ (Joh
1,41-42). Ebenso verhielt es sich mit Natanaël – Bartholomäus – dank des Zeugnisses
eines anderen Jüngers, Philippus, der ihm freudig seine große Entdeckung mitteilte:
„Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben
haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs“ (Joh 1,45). Die völlig freie Initiative
Gottes trifft auf die Verantwortung der Menschen und bewirkt, daß jene, die seine
Einladung annehmen, durch ihr Zeugnis wiederum zu Werkzeugen des göttlichen Rufs werden.
Das geschieht auch heute in der Kirche: Gott bedient sich des Zeugnisses der Priester,
die ihrer Sendung treu sind, um neue Berufungen zum Priestertum und zum geweihten
Leben im Dienst des Gottesvolkes zu wecken. Aus diesem Grund möchte ich drei Aspekte
des priesterlichen Lebens ins Gedächtnis rufen, die mir für ein wirksames Zeugnis
des Priesters wesentlich erscheinen. Das grundlegende und charakteristische Element
jeder Berufung zum Priestertum und zum geweihten Leben ist die Freundschaft mit Christus.
Jesus lebte in ständiger Einheit mit dem Vater. Das weckte auch in den Jüngern den
Wunsch, dieselbe Erfahrung machen zu dürfen und von ihm zu lernen, in ständiger Gemeinschaft
und in immerwährendem Dialog mit Gott zu leben. Wenn der Priester ein „Mann Gottes“
ist, der Gott gehört und der anderen hilft, Gott kennen und lieben zu lernen, muß
er eine tiefe Verbindung mit Gott pflegen, in seiner Liebe verweilen und dem Hören
auf sein Wort Raum geben. Das Gebet ist das wichtigste Zeugnis, das Berufungen weckt.
Ebenso wie der Apostel Andreas, der seinem Bruder mitteilt, daß er den Meister kennengelernt
hat, muß derjenige, der Jünger und Zeuge Christi sein will, ihn persönlich „gesehen“
und kennengelernt haben; er muß gelernt haben, ihn zu lieben und bei ihm zu sein. Ein
weiterer Aspekt des Weihepriestertums und des geweihten Lebens ist die vollständige
Hingabe seiner selbst an Gott. Der Apostel Johannes schreibt: „Daran haben wir die
Liebe erkannt, daß er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die
Brüder das Leben hingeben“ (1 Joh 3,16). Mit diesen Worten lädt er die Jünger ein,
in die Logik Jesu einzutreten, der in seinem ganzen Leben den Willen des Vaters bis
zur äußersten Selbsthingabe am Kreuz erfüllt hat. Hier offenbart sich die Barmherzigkeit
Gottes in ihrer ganzen Fülle: barmherzige Liebe, die die Finsternis des Bösen, der
Sünde und des Todes überwunden hat. Das Bild, wie Jesus beim Letzten Abendmahl vom
Tisch aufsteht, sein Gewand ablegt, sich mit einem Leinentuch umgürtet und sich niederbeugt,
um den Aposteln die Füße zu waschen, bringt den Dienst und die Hingabe zum Ausdruck,
die er sein ganzes Leben hindurch im Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters gezeigt
hat (vgl. Joh 13,3-15). In der Nachfolge Jesu muß jeder, der zu einem Leben besonderer
Weihe berufen ist, sich bemühen, Zeuge für die völlige Selbsthingabe an Gott zu werden.
Von da kommt die Fähigkeit, sich in voller, beständiger und treuer Hingabe für jene
einzusetzen, die die Vorsehung ihrem Hirtendienst anvertraut hat, und mit Freude Wegbegleiter
vieler Brüder und Schwestern zu werden, damit sie sich für die Begegnung mit Christus
öffnen und sein Wort zum Licht auf ihrem Weg wird. Die Geschichte einer jeden Berufung
ist fast immer mit dem Zeugnis eines Priesters verbunden, der mit Freude seine Selbsthingabe
an die Brüder und Schwestern um des Himmelreiches willen lebt. Die Nähe und das Wort
eines Priesters können nämlich Fragen aufkommen lassen und auch endgültige Entscheidungen
herbeiführen (vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores
dabo vobis, 39). Ein dritter Aspekt, der Priester und gottgeweihte Männer und Frauen
unbedingt auszeichnen sollte, ist schließlich das Leben in Gemeinschaft. Jesus hat
die tiefe Gemeinschaft in der Liebe zum Merkmal derer erklärt, die seine Jünger sein
wollen: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander
liebt“ (Joh 13,35). Insbesondere der Priester muß ein Gemeinschaftsmensch sein, der
allen Menschen gegenüber offen ist und die ganze Herde, die ihm der Herr in seiner
Güte anvertraut hat, auf dem Weg zusammenhalten kann. Er muß helfen, Spaltungen zu
überwinden, Risse zu heilen, Unverständnis und Gegensätze auszugleichen, Kränkungen
zu vergeben. Bei meiner Begegnung mit dem Klerus von Aosta im Juli 2005 habe ich gesagt,
daß die Jugendlichen, wenn sie isolierte und traurige Priester sehen, bestimmt nicht
dazu ermutigt werden, diesem Beispiel zu folgen. Sie werden unsicher, wenn sie den
Eindruck bekommen, daß dies die Zukunft eines Priesters ist. Daher ist es wichtig,
ein Leben in Gemeinschaft zu führen, das ihnen zeigt, wie schön es ist, Priester zu
sein. Dann wird der Jugendliche sagen: „Das kann auch für mich eine Zukunft sein,
so kann man leben“ (Ansprache in der Pfarrkirche von Introd/Aostatal, 25. Juli 2005).
Das Zweite Vatikanische Konzil hebt in bezug auf das Zeugnis, das Berufungen weckt,
das Beispiel der Liebe und der brüderlichen Gemeinschaft in der Arbeit hervor, das
die Priester geben müssen (vgl. Dekret Optatam totius, 2). Ich möchte in Erinnerung
rufen, was mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. schrieb: „Das Leben der Priester,
ihre bedingungslose Hingabe an Gottes Herde, ihr Zeugnis des liebevollen Dienstes
für den Herrn und seine Kirche – ein Zeugnis, das gekennzeichnet ist von der Annahme
des in der Hoffnung und österlichen Freude getragenen Kreuzes –, ihre brüderliche
Eintracht und ihr Eifer für die Evangelisierung der Welt sind der wichtigste und überzeugendste
Faktor für die Fruchtbarkeit ihrer Berufung“ (Pastores dabo vobis, 41). Man könnte
sagen, daß Berufungen zum Priestertum aus dem Kontakt mit Priestern geboren werden,
gleichsam wie ein kostbares Erbe, das durch das Wort, durch das Beispiel und durch
das ganze Leben weitergegeben wird. Das gilt auch für das geweihte Leben. Die Existenz
der gottgeweihten Männer und Frauen selbst spricht von der Liebe Christi, wenn sie
ihm in völliger Treue zum Evangelium nachfolgen und sich seine Urteils- und Verhaltenskriterien
in Freude zu eigen machen. Sie werden zum „Zeichen des Widerspruchs“ für die Welt,
deren Logik oft vom Materialismus, vom Egoismus und vom Individualismus geprägt ist.
Wenn sie sich von Gott ergreifen lassen und sich selbst zurücknehmen, wecken ihre
Treue und die Kraft ihres Zeugnisses auch weiterhin im Herzen vieler Jugendlicher
den Wunsch, ihrerseits Christus für immer und mit großherziger Ganzhingabe zu folgen.
Den keuschen, armen und gehorsamen Christus nachzuahmen und sich mit ihm zu identifizieren
– das ist das Ideal des geweihten Lebens, ein Zeugnis für den absoluten Primat Gottes
im Leben und in der Geschichte der Menschen. Jeder Priester und alle gottgeweihten
Männer und Frauen, die ihrer Berufung treu sind, geben diese Freude, Christus zu dienen,
an andere weiter und laden alle Christen ein, auf die allgemeine Berufung zur Heiligkeit
zu antworten. Um die besonderen Berufungen zum Priesteramt und zum geweihten Leben
zu fördern und die Berufungspastoral stärker und nachhaltiger zu machen, ist daher
das Vorbild jener unverzichtbar, die bereits „ja“ gesagt haben zu Gott und zu dem
Plan, den er für jeden Menschen hat. Das persönliche Zeugnis, das aus konkreten Lebensentscheidungen
besteht, wird die Jugendlichen ermutigen, ihrerseits anspruchsvolle Entscheidungen
über die eigene Zukunft zu treffen. Um ihnen zu helfen, ist jene Kunst der Begegnung
und des Dialogs notwendig, die in der Lage ist, sie zu erleuchten und zu begleiten,
vor allem durch das Beispiel der als Berufung gelebten Existenz. So hat es der Pfarrer
von Ars gemacht: Stets in Kontakt mit den Angehörigen seiner Pfarrgemeinde lehrte
er „vor allem mit dem Zeugnis seines Lebens. Durch sein Vorbild lernten die Gläubigen
zu beten“ (Schreiben zum Beginn des Priesterjahres, 16. Juni 2009). Möge dieser
Weltgebetstag vielen Jugendlichen erneut eine wertvolle Gelegenheit bieten, über die
eigene Berufung nachzudenken und sie mit Einfachheit, Treue und völliger Bereitschaft
anzunehmen. Die Jungfrau Maria, die Mutter der Kirche, bewahre im Herzen aller, die
der Herr in seine besondere Nachfolge ruft, jeden noch so kleinen Keim der Berufung
und lasse ihn zu einem kräftigen Baum werden, reich an Früchten zum Wohl der Kirche
und der gesamten Menschheit. Dafür bete ich und erteile allen den Apostolischen Segen.