2010-02-16 10:43:47

D: „Rund 100 Missbrauchs-Opfer“


Bei der Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue und beim Canisius-Kolleg haben sich inzwischen rund 100 Opfer von sexuellem Missbrauch gemeldet. Das erklärte Raue am Montag im RBB-Inforadio. Sie präzisierte, dass es sich dabei auch um Schüler anderer Jesuiten-Schulen in Deutschland handle. Auch aus dem Bistum Hildesheim wurden weitere verjährte Fälle gemeldet. Viele hätten sich an die beiden Stellen in der Hauptstadt gemeldet, weil der Rektor des Kollegs vor zwei Wochen Missbrauchsfälle öffentlich gemacht habe, so die Anwältin. Raue kündigte an, genaue Zahlen im Laufe dieser Woche in einem Zwischenbericht zu veröffentlichen. Sie arbeitet im Auftrag der Jesuiten, aber unabhängig von der Ordensleitung an einer Aufklärung der Fälle.
Derweil teilt das Bistum Hildesheim mit, neue Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch Geistliche erhalten zu haben. Dabei geht es überwiegend um Beschuldigungen gegen die drei Jesuiten, die im Mittelpunkt des Skandals stehen. Bis auf einen lägen alle neu gemeldeten Fälle 35 bis 50 Jahre zurück. Bischof Norbert Trelle hatte in einem Brief mögliche Opfer aufgerufen, sich zu melden. Nach diesem Aufruf seien die meisten Hinweise erfolgt.
Der Augsburger Bischof Walter Mixa warnt davor, Kindesmissbrauch zu einem vornehmlich kirchlichen Problem zu machen. In Deutschland habe es seit 1995 insgesamt rund 210.000 polizeilich registrierte Fälle gegeben, sagte der Bischof der „Augsburger Allgemeinen“ vom Dienstag. Der Anteil der Vorkommnisse in kirchlichen Einrichtungen liege dabei in einem „verschwindend geringen“ Promille-Bereich. Das solle aber keinen einzigen Fall verharmlosen, betonte der Bischof, rücke jedoch die Verhältnisse ins rechte Licht. Die Kirche muss nach Ansicht Mixas klar sagen, dass sexueller Missbrauch von Kindern ein „abscheuliches Verbrechen“ ist. Auch verstoße ein Priester oder kirchlicher Mitarbeiter durch eine solche Tat gegen die Gebote Gottes und seiner Kirche sowie gegen die Personenwürde des Menschen. Zugleich gelte es darauf hinzuweisen, dass menschliche Sexualität entsprechend der kirchlichen Lehre eng verbunden sein müsse mit Liebe, Vertrauen und gegenseitiger Achtung. Sie dürfe nicht zur einseitigen Triebbefriedigung missbraucht werden. Die Kirche brauche eine offene Diskussion über dieses Thema nicht zu scheuen.
Die bayerische Justizministerin Beate Merk drängt auf mehr Rechte für die Opfer von Missbrauch. Lange zurückliegende Taten sollten deutlich später verjähren als bisher, sagte Merk der „Passauer Neuen Presse“ vom Montag. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern sei eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist auf 30 Jahre „unabdingbar“. Merk plädierte zudem dafür, die Frist wie im Zivilrecht erst ab dem 21. Lebensjahr des Opfers beginnen zu lassen. Die Opfer sollten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auch länger einklagen können.
Die Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, widerspricht ihrer bayrischen Kollegin: Sie ist gegen längere Verjährungsfristen bei Fällen von sexuellem Missbrauch. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte die FDP-Politikerin, sie warne vor vorschnellen Schlüssen. Allerdings sei sie über die Missbrauchsfälle an katholischen Schulen entsetzt. Leutheusser-Schnarrenberger fordert eine umfassende Aufarbeitung, in welchem Ausmaß sexueller Missbrauch in Einrichtungen der katholischen stattgefunden habe.
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth fordert einen „grundlegend neuen und angemessenen Umgang mit Missbrauchsfällen in Institutionen der katholischen Kirche. Dafür müssten der Papst und die Deutsche Bischofskonferenz sorgen, erklärte Roth am Dienstag in Berlin. Sie warf der kirchlichen Seite vor, Missbrauchsfälle langjährig vertuscht und verheimlicht zu haben. Zugleich stellte Roth die in den letzten Wochen bekanntgewordenen Vorfälle in Bezug zur kirchlichen Morallehre. Man könne nicht übersehen, „dass auch die antiquierte und restriktive Sexualmoral, wie die katholische Kirche sie offiziell vertritt, zu einem solchen furchtbaren Komplex des Wegsehens und der Verheimlichung führen kann“, meinte sie. Deshalb sei neben einer juristischen Aufklärung und Wiedergutmachung auch moralische Selbstaufklärung notwendig. Roth nannte das Ausmaß der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin erschütternd. Zu befürchten sei, dass dies erst die „Spitze eines Eisbergs“ in Deutschland und weltweit sei. Es gehe um schwere Straftaten. Die Kirche müsse glaubhaft aufzeigen, wie sie das schwere seelische Leid der Opfer wieder gut machen oder zumindest lindern und wie sie eine Wiederholung solcher Fälle verhindern wolle.
(kipa/rv/kna 16.02.2010 sk)







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