Vertrauen schenken
und gewinnen; absichtslose Solidarität mit den Armen, den Einsamen, den existentiell
Heimatlosen; liebevolle Zuwendung zum Einzelnen und Zutrauen in den Einzelnen; verlässliche
Weggefährtenschaft mit den Suchenden, die sich im großen Markt religiöser oder nur
vorgeblich religiöser Heilsangebote verirrt haben; Sensibilität für Nähe und Distanz
– nicht zuletzt im Blick auf deinen und meinen je persönlichen Glauben, dessen Kern
nicht selten ungeschützt, zerbrechlich, von Zweifeln oder Angst durchsetzt erlebt
wird und darin oft nicht so einfach kommunizierbar ist: das sind die modernen Netze,
das ist die Weise, heute Menschen an die Gott und den Glauben heranzuführen. Und genau
dazu läd Jesus ein, genau dazu beruft Jesus.
5. Sonntag im Jahreskreis,
Lk 5,1-11 – Berufung der ersten Jünger
von Vera Krause „Ich bin doch
auch nur ein Mensch!“, so, liebe Hörerinnen und Hörer, seufzt es manchmal aus uns
heraus, wenn wir uns überfordert fühlen, wenn wir eine Sache alles andere als perfekt
erledigt haben, wenn wir Fehler gemacht haben oder aus anderen Gründen zur Enttäuschung
Anlass geben. Manchmal scheint da ein Graben zu sein zwischen dem, was andere Menschen
uns zutrauen, sich von uns wünschen, von uns erwarten, und dem, was wir geben
können. Es kann aber auch zutiefst beglückend sein, in der Liebe, im Zutrauen, in
der Achtung, der Wertschätzung, der Hilfsbedürftigkeit oder in der Not von Menschen
angesprochen zu werden, dem Leben in besonderer Weise dienlich zu sein. Da wachsen
wir dann manchmal über uns hinaus: als Freundin oder Kollege, als Taufpate oder Trauzeugin,
in der Begleitung von Kranken, in der Weggefährtenschaft im Glauben, am Sterbebett
eines anderen Menschen oder ganz einfach in unserer Hilfsbereitschaft im Alltag von
nebenan. Wenn wir uns erst einmal haben ansprechen lassen, dann ist die Angst oft
weg vor dem eigenen Kleinmut oder der Unsicherheit, dem nicht gewachsen zu sein, wofür
uns andere ihr Vertrauen schenken. – Doch warum eigentlich fühlen wir uns manchmal
so klein und irgendwie nicht gut genug? Was macht es uns so schwer, dem zu vertrauen
und das zu schätzen, was wir sind? Im schlechtesten Fall bleiben wir mit unseren Möglichkeiten
wie in einem Kokon gefangen und leben nicht, was wir sein könnten. Das heutige
Evangelium zeigt uns Jesus als den, der um diese Lebenswunde weiß, sie ins Wort fasst
und heilt: „Fürchte dich nicht“, sagt er zu Simon Petrus, als der bestürzt auf die
Knie geht. Die ganze Nacht lang war er mit seinen Kollegen vergeblich auf dem See
unterwegs gewesen. Mickrig und unwürdig kommt er sich nun vor nach dem reichen Fischfang,
den er auf Jesu Wort hin doch noch ans Ufer bringt. – So lohnt die Frage danach, was
das eigentlich für ein Wort ist, für das das ganze Volk sich drängt, um es zu hören? Offensichtlich
gibt es ein Unbefriedigt-sein mit dem, was Land auf, Land ab üblicherweise so zu hören
ist. Ein Hunger ist da nach mehr als dem täglich Brot und Fisch. So drängen sich alle
ausdrücklich nach „Gottes Wort“ (Lk 5,1), wie es (nur) bei Jesus zu finden ist. Unmittelbar
vor diesem Volksauflauf charakterisiert der Evangelist Lukas das Wort Gottes aus dem
Mund Jesu als „Evangelium“, als frohe Botschaft, die Platz nehmen will mitten im Leben.
Vom Geist Gottes als der motivierenden Kraft ist die Rede, von Salbung und von durch
und durch befreienden Zusagen: Leben für die Zerschlagenen, Freiheit für die Gefangenen,
den Blinden ihr Augenlicht und den Armen, den Habe-Nichtsen die gute Nachricht von
Gott (vgl. Lk 4,18f.). Worte, die aufatmen lassen und aufrichten. Alle hören nun
diese Worte. Auch Simon Petrus und neben ihm die beiden Zebedäussöhne Jakobus und
Johannes. Jesus steigt extra in eines ihrer Fischerboote, um ein wenig vom Ufer des
Sees Gennesaret entfernt mehr Menschen ansprechen zu können. Ja, möglichst alle sollen
von der Zuneigung Gottes hören. Und nicht nur die, die immer und überall vorne stehen,
sollen die Einladung vernehmen können, sich diese Zuneigung Gottes getrost schenken
zu lassen. Jesus spricht zu einer großen Menge Menschen. Doch eine Menge, das sind
immer viele Einzelne. Ihnen gilt Jesu Wort und seine Gegenwart. Beides ist nicht Massenware
– sondern Herzensangelegenheit. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Menschen lassen sich
von Jesus etwas sagen. Nicht zuletzt lassen sich Simon, Jakobus und Johannes von Jesus
etwas sagen. Die drei erfahrenen Fischer haben eine Ahnung davon bekommen, dass sie
Vertrauen in Jesu Worte haben können – auch in seine Forderungen. So machen sie sich
wider besseren Wissens während der Vormittagsstunden auf zu einem weiteren Fischfang.
Sie beherrschen ihr Handwerk; dazu gehört auch eine ordentliche Portion Sachverstand.
So wissen sie, dass sich die Fische bei Helligkeit in die Tiefe zurückziehen, „doch
wenn du es sagst, Herr, werden wir die Netze [erneut] auswerfen“ (Lk 5,5).
Gesagt, getan. Was daraufhin geschieht ist überwältigend: „Sie fangen eine so große
Menge Fisch, dass ihre Netze zu reißen drohen. Deshalb winken sie ihren Gefährten
im anderen Boot, sie sollen kommen und ihnen helfen. Sie kommen und gemeinsam füllen
sie beide Boote bis zum Rand mit Fisch, sodass sie fast untergehen“ (Lk 5,6-8), so
lesen wir es im Evangelium. Bei Simon Petrus löst das eine tiefere Erschütterung
aus: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder.“ Angesichts der Fülle, die er überraschend
wie unverdient in Händen hält, fühlt er sich ganz klein und unwürdig, förmlich schuldig.
Jesus aber lässt ihn nicht stehen wie einen untauglichen Knecht. Bei ihm gibt es keine
zu kleinen oder unwürdigen Menschen. Diese Scheu, diese Scham möchte er allen Menschen
für immer nehmen. Auch dem Simon, der erfahren darf, dass letztlich nur durch das,
was er ist und er kann, der überreiche Fischfang gelingt. Um in der
Welt der Menschen aufrichtend und heilend, stärkend und versöhnend wirksam zu sein,
braucht Gott Menschen. Ja, Gott schenkt seine Wunder nicht an den Menschen vorbei,
sondern durch sie hindurch. So nimmt Jesus von Herzen gern an, was der einfache Fischer
aus Galiläa zu geben hat, sodass ihm sein Beruf zur Berufung werden kann – freilich
in einem veränderten Sinn. Denn nicht mehr ein Fänger von Fischen soll Simon in Zukunft
sein, sondern ein Fischer von Menschen; genauso wie seine Gefährten. – Welch’ eine
Herausforderung! Jesu Aufforderung lautet nicht: „Fahrt hinaus auf den See und
bringt einen großen Fang mit nach Hause!“ Sie lautet nur: „Fahrt hinaus auf den See
und werft eure Netze zum Fang aus“ (Lk 5,4). Diese Aufforderung zielt auf die Einsatzbereitschaft
der zukünftigen Jünger, nicht auf eine festgelegte, möglichst hohe Erfolgsquote. Und
einsetzen sollen sie letztlich „nur“ das, was sie schon sind. In der Nachfolge Jesu
müssen Simon, Jakobus und Johannes nicht irgendwie andere werden. Vielmehr nimmt Jesus
sie mit ihrer Kernkompetenz in den Dienst: „Von jetzt an werdet ihr Menschen
fischen“ (Lk 5,10). Menschen für die Nachfolge Jesu „fängt“ man nicht wie einen
Schwarm Fische, der sich im Netz verfängt. Simon Petrus und mit ihm Jakobus und Johannes
begreifen das bewundernswert schnell. Sie „lassen alles zurück“ (Lk 5,11) in dem Moment,
in dem sie sich mit Jesus aufmachen. Ihr gewohntes Handwerkszeug brauchen sie jetzt
nicht mehr genauso wenig wie den reichen Fischfang, den sie ebenso unaufgeregt zurücklassen.
Vertrauen schenken und gewinnen; absichtslose Solidarität mit den Armen, den Einsamen,
den existentiell Heimatlosen; liebevolle Zuwendung zum Einzelnen und Zutrauen in
den Einzelnen; verlässliche Weggefährtenschaft mit den Suchenden, die sich im großen
Markt religiöser oder nur vorgeblich religiöser Heilsangebote verirrt haben; Sensibilität
für Nähe und Distanz – nicht zuletzt im Blick auf deinen und meinen je persönlichen
Glauben, dessen Kern nicht selten ungeschützt, zerbrechlich, von Zweifeln oder Angst
durchsetzt erlebt wird und darin oft nicht so einfach kommunizierbar ist. Mit
einer solchen Behutsamkeit wohl gewinnt man Menschen, sich einzufinden in Gottes gute
Nachricht für das Leben der Welt – das Leben der ganzen Welt. Dazu hat Gott „nur unsere
Hände, um seine Werke heute zu tun. Er hat nur unsere Füße, um Menschen auf seinen
Weg zu begleiten. Er hat nur unsere Lippen, um heute von ihm zu erzählen. Wir sind
Gottes Botschaft, in Taten und Worten geschrieben“, so sagt es ein Gebet aus dem 14.
Jahrhundert. Seine unbekannten Verfasser wussten um die Notwendigkeit, „Gott als Tätigkeitswort“
(Kurt Marti) in die Mitte der Menschen zu tragen, wenn seine frohe Botschaft durch
die Jahrhunderte hindurch vernehmbar bleiben soll. „Von jetzt an werdet ihr Menschen
fischen“ (Lk 5,10), so lautet die Verheißung an Simon, Jakobus und Johannes: drei
Fischer, die zu Trägern des guten Gotteswortes werden. Mit ihren Fertigkeiten, doch
auch mit all ihrer Begrenztheit, sogar mit ihrer Schuld, ruft Jesus sie in die Nachfolge.
Dabei ist das eindrückliche Bild des Menschenfischers vermutlich übertragbar. Simon,
dem Zimmermann, höre ich Jesus sagen: „Lass Holz, Nägel und Hammer hier liegen. Von
nun an wirst du dem Leben ein Dach bauen.“ Oder Jakobus, dem Maurer, hätte Jesus vielleicht
so etwas gesagt wie: „Die Steine und den Mörtel brauchst du jetzt nicht mehr. Von
nun an wirst du den Gebrochenen einen Halt geben, an dem sie sich aufrichten können.“
Oder Johannes, der Sämann, hätte hören dürfen: „Lass das Stück Land hier ruhig zurück.
Von nun wirst du Glaube, Hoffnung und Liebe in die Herzen der Menschen säen.“ – Was
es bedeuten kann, dass Gott mit den Menschen seinen Weg geht, dass ihnen sein guter
Wille gilt und er die Einzelnen dazu herausfordert, davon, liebe Hörerinnen und Hörer,
hat jeder Mensch auf unverwechselbare Weise zu erzählen. Welche also sind Gottes Gaben
an uns? Was ist es, was unsere Herzen verstanden haben? Wie klingen Gottes Ermutigung
und sein Vertrauensruf in unser Leben hinein? Wie auch immer das Meer, das Haus oder
der Acker unseres Lebens aussieht – auch uns gilt der Ruf: „Fahrt hinaus!“ (rv
6.2.2010 ord)