2010-02-06 14:04:49

Die Sonntagsbetrachtung


RealAudioMP3 Vertrauen schenken und gewinnen; absichtslose Solidarität mit den Armen, den Einsamen, den existentiell Heimatlosen; liebevolle Zuwendung zum Einzelnen und Zutrauen in den Einzelnen; verlässliche Weggefährtenschaft mit den Suchenden, die sich im großen Markt religiöser oder nur vorgeblich religiöser Heilsangebote verirrt haben; Sensibilität für Nähe und Distanz – nicht zuletzt im Blick auf deinen und meinen je persönlichen Glauben, dessen Kern nicht selten ungeschützt, zerbrechlich, von Zweifeln oder Angst durchsetzt erlebt wird und darin oft nicht so einfach kommunizierbar ist: das sind die modernen Netze, das ist die Weise, heute Menschen an die Gott und den Glauben heranzuführen. Und genau dazu läd Jesus ein, genau dazu beruft Jesus.

5. Sonntag im Jahreskreis, Lk 5,1-11 – Berufung der ersten Jünger

von Vera Krause
„Ich bin doch auch nur ein Mensch!“, so, liebe Hörerinnen und Hörer, seufzt es manchmal aus uns heraus, wenn wir uns überfordert fühlen, wenn wir eine Sache alles andere als perfekt erledigt haben, wenn wir Fehler gemacht haben oder aus anderen Gründen zur Enttäuschung Anlass geben. Manchmal scheint da ein Graben zu sein zwischen dem, was andere Menschen uns zutrauen, sich von uns wünschen, von uns erwarten, und dem, was wir geben können. Es kann aber auch zutiefst beglückend sein, in der Liebe, im Zutrauen, in der Achtung, der Wertschätzung, der Hilfsbedürftigkeit oder in der Not von Menschen angesprochen zu werden, dem Leben in besonderer Weise dienlich zu sein. Da wachsen wir dann manchmal über uns hinaus: als Freundin oder Kollege, als Taufpate oder Trauzeugin, in der Begleitung von Kranken, in der Weggefährtenschaft im Glauben, am Sterbebett eines anderen Menschen oder ganz einfach in unserer Hilfsbereitschaft im Alltag von nebenan. Wenn wir uns erst einmal haben ansprechen lassen, dann ist die Angst oft weg vor dem eigenen Kleinmut oder der Unsicherheit, dem nicht gewachsen zu sein, wofür uns andere ihr Vertrauen schenken. – Doch warum eigentlich fühlen wir uns manchmal so klein und irgendwie nicht gut genug? Was macht es uns so schwer, dem zu vertrauen und das zu schätzen, was wir sind? Im schlechtesten Fall bleiben wir mit unseren Möglichkeiten wie in einem Kokon gefangen und leben nicht, was wir sein könnten.
Das heutige Evangelium zeigt uns Jesus als den, der um diese Lebenswunde weiß, sie ins Wort fasst und heilt: „Fürchte dich nicht“, sagt er zu Simon Petrus, als der bestürzt auf die Knie geht. Die ganze Nacht lang war er mit seinen Kollegen vergeblich auf dem See unterwegs gewesen. Mickrig und unwürdig kommt er sich nun vor nach dem reichen Fischfang, den er auf Jesu Wort hin doch noch ans Ufer bringt. – So lohnt die Frage danach, was das eigentlich für ein Wort ist, für das das ganze Volk sich drängt, um es zu hören?
Offensichtlich gibt es ein Unbefriedigt-sein mit dem, was Land auf, Land ab üblicherweise so zu hören ist. Ein Hunger ist da nach mehr als dem täglich Brot und Fisch. So drängen sich alle ausdrücklich nach „Gottes Wort“ (Lk 5,1), wie es (nur) bei Jesus zu finden ist. Unmittelbar vor diesem Volksauflauf charakterisiert der Evangelist Lukas das Wort Gottes aus dem Mund Jesu als „Evangelium“, als frohe Botschaft, die Platz nehmen will mitten im Leben. Vom Geist Gottes als der motivierenden Kraft ist die Rede, von Salbung und von durch und durch befreienden Zusagen: Leben für die Zerschlagenen, Freiheit für die Gefangenen, den Blinden ihr Augenlicht und den Armen, den Habe-Nichtsen die gute Nachricht von Gott (vgl. Lk 4,18f.). Worte, die aufatmen lassen und aufrichten.
Alle hören nun diese Worte. Auch Simon Petrus und neben ihm die beiden Zebedäussöhne Jakobus und Johannes. Jesus steigt extra in eines ihrer Fischerboote, um ein wenig vom Ufer des Sees Gennesaret entfernt mehr Menschen ansprechen zu können. Ja, möglichst alle sollen von der Zuneigung Gottes hören. Und nicht nur die, die immer und überall vorne stehen, sollen die Einladung vernehmen können, sich diese Zuneigung Gottes getrost schenken zu lassen.
Jesus spricht zu einer großen Menge Menschen. Doch eine Menge, das sind immer viele Einzelne. Ihnen gilt Jesu Wort und seine Gegenwart. Beides ist nicht Massenware – sondern Herzensangelegenheit. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Menschen lassen sich von Jesus etwas sagen. Nicht zuletzt lassen sich Simon, Jakobus und Johannes von Jesus etwas sagen. Die drei erfahrenen Fischer haben eine Ahnung davon bekommen, dass sie Vertrauen in Jesu Worte haben können – auch in seine Forderungen. So machen sie sich wider besseren Wissens während der Vormittagsstunden auf zu einem weiteren Fischfang. Sie beherrschen ihr Handwerk; dazu gehört auch eine ordentliche Portion Sachverstand. So wissen sie, dass sich die Fische bei Helligkeit in die Tiefe zurückziehen, „doch wenn du es sagst, Herr, werden wir die Netze [erneut] auswerfen“ (Lk 5,5). Gesagt, getan. Was daraufhin geschieht ist überwältigend: „Sie fangen eine so große Menge Fisch, dass ihre Netze zu reißen drohen. Deshalb winken sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollen kommen und ihnen helfen. Sie kommen und gemeinsam füllen sie beide Boote bis zum Rand mit Fisch, sodass sie fast untergehen“ (Lk 5,6-8), so lesen wir es im Evangelium.
Bei Simon Petrus löst das eine tiefere Erschütterung aus: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder.“ Angesichts der Fülle, die er überraschend wie unverdient in Händen hält, fühlt er sich ganz klein und unwürdig, förmlich schuldig. Jesus aber lässt ihn nicht stehen wie einen untauglichen Knecht. Bei ihm gibt es keine zu kleinen oder unwürdigen Menschen. Diese Scheu, diese Scham möchte er allen Menschen für immer nehmen. Auch dem Simon, der erfahren darf, dass letztlich nur durch das, was er ist und er kann, der überreiche Fischfang gelingt.
Um in der Welt der Menschen aufrichtend und heilend, stärkend und versöhnend wirksam zu sein, braucht Gott Menschen. Ja, Gott schenkt seine Wunder nicht an den Menschen vorbei, sondern durch sie hindurch. So nimmt Jesus von Herzen gern an, was der einfache Fischer aus Galiläa zu geben hat, sodass ihm sein Beruf zur Berufung werden kann – freilich in einem veränderten Sinn. Denn nicht mehr ein Fänger von Fischen soll Simon in Zukunft sein, sondern ein Fischer von Menschen; genauso wie seine Gefährten. – Welch’ eine Herausforderung!
Jesu Aufforderung lautet nicht: „Fahrt hinaus auf den See und bringt einen großen Fang mit nach Hause!“ Sie lautet nur: „Fahrt hinaus auf den See und werft eure Netze zum Fang aus“ (Lk 5,4). Diese Aufforderung zielt auf die Einsatzbereitschaft der zukünftigen Jünger, nicht auf eine festgelegte, möglichst hohe Erfolgsquote. Und einsetzen sollen sie letztlich „nur“ das, was sie schon sind. In der Nachfolge Jesu müssen Simon, Jakobus und Johannes nicht irgendwie andere werden. Vielmehr nimmt Jesus sie mit ihrer Kernkompetenz in den Dienst: „Von jetzt an werdet ihr Menschen fischen“ (Lk 5,10).
Menschen für die Nachfolge Jesu „fängt“ man nicht wie einen Schwarm Fische, der sich im Netz verfängt. Simon Petrus und mit ihm Jakobus und Johannes begreifen das bewundernswert schnell. Sie „lassen alles zurück“ (Lk 5,11) in dem Moment, in dem sie sich mit Jesus aufmachen. Ihr gewohntes Handwerkszeug brauchen sie jetzt nicht mehr genauso wenig wie den reichen Fischfang, den sie ebenso unaufgeregt zurücklassen.
Vertrauen schenken und gewinnen; absichtslose Solidarität mit den Armen, den Einsamen, den existentiell Heimatlosen; liebevolle Zuwendung zum Einzelnen und Zutrauen in den Einzelnen; verlässliche Weggefährtenschaft mit den Suchenden, die sich im großen Markt religiöser oder nur vorgeblich religiöser Heilsangebote verirrt haben; Sensibilität für Nähe und Distanz – nicht zuletzt im Blick auf deinen und meinen je persönlichen Glauben, dessen Kern nicht selten ungeschützt, zerbrechlich, von Zweifeln oder Angst durchsetzt erlebt wird und darin oft nicht so einfach kommunizierbar ist.
Mit einer solchen Behutsamkeit wohl gewinnt man Menschen, sich einzufinden in Gottes gute Nachricht für das Leben der Welt – das Leben der ganzen Welt. Dazu hat Gott „nur unsere Hände, um seine Werke heute zu tun. Er hat nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu begleiten. Er hat nur unsere Lippen, um heute von ihm zu erzählen. Wir sind Gottes Botschaft, in Taten und Worten geschrieben“, so sagt es ein Gebet aus dem 14. Jahrhundert. Seine unbekannten Verfasser wussten um die Notwendigkeit, „Gott als Tätigkeitswort“ (Kurt Marti) in die Mitte der Menschen zu tragen, wenn seine frohe Botschaft durch die Jahrhunderte hindurch vernehmbar bleiben soll.
„Von jetzt an werdet ihr Menschen fischen“ (Lk 5,10), so lautet die Verheißung an Simon, Jakobus und Johannes: drei Fischer, die zu Trägern des guten Gotteswortes werden. Mit ihren Fertigkeiten, doch auch mit all ihrer Begrenztheit, sogar mit ihrer Schuld, ruft Jesus sie in die Nachfolge. Dabei ist das eindrückliche Bild des Menschenfischers vermutlich übertragbar. Simon, dem Zimmermann, höre ich Jesus sagen: „Lass Holz, Nägel und Hammer hier liegen. Von nun an wirst du dem Leben ein Dach bauen.“ Oder Jakobus, dem Maurer, hätte Jesus vielleicht so etwas gesagt wie: „Die Steine und den Mörtel brauchst du jetzt nicht mehr. Von nun an wirst du den Gebrochenen einen Halt geben, an dem sie sich aufrichten können.“ Oder Johannes, der Sämann, hätte hören dürfen: „Lass das Stück Land hier ruhig zurück. Von nun wirst du Glaube, Hoffnung und Liebe in die Herzen der Menschen säen.“ – Was es bedeuten kann, dass Gott mit den Menschen seinen Weg geht, dass ihnen sein guter Wille gilt und er die Einzelnen dazu herausfordert, davon, liebe Hörerinnen und Hörer, hat jeder Mensch auf unverwechselbare Weise zu erzählen. Welche also sind Gottes Gaben an uns? Was ist es, was unsere Herzen verstanden haben? Wie klingen Gottes Ermutigung und sein Vertrauensruf in unser Leben hinein? Wie auch immer das Meer, das Haus oder der Acker unseres Lebens aussieht – auch uns gilt der Ruf: „Fahrt hinaus!“
(rv 6.2.2010 ord)







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