Italien: Flüchtlinge mit Medikamenten ruhiggestellt?
Die Lage in den italienischen
Flüchtlingslagern ist besorgniserregend. Zu diesem Schluss kommt die italienische
Sektion der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), die einundzwanzig dieser
Lager untersucht hat. In mehreren dieser Einrichtungen werden die Insassen offenbar
medikamentös ruhig gestellt – und das routinemäßig. Alessandra Tramontano von „Medici
senza frontiere“ sagte im Interview mit dem ARD-Hörfunkstudio Rom: „Wir haben
festgestellt, dass immer wieder Psychopharmaka eingesetzt werden… Nicht im Falle einer
Krankheit oder eines Problems, sondern auch um eventuelle Problemfälle einfach zu
nivellieren oder zu beruhigen. Das haben wir in vielen Fällen beobachten können!“ Offizielle
Zahlen liegen der Hilfsorganisation nicht vor. Die medizinische Versorgung stelle
sich jedoch insgesamt als lückenhaft und oberflächlich dar, so Tramontano. In einigen
der übervollen Lagern seien zum Beispiel Fälle von Krätze aufgetreten, die man eigentlich
einfach hätte behandeln können. Besonders schlimm ist die Situation im römischen Abschiebelager.
Der Vizechef von „Ärzte ohne Grenzen“ in Italien, Rolando Magnano: „In Rom
wurden seit zwei Wochen keine Hygieneartikel wie Toilettenpapier oder Seife ausgeteilt.
Das haben uns Einwanderer in Anwesenheit des Lagerdirektors berichtet - und der konnte
nur zugeben, dass die Vorwürfe stimmen. Ich erinnere daran, dass die Menschen in solchen
Lagern bis zu einem halben Jahr festgehalten werden: In der überwiegenden Mehrzahl
haben die Insassen den ganzen Tag nichts zu tun, die einzige Abwechslung sind die
Mahlzeiten.“ In italienischen Lagern und auf Malta ist es wiederholt zu Unmut
und Gewalt der Migranten gekommen. In einem Flüchtlingslager auf Malta gab es im März
2009 zwei Aufstände. Magnano bemerkte bei seinem Besuch im Auffanglager von Bari Brandspuren
an den Mauern, die von einer Lagerrevolte herrührten. Der Vatikan und die italienische
Bischofskonferenz rufen immer wieder drängend zu Solidarität und zur Verbesserung
der Lebensbedingungen der Migranten auf. Da Italien und die Mittelmeerländer wegen
ihrer geographischen Lage besonders betroffen sind, ist eine Lösung des Problems auf
EU-Ebene erforderlich. Die EU-Länder konnten sich jedoch bisher auf keine verbindliche
Solidaritätsklausel einigen, nach der Flüchtlinge gemäß einer Quote auf alle EU-Länder
aufgeteilt werden könnten. (ard/ansa/rv 04.02.2010 pr)