2010-01-30 16:46:06

Sonntagsbetrachtung


Schriftlesung: 1 Kor 13, 4-11
Brüder und Schwestern!
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht.
Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden;
wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.
Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war.
Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.
RealAudioMP3 Heute sind wir nochmals zu Besuch in der Gemeinde von Korinth. Was Paulus ihr schreibt, schreibt er auch uns heute.
Warum schrieb er überhaupt? Erinnern wir uns: Es gab bei aller Vitalität in dieser jungen Kirche schwere Spannungen. Die einen hielten sich für besser als andere. Es gab Risse, Spaltungen, Fraktionsbildungen, welche die Substanz bedrohten. Paulus hatte schon zuvor seine Autorität und alle seine rhetorischen Künste aufgeboten, um die Korinther wieder zur inneren Einheit zusammen zu führen. In der Gemeinde brodelte es, verschiedene Gruppen traten gegeneinander auf und beriefen sich auf die Autoritäten der noch jungen Christenheit, auf Paulus, auf Petrus oder auf – den uns nicht näher bekannten Apollos. Die Glieder der christlichen Gemeinde lebten mehr schlecht als recht zusammen, unterschiedliche Mentalitäten und Nationalitäten prägten das Bild. Verschiedene Berufe wie Freie, also Kaufleute und Händler, oder gesellschaftliche Außenseiter wie Sklaven und Migranten trafen in Korinth aufeinander. In den Gemeindeversammlungen wurde leidenschaftlich und polemisch diskutiert und gestritten. Aus den Briefen nach Korinth erfahren wir, dass auch theologische und pastorale Grundanliegen zur Debatte standen, so das gemeinsame Abendmahl und die Auferstehung Jesu Christi. Es gab damals schon Einflüsse, wie wir sie heute aus Esoterik und „New Age“ kennen. Einige Gemeindeglieder wollten nämlich aus dem Evangelium eine neue Weisheit herauslesen, die aber mit Jesus Christus nicht mehr viel zu tun hatte. Sie wäre kaum von dem unterscheidbar gewesen, was damals in Griechenland ohnehin üblicherweise gelehrt wurde. Andere verachteten alles, was körperlich war, und flüchteten sich in weltlose und weltfremde Pseudo-Spiritualitäten. Wiederum andere meinten, jeder dürfe aus dem Evangelium herauslesen, was ihm am besten passe.

In dieser Situation von multikulturellem und multireligiösem Nebeneinander, von innerkirchlicher Frontenbildung und Polemik spricht Paulus von dem, was alles zusammenhalten kann. Die verschiedenen Gnadengaben und Talente – so sagt er - dürfen sich keinesfalls gegeneinander stellen oder gegeneinander ausspielen lassen. Er argumentierte mit dem Bild des menschlichen Körpers. Mit dem Bild eines Körpers und seiner Organe versuchte Paulus, der Gemeinde zu verdeutlichen, dass sie im Begriff ist, auseinander zu fallen: Es sei doch unsinnig, die Hand gegen den Fuß oder das Ohr gegen das Auge oder das Herz gegen den Verstand auszuspielen. Alle Organe seien gleichermaßen für den Körper lebensnotwendig, alle seien mit der nämlichen Würde ausgestattet. Alle stünden im Dienst des einen Leibes, dessen Haupt Jesus Christus ist. Einen gemeinsamen menschlichen sowie einen inneren spirituellen Zusammenhalt spürten die Menschen in Korinth jedenfalls damals kaum noch.
Als er dies alles vorgetragen hat, selber auch nicht ohne Schärfe und Polemik, jedenfalls im Bewusstsein seiner moralischen Autorität, wechselt Paulus plötzlich die Tonart. Auf die harsche Prosa folgt ein Gedicht, das „Hohe Lied der Liebe“. Es wird heute ja gern vorgetragen bei Hochzeiten und anderen harmonischen Anlässen. Um es aber ganz zu verstehen, darf man den weniger harmonischen Hintergrund nicht vergessen, auf dem es dem Paulus aus der Feder floss. Es ist, als habe er erkannt, dass die Argumente, die er bisher vorgetragen hatte, sich vornehmlich an den Verstand richteten und dass sie nicht ausreichen würden, um die verfahrene Situation zu retten. Um das in Worte zu fassen, was ihm allein am Herzen lag, appelliert Paulus also auch an Herz und Gemüt. Er erinnert an die Schönheit und die Kraft der Liebe, die aufbaut, zusammenführt, tröstet und heilt.
Ich möchte versuchen, das Anliegen des Paulus – und was er vor allem mit Liebe gemeint haben könnte - aus unserer heutigen Situation heraus zu verstehen. Sie ist ja nicht völlig anders als die Situation damals. Im Gegenteil – es gibt manche Parallelen. Es gibt auch heute Misstrauen, Unsicherheit, auch Spannungen und Polemiken. Es gibt Angst vor Enge, aber auch vor Beliebigkeit und dem Verlust unserer christlichen Identität.

Auf diesem heutigen Hintergrund höre ich Paulus reden:

Liebe Gemeinden in den Deutsch sprechenden Ländern und in aller Welt:
Es gibt nur eine Kirche Jesu Christi. Sie ist aufgebaut auf dem Fundament der Apostel, vor allem auf dem Fundament, das Jesus Christus selber ist.
Die Kirche ist der eine Leib, sie hat aber ungezählte Glieder aus allen Stämmen, Völkern und Nationen. Fürchtet euch nicht vor dieser Vielfalt aus Glaubenszeugnissen und Konfessionen. Vertreibt die Dämonen des Fremdenhasses, des Desinteresses, der gegenseitigen Abschottung. Sucht über alle Grenzen hinweg das Verbindende, die Einheit in der Vielfalt. Sucht sie mit Dankbarkeit für eure eigene Berufung und zugleich mit Ehrfurcht vor den Glaubensweg der anderen. Hütet euch vor Fanatismus und Rechthaberei. Liebe, das bedeutet nicht, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Liebe kann vielmehr bedeuten: Tragt eure Differenzen in der Überzeugung aus, dass der Geist Jesu Christi in allen wirken will. Denn, was alle und alles verbindet, – das ist die Liebe, die in Jesus und in seinem Geist ausgegossen wurde in eure Herzen. Haltet bei allen Umbrüchen und Strukturveränderungen fest an jener unzerstörbaren Hoffnung, die nicht sterben kann, weil sie das Geschenk Jesu an seine Schöpfung ist. Vertraut dem Heiligen Geist, der durch alle Zeit die Flamme dieser Hoffnung am Leben, am Brennen halten und auch neu entzünden kann da, wo sie erloschen ist. Seid gastfreundlich gegenüber den Schwestern und Brüdern aus anderen Kulturen und Religionen. Wie ich bereits in einem Brief an eine andere Gemeinde, nämlich die in Galatien in der heutigen Türkei, dargelegt habe, ist unser Herr Jesus gekommen, Einheit zu stiften und Mauern niederzureißen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen; es gibt nicht mehr Sklaven und Freie; nicht mehr Mann und Frau. Lasst dieses Geschenk der Liebe Christi an die Kirche und an die ganze Welt unter euren heutigen Bedingungen wirksam werden. Was dann zählt, ist nicht mehr, ob ihr Deutsche oder Afrikaner, Männer oder Frauen, Kleriker oder Laien seid. Alle haben die gleiche Würde und den nämlichen Auftrag, Gottes lebendiges Wort zu bezeugen und in die Welt zu tragen. Was allein zählt, ist die Liebe, jene unbedingte gegenseitige Wertschätzung im Namen und Auftrag Jesu, die wir in unserem Herzen haben, in unseren Gemeinden und Familien lebendig halten und die auch der Sauerteig für eine neue, gerechte und friedliche Welt sein wird.







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